Berlinale Retrospektive 2022: Carole Lombard: „My Man Godfrey“

My Man Godfrey

USA 1936. Regie: Gregory La Cava, mit William Powell, Carole Lombard, Alice Brady

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.

 

Der Titel „My Man Godfrey“ verrät schon die Eheschließung zum Happy End, aber ein so unglückliches Happy End ist selten. Denn es heiraten Carole Lombard und William Powell, (beide waren im wirklichen Leben bis 1933 miteinander verheiratet). Die Filmbeziehung zwischen Irene Bullock und Godrey funktioniert bestens, aber eben nicht im Sinn einer Anbandelungsgeschichte, sondern im Sinn eines Gewitters.

Irene ist Tochter eines superreichen Geschäftsmannes. Sie ist total verwöhnt und vollkommen lebensunfähig; wie der Rest ihrer Familie. Während die Schwester nächtens mal gerne die Schaufenster in der Park Avenue einschlägt – der Vater ist es schon gewöhnt, deshalb anderntags Schecks auszustellen –, hat Irene auch mal Lust auf einen Ausritt und parkt das Pferd in der Bibliothek. Als Wohltätigkeitsveranstaltung haben sich die Reichen und Dekadenten der Stadt was besonders Interessantes (= Zynisches) einfallen lassen: Alle müssen Objekte sammeln, die keiner haben will. Irene sticht ihre Schwester Cornelia aus, als es darum geht, auf dem Müllberg einen Obdachlosen aufzugabeln; mit Godfrey gewinnt sie den ersten Preis und nimmt ihn als neuen Butler mit nach Hause.

Carole Lombard tritt nicht, wie in vorherigen Filmen, als „kleines Mädchen“ auf, das per Romantik hoch hinaus will, sondern als verzogene reiche Naive mit kindischen Vorstellungen von Romantik, die niemals etwas hat erreichen müssen. Sie spielt ihre Irene im Grunde total überzogen, als Karikatur – und passt sich damit ein in diesen vollkommen irren Haushalt, in dem jeder auf seine Weise seine Dekadenz auslebt (außer vielleicht der Vater der Familie, der aber immerhin niemals durchkommt mit seinen Ratschlägen zur Vernunft). Lombard spielt das kleine Mädchen mit Kleinmädchenverliebtheit in Godfrey, sie spielt die einfältig Ungebildete, die vielsilbrige Fremdwörter liebt, ohne sie zu verstehen, sie spielt die eingebildete Möchtegern-Diva, die sich in Posen wirft, in einem doppelten Spiel: Lombard spielt eine, die overacting betreibt, um sich in Trotz zu produzieren – „Stellung 8“ aus dem Schauspielkurs, stellt Schwester Cornelia trocken fest. Lombard kann sich so richtig ausagieren, und dass dies – wie schon in „Twentieth Century“ – ganz im Dienste und im Sinne des Films geschieht, zeigt ihre Klasse als Komödiantin; in der Familie hat sie den schwierigsten Part, weil sie ihre Verliebtheit ebenso zeigen muss wie das Überkandidelte; die anderen sind nur überkandidelt.

Eine Irrenanstalt braucht nur einen leeren Raum und die richtige Leute, heißt es im Film – und er exerziert das aus. Mit einem stoischen Butler Godfrey im Mittelpunkt, an dem sich die Verrücktheiten brechen. Dass die Müllkippe und das Leben der Obdachlosen im Film romantisch beschönigt dargestellt wird – geschenkt; dass Godfrey eigentlich aus gutem Hause ist und daran arbeitet, wieder hochzukommen – ebenfalls geschenkt. Der Hollywoodfilm muss Glamour liefern, dafür zahlen die Leute Eintritt, und der Glamour muss auch für Armut gelten. Immerhin gibt es Armut in diesem Film, und es ist eine Armut der Menschen, während der Reichtum für Gockel und Hühner in Menschengestalt gilt; Irenes Mutter hat einen Protegé, einen Möchtegernkünstler, der sich durchfrisst und ab und an zur Unterhaltung einen Gorilla spielen muss; das kann er sehr überzeugend. Er ist das Haustier der Millionäre, und er hat sich da gut eingerichtet. Godfrey hat andere Pläne; er ist gut zu den Hausherren und ­­‑damen, geht auf ihre Bedürfnisse ein, und er tut etwas für seine alten Kumpels von der Müllkippe – insofern ist dies ein Film über die Große Depression und über den New Deal. Der Unterschied zwischen einem Obdachlosen und einem Menschen ist Arbeit, sagt Godfrey – man muss und kann die Leute, die willens sind, herausholen aus der Misere, die ihnen das Unglück des Lebens eingebrockt hat.

Irene wird dies nie verstehen. Sie wird einfältig bleiben, da gibt es keinen Zweifel; sie hat ihre versponnenen Ideen, und auf eine fällt der Film rein: Nämlich, dass am Ende eine Heirat stehen muss. Und obwohl die ganze Zeit über niemand sich als love interest für Godfrey angeboten hat, weiß alle Welt – außer ihm – wer am Ende sich verehelichen wird.

 

Dem Spaß, den der Film verbreitet, macht dieses Ende keinen Abbruch; vielmehr kann das aufgesetzte Happy End fast schon als subversiver Kommentar zur Happy-End-Manie gelesen werden.

 

Harald Mühlbeyer


Bilder (c) Universal Studios