Berlinale Retrospektive 2022: Mae West: „Belle of the Nineties“

Belle of the Nineties

USA 1934. Regie: Leo McCarey. Mit Mae West, Roger Pryor, Johnny Mack Brown, Duke Ellington

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.


Die Handlung natürlich wieder belanglos in diesem Mae West-Film: Sie steht im Mittelpunkt, sie wird von den Männern angehimmelt, sie ist der Star des Nachtclubs. Ihre Nummer: Sie steht da im figurbetonten Glitzerkleid, als Schmetterling, als Spinne, als Freiheitsstatue, während ein anderer singt. Sie tut nichts, wird nur angesehen, damit hat sie es zu Ruhm gebracht. Das ist anders als in den Filmen zuvor, denn noch etwas ist anders: Im Vorspann die Tafel der Motion Pictures Producers and Distributors Association of America, dass der Film „approved“ ist – er unterliegt dem Hays-Code mit all seinen prüden Einschränkungen. Mae West hat eine Vergangenheit – aber sie jagt keine Männer mehr. Ihre Sprüche („Better to be looked at than be overlooked“) sind sophisticated – sie ist ja sowas wie der Oscar Wilde des Geschlechterkampfes. Aber sie nutzt sie nicht mehr zum Angriff, zum offensiven Flirt und zur Anmach-Attacke, nicht mehr als Jägerin und Sammlerin der Männer, sondern zur Abwehr; zu der gehört ja auch der Angriff, ist aber nicht auf Eroberung aus.

 

Mae West als Ruby Carter gerät an einen Halunken im Halbwelt-Dreieck zwischen Glückspiel, Nachtlokal und Boxkampf, der sie als Sängerin anstellt und ihr nachstellt, aus erotischen Gründen. Seine Verlobte will er fallenlassen. Ruby fällt natürlich nicht auf ihn rein, hat aber doch alle Hände – und ihre Hüften und ihr Mundwerk – voll zu tun, sich aus seinen Fängern rauszuhalten. Zumal, als sich Ace Lamont, der Schurke, mit ihrem Ex, dem Boxer Tiger Kid, zusammentut und ihn anstiftet, ihre Diamanten zu klauen; mit denen will sich Ace Lamont refinanzieren.

Beim Boxkampf um die Meisterschaft, mit Tiger Kid als Herausforderer, kann Ruby ihre Trümpfe ausspielen, sprich: ein Pülverchens in Tigers Flasche schütten, um den Kampf vorzeitig (in der 28. Runde) zu beenden. Hin und her und Happy End – doch neben der gedämpften Mae West-Version, die zwar nach wie vor die Männer von unten bis oben taxiert und meist für gut befindet, aber dennoch der monogamen Liebe nicht abgeneigt scheint, wenn nur Tiger Kid sich nett benehmen könnte – neben Mae West als Mittelpunkt geht dieser Film sichtlich an die Grenze der Abbildung schwarzer Kultur im weißen Hollywoodkino der 30er.

 

Mae West singt, weil der Hays-Code das vielleicht nicht erfasst, schwarzen Blues; begleitet wird sie vom Duke Ellington-Orchester, also tatsächlich echter Jazz; und das, wo wir am Anfang die schlimmsten Befürchtungen hatten, als sie im Schmetterlingsoutfit auf der Bühne steht und ein anderer den typischen Filmsong croont, der mit seinem Schmalz nun mal so ganz und gar albern wirkt.

Nein: Wests Interesse an diesem Film (der erneut „by Mae West“ ist, laut Vorspann – ihr als Urheber- und Autorenschaft zuschreibt) scheint in der Präsentation der afroamerikanischen Kultur zu liegen, ganz explizit diesmal; eine Szene besteht aus einem ekstatischen Gottesdienst der schwarzen Gemeinde, mit Gebet, Gesang, Tanz; Mae West schaut vom Balkon aus zu und beginnt mitzusingen, sie übernimmt den Song als Anerkennung und Würdigung; räumlich getrennt, fügt der Film West und Black Community per Überblendung zusammen, weiter kann man kaum gehen im rassistischen Amerika jener Zeit.

Diese Huldigung der schwarzen Musik wiegt auch die rassistischen Darstellungen der Zofen von Mae Wests Figuren in diesen Filmen auf, die faul und ungebildet, gar dumm sind – wenn sie auch beste Freundinnen sind von Lou (in „She Done Him Wrong“), Tira („I’m No Angel“) und Ruby hier. Das ist wohl der Preis, den man zahlen muss im Hollywoodsystem, und man kann nur auf andere, kulturrepräsentative Weise Abbitte leisten, mit Jazz und Blues und Gospel, die ganz ernsthaft dem Publikum nahegebracht werden.

 

Harald Mühlbeyer


Fotos (c) Universal Studios