Berlinale Retrospektive 2022: Rosalind Russell: „Design for Scandal“
Design for Scandal
USA 1941. Regie: Norman Taurog, mit Rosalind Russell, Walter Pidgeon, Edward Arnold
„No Angels: Mae West,
Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72.
Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei
Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis
1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist ein von Rainer Rother verfasster Band mit
drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:
Rosalind Russell ist die Darstellerin von Frauen, die im Beruf stehen – und „Design for Scandal“ ist in diesem Sinn ihr Film. Wir wurden zu ihr hingeführt über einen Mann, der mit Fotoapparat im tiefen Wasser einer halb eingestürzten Mine steht. Als letzten Wunsch telefoniert er mit seinem Boss und geigt ihm die Meinung. Dieser Boss wiederum bekommt heftigen Streit mit seiner junge, sehr blonden, überaus konsumsüchtigen Frau; ein 2.000 Dollar-Ring bringt das Fass zum Überlaufen. Schnitt auf einen Gerichtssaal. Scheidungsverhandlung. Wir hören eine weibliche Stimme. Ist es eine Richterin? Es ist. Es ist Rosalind Russell. Und wie sie diese Szene spielt, nach all dem Bohei zuvor, das ist unnachahmlich. All die jahrelange Routine mit den immergleichen Scheidungsfällen, all die gleichen Fragen der Verteidiger und Ausflüchte der Angeklagten und all die Emotionsausbrüche der Prozessbeteiligten, die sich nicht an die Ordnung des Gerichts halten wollen – all das spielt sie mit der gleichgültigen Müdigkeit der juristischen Veteranin, der nichts Menschliches fremd ist und die alles schon gesehen hat. Und die tut, was getan werden muss, nämlich Rechtsprechung. Unerschütterlich, nicht aus der Ruhe zu bringen, das Tagesgeschäft halt.
Nun ist Mr. Blair, der geschiedene Millionär, auch ein unverschämter Mensch mit unverschämten Manieren und sehr kurzer Lunte. Sein Anruf beim ihm bekannten Oberrichter, diese Cornelia Porter zu versetzen, die ihm 4.000 Dollar Alimente für die Ex aufgebrummt hat, läuft freilich ins Leere. Aber Jeff Sherman, der wundersam aus der Mine hat befreit werden können, hat eine Idee: Dieser Porter einen Skandal auf den Hals zu hetzen.
Russell als Porter ist keine Frau, sondern ein menschliches Gesetzbuch, wirft ihr ihre Schwester vor; an ihr brechen sich Shermans Avancen, der alles tut, um sie zu verführen, um ihr anschließend den Prozess machen zu lassen von einer angeblichen Verlobten, die sich angeblich betrogen fühlt – ach, die Intrige ist höchst albern, und das Doofe ist, dass der Film sie ernst genug nimmt, um sich von ihr tragen zu lassen.
Es läuft darauf hinaus, aus Ms. Porter, der Richterin, eine Frau zu machen, die fühlt – wie unempfänglich sie ist für Romantik zeigt sich an ihrer Rosenallergie, die sie heftig niesen lässt: Rosalind Russell, stets elegant, stets professionell, weiß in solchen Momenten genau, wann und wie sie sich hässlich macht im Gesichtverziehen und Rumrotzen.
Sherman wird gespielt von Walter Pidgeon; der Film will es sicherlich anders, aber er ist nicht der charmante Schwerenöter, sondern eher der Nötigung schuldig, ein Fiesling, der seine Verführungskraft einsetzt zur Schädigung einer Unschuldigen – abgesehen davon, dass der Film inhaltlich eher schwachbrüstig ist, krankt er vor allem an der negativen Charakterisierung der männlichen Hauptfigur, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen – angeblich Bildhauer – sich an Porter ranmacht. Und auch nicht davor zurückschreckt, einen Achtjährigen vom Bootssteg ins Wasser fallen zu lassen, nur um in ihr Haus zu gelangen!
Russell zuzusehen, wie sie „zur Frau“ gemacht wird, wie ihr romantische Gefühle aufgeschwätzt werden, tut fast schon weh. In diesem Film hat sie das Happy End, auf das alles zwangsläufig hinführt, auf gar keinen Fall verdient. Sie soll weiter Gerichtsprozesse führen, man braucht auch Frauen, die Paragrafen lesen können!
Harald Mühlbeyer