Berlinale Retrospektive 2022: Rosalind Russell: „What a Woman“

What a Woman

USA 1943. Regie: Irving Cummings, mit Rosalind Russell, Brian Aherne, Willard Parker

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.

 

Miss 10 Percent lautet der Spitzname von Carol Ainsley: Sie ist höchst erfolgreiche Agentin und Managerin zahlreicher Künstler, bekommt 10 Prozent der Einnahmen. Dafür hängt sie sich auch richtig rein: Im Alleingang findet sie heraus, wer hinter dem sagenumwobenen Pseudonym Anthony Street steckt, der einen Millionenbestseller gelandet hat mit seinem Abenteuerroman „The Whirlwind“, sie folgt seinen Spuren, hängt sich an ihn und überredet ihn zur Sensation: Professor Michael Cobb, Hobby-Autor mit großer Fantasie, soll seine eigene Whirlwind-Figur spielen in der geplanten Hollywood-Verfilmung.

Das könnte ein Loblied auf die Tatkraft dieser Frau sein, und Rosalind Russell macht auch eines daraus: Tough und geradlinig und zielstrebig geht ihre Ms. Ainsley die Dinge an, genauso wie Russell ihre Rolle. Ein Job muss getan werden, so formuliert es die Agentin, und Russell performt ihren Job wunderbar. Nur dass der Film, weil Hollywood, ihr in den Rücken fällt. Zunächst nur ganz zart, hintergründig streut er ein, wie harsch, ja unwirsch ihr Verhalten vor allem auf Männer wirke, behauptet dies, die anderen Figuren sollen es uns glauben machen; je weiter der Film geht, desto mehr stochert er in der angeblichen Gefühllosigkeit von Ms. Ainsley herum, suggeriert ihre Frigidität, nur deshalb, weil sie den Avancen der beiden Männer, die sie umwerben nicht nachgibt. Sprich: Eine Frau sollte schon Gefühle erwidern, es sei denn, sie ist keine richtige Frau.

Agent provocateur dieser Lesart, die der Film so forciert, ist Henry Pepper, Journalist, der für das Magazin „Knickerbocker“ ein intimes Porträt über Miss 10 Percent schreiben soll. „Intim“ ist das richtige Wort: Er will in ihr Inneres eindringen, ihre innere Wahrheit erspüren, egal ob sie will oder nicht. Er ist, wo sie ist, taucht überall auf. Sie ist in PR-Dingen viel zu erfahren, um ihn abzuweisen. Also dockt er an sie an.

Das Durcheinander, das der Film inszeniert, weil Prof. Cobb nun als Anthony Street geoutet ist, weil er zum Schauspielstar geformt werden soll – man braucht nicht Talent oder gutes Aussehen, sondern Persönlichkeit, weiß Ainsley –; jedenfalls müssen tausend Dinge erledigt sein, und die sind natürlich pointiert dargebracht. Aber alles krankt an der Idee, aus einem Kleinstadtprofessor einen Star machen zu wollen, ja, wie es der Film will, zu müssen; und alles krankt weiter daran, dass dies klappt, weil sich Cobb in Ainsley verliebt, als sie ihm pädagogisch beibringen will, wie einfach eine Liebesszene zu spielen ist. Das ist natürlich so weit weg von jedem Anflug von Realität und auch innerhalb von Romantik-Klischees soweit hergeholt, dass es schlicht erzählerisch nicht funktioniert.

 

Wenn Rosalind Russell in ihren Rollen alles über den Kopf wächst – was wenn, dann nur für Momente geschieht –, dann weiß sie ihren Körper auf ganz besondere Art einzusetzen. Die Arme schlenkern, die Körperhaltung wird schlaff, der Kopf hängt. Alle Eleganz weicht von ihr, sie lässt sich richtig hängen – das sind nicht subtil, dafür umso wirkungsvoller eingesetzte Mittel der Slapstick-Körperkomik; wenn sie in „The Women“ mit ihrer Rivalin kämpft und anschließend einen Nervenzusammenbruch erleidet, oder wenn in „My Sister Eileen“ sechs ausländische Matrosen ihr in der kleinen Wohnung einen Tanz aufzwängen; oder wenn in diesem Film Cobb die angebetete Ainsley durch den Raum zieht, weil er sie zum Theaterbesuch einlädt/drängt. Dann fällt die Fassade von Glamour für einen Moment von ihr, bis sie wieder die Fassung behält und ihre Souveränität – nicht über sich, über die Situation – wiedererlangt. Nicht, dass sie allen etwas vormacht – wenn sie jemandem etwas vormacht, dann wird das durch Russells Spiel dem Zuschauer immer sehr deutlich gemacht –, sondern weil sie nur dann sie selbst ist, wenn sie funktionieren kann. Wenn nicht, fällt sie in sich zusammen wie ein Duracell-Hase mit leerer Batterie.

In diesem Film hat es ihre Figur besonders schwer gegen das männerdominierte Hollywoodsystem, weil ihr selten so grund- und motivationslos Verliebtheitsgefühle in die Rolle geschrieben wurden. Aber ein Job ist ein Job. Rosalind Russell schafft auch eine Rolle wie Carol Ainsley.

 

Harald Mühlbeyer


Bilder (c)Columbia Pictures