Grindhouse-Nachlese September 2018: Tollwütige Jugend und gedemütigte Koreanerinnen
Grindhouse Double Feature, Cinema Quadrat Mannheim, 29.9.2018:
"Wie tollwütige Hunde"/ "Come cani arrabiati", Italien 1976, Regie: Mario Imperioli
"Wie tollwütige Hunde"/ "Come cani arrabiati", Italien 1976, Regie: Mario Imperioli
"Frauenlager der
Ninja" / "Shadow Killers Tiger Force", Hongkong 1986, Regie:
Godfrey Ho
Ein Fußballstadion. Kein kleines. Zweite Liga, mindestens.
Noch ist es leer. Zwei junge Männer setzen sich. Mützen auf dem Kopf, weiße
Polyester-Sportjacken. Die Ränge füllen sich. Die Kamera schweift über die
Zuschauer. Das Spiel beginnt. Gelegentlich fängt die Kamera zwischen Schwenks
und Zooms Spielszenen ein, nichts Spektakuläres, keine Spielhöhepunkte, kein
Tor des Monats; ansonsten die Zuschauer im Bild, immer wieder unsere zwei
Protagonisten. Die stehen irgendwann auf, laufen durch die Katakomben,
überfallen die Kasse, schießen einen Polizisten tot.
"Wie tollwütige
Hunde" ist ein Film, der lange verschollen war. Und der nun wieder
aufgetaucht ist, zum Glück, muss man sagen: Er ist ein wirklich spannendes und
ziemlich hochkarätiges Stück Kriminal- und Sozialkino, reingesetzt in die von
gesellschaftlichen Spannungen und allseitiger Gewalt geprägten Gesellschaft des
Italiens der 1970er. Drei Jugendliche stellt der Film uns alsbald vor,
Studenten, reich, verzogen, gelangweilt. Der Anführer hat eine Papa, den er
hasst, der sein Geld unsauber verdient, der von Erfolg spricht und davon, die
anderen zu übertrumpfen mit allen Mitteln. Auf der Gegenseite ein Kommissar,
der zwar ermittelt, der aber zugleich persönlich ein Arsch ist. Zwischendurch
Verstörung:
Beispielsweise, wenn wir uns plötzlich in einem verdunkelten
Raum befinden. Eine Frau zieht die Vorhänge auf, als Silhouette sehen wir im
Gegenlicht ihren gewölbten Bauch. Dann steigt die Schwangere aufs Fensterbrett
und stürzt sich runter, und – habe ich das noch richtig in Erinnerung: Ist der
Sturz in subjektiver Kamera gefilmt? Ich kann's nicht mehr sagen, die Wirkung
aber ist groß. Weil wir nun überhaupt nicht wissen, was hier passiert. Später
wird in einem Dialog ganz en passent, quasi im Nebensatz, erklärt, dass die
Selbstmörderin die Verlobte des ermordeten Polizisten sei, unehelich schwanger,
Trauer und Schande…
Oder: Nach einem Überfall nehmen die drei eine Frau als
Geisel. Die erwacht irgendwann in einem kargen Raum, kann sich befreien,
kriecht voll Panik durch das scheinbar verlassene Gebäude, doch immer wieder
Schatten bewaffneter Typen, sie kommt zu einer Tür, trifft auf eine Frau – aber
von der wissen wir, dass sie eine der Täterinnen ist. Und dass sie der
Lockvogel ist. Weil man einer Frau so was nicht zutraut. Jedenfalls haben sie
die Geisel dann am Haken, reißen ihr die Kleider runter, doch nicht in
sexueller Absicht: Einfach aus Spaß an der Demütigung. Und, um Angst zu
erzeugen. Bevor die drei Killer sie über die Badewanne beugen und ihr das
Gehirn rausblasen.
Die drei Killer sind ein eingeschworenes Dreierpack. Zwei
junge Männer, eine junge Frau, die das Leben als Spiel begreifen, das Töten als
Spaß, und das Sexuelle zwischen ihnen als ironisches Schauspiel, das sie
füreinander aufführen: Als es mal an einen Dreier geht zwischen ihnen, läuft
das über Shakespeare-Zitate, die sie als Othello, Desdemona, Iago deklamieren,
als Vorspiel für die eigentliche – uneigentliche – Sache.
Der Kommissar, auf der anderen Seite, ist gut (auch, wenn er
aussieht wie das Morphingopfer zwischen Herbert Lom und Graham Chapman). Er hat
bald seine Pappenheimer in Verdacht. Um den Beweis zu erhalten, greift er zu
unkonventionellen Mitteln: Er hat nämlich eine Assistentin. Die ist jung und
hübsch und sendet laufend Signale aus an unseren Herrn Kommissar, die der
geflissentlich übersieht. Der freilich die Waffen dieser Frau zu nutzen
versteht: Er verwandelt sie in eine Stricherin, und schaut auch genüsslich zu,
wie sie nuttige Kleider anzieht. Er ist halt schon auch geil auf sie. Aber er
weiß auch: Die drei Kriminellen suchen sich die Nutten des Vaters aus, holen
sie ab und killen sie. Also gibt sich die Polizistin als Daddys
Lieblings-Bordsteinschwalbe aus, und schon hamwer die Täter…
Zugegeben: Dieser Plotzweig ist reichlich doof. Es ist zwar
völlig klar, dass Papa Bonze irgendwie drin verwickelt ist – sein Geld wird
gestohlen, seine Nutten umgebracht –, aber es muss ja noch andere Mittel geben,
die Feinde des Ausbeuters zu finden. Nun ist die Assistentin, als Stricherin
verkleidet, im Wagen mit den zwei Mörderjungs, die ihren Spaß mit ihr haben –
und der Kommissar kommt erst im allerletzten Moment… Hat die Assistentin nun
genug von dem feinen Herrn Chef? Nein, sie lässt sich intim mit ihm ein. Und
während der Polizeichef diverse Bestechungsangebote erhält und der Kommissar
rumtappt, sich den Verdächtigen nähert, die blonde Killerin beim Autorennen
beobachtet, mit dem Herrn Sohnemann beim Ausritt parliert, beschattet die
junge, heiße Assistentin die Bösewichter, und zwar näher, als ihr lieb ist…
Mario Imperioli macht das sehr geschickt: Die, sagen wir,
exploitativ-spekulativen Elemente der Story lässt er unter dem ständigen
Rückbezug zur Realität verschwinden; das fängt mit dem tatsächlichen
Fußballspiel vom Anfang an und hört bei den nebenbei einfließenden Kommentaren
zur sozialen Situation nicht auf: Das Geld, das fehlt, die Politik, die sich
nicht kümmert, die Ökonomie, die nur in die eigene Tasche wirtschaftet… Am
Ende, ziemlich krass, haben wir eine Verfolgungsjagd. Und eine Demo wütender,
enttäuschter Arbeiter. Und wenn der rücksichtslose Killer in diese Straße
einbiegt, und in der Menschenmenge nicht weiterkommt, und nicht respektvoll
ist, dann ist es das Ende, nicht nur des Films. Ein Film, der wie eine gelungene
Mischung aus "Clockwork Orange" und "Funny Games" wirkt;
und zwar durchdekliniert als Parabel zum Nationalsozialistischen Untergrund.
Das Qualitätslevel, das "Wie tollwütige Hunde" aufgelegt
hat, erfährt einen krassen Abfall mit dem zweiten Film des Abends: "Frauenlager der Ninja" hat
den Vorteil, dass der Titel nicht lügt. Es gibt ein Frauenlager. Und es gibt
Ninjas. Das Problem ist, dass das Frauenlager aus einem anderen Film ist wie
die Ninjas. Und zwar buchstäblich. Weil Regisseur Godfrey Ho einfach einen
alten koreanischen Film genommen und durch ein paar selbstgedrehte
Rahmenhandlungsszenen ergänzt hat. Die leider gar nicht zum Originalfilm
passen…
Am Anfang: Bilder von Hongkong. Flughafen, Hafen, Küste.
Dann, bei einem Schwenk über den Jachthafen, eine Stimme: "Sieh mal da
rüber!" Hä?! Das gibt Raum für eine schöne Vorstellung, und vermutlich ist
diese Vermutung wahr: Der Kameramann schwenkt, und ein Assistent weist ihn auf
irgendwas hin, was er auch aufnehmen soll, und der Tonmann nimmt das auf, und
im Schnitt bleibt's drin, und die Synchro übernimmt den Satz. Der nirgendwo
hindeutet, und überhaupt nicht zu irgendwas gehört. Und so ist halt auch der
Film.
Junge Menschen beim Picknick, Cola und Hühnchen, und dann
tauchen schwarzvermummte Ninja auf und entführen die Mädels. Oder: Ein Pärchen
rudert im Boot, und Ninja schwimmen hin, schmeißen den Dödel ins Wasser und
entführen das Mädel. Das alles sind die nachgedrehten Sachen, ein Kampf auch,
bei dem die Ninja kräftig gegen ein paar Mädelverteidiger kämpfen. Und Schnitt,
sind wir bei einer blonden, kurzhaarigen Dame, ohne Schlitzaugen, die zwei
Ninja vermöbelt. Das war ein Test, sie hat bestanden, sie ist die Richtige und
bekommt eine Menge Geld, um die Tochter ihres Auftraggebers aus dem Frauenlager
zu befreien. Dahin bringen nämlich die Ninja die Mädels, mit bösen Absichten:
Sie müssen eine steinige Böschung bearbeiten.
Der alte Film ist eher blass, und in ihm spielen nur
Koreanerinnen. Und koreanische Wärter: Es ist ein Frauengefängnisfilm, der offenbar
nicht auf sexuelle Reize aus ist, sondern auf die Gruppendynamik unter Zwang.
Ein gutes Dutzend Frauen in einer Zelle, sadistische Gefängnisaufseher – aber
sorgsam keine unzüchtigen nackten Stellen. Das ist an sich nicht schlecht –
aber auch nicht zwangsweise gut. Es ist offensichtlich ein Dutzendfilm, der
nicht weiter interessiert. Also: Außer Mr. Ho, unseren wackeren Regisseur. Den
interessiert's so sehr, dass er seine blonde Kämpferin einschleust. Und bald
ist klar: Alle Szenen, wo die Blonde auftaucht oder dieser fiese Typ, der der
Oberbösewicht sein soll und die gefangenen Mädels nach Dienst an einen
Mädchenhändler weiterverfrachten will, die sind nachträglich erschaffen worden.
Mit Europäern als Protragonisten, für den westlichen Markt. Zwei der Gefangenen
haben Streit – der alte Film –, und die Blonde versöhnt die beiden – der neue
Film –, indem sie mit einem Handstreich eine Steinlawine an der Böschung löst
und die eine die andere retten lässt. Eine der Gefangenen bricht aus – der alte
Film –, und die Blonde – im neuen Film – besorgt ihr die nötige Zeit, indem sie
an der Böschung ruft: Wir arbeiten weiter, wir wollen keinen Feierabend! Ein
weiterer Ausbruchsversucht – der alte Film –, die Blonde verführt einen
Müllkutscher – im neuen Film –, damit die Gefangen in dessen Exkrementekübel
versteckt sich aus dem Lager schmuggeln kann.
Was sich beinahe so anhört, als sei das aufeinander abgestimmt, dem sei gesagt: Die Blonde sieht nicht nur doof aus – es ist eine furchtbare 80er-Kurzhaarfrisur! –, sondern sie kann auch noch zaubern. Blöd nur, dass der Gegenspieler, der Ober-Ninja (also der hinzuerfundene Frauenlagerchef) auch zaubern kann. In einem Wald (warum auch nicht) kommt's zum Endkampf, der dauert sehr lange; vorher haben sich die beiden durch verschiedene Dimensionen teleportiert, inklusive hypnotischer Verführungsszene. Im Wald geht's hart auf hart, und einer der Helfer der Guten holt die Bazooka raus (!), und der Bösewicht wird von der Rakete verfolgt, und das ist lustig anzusehen, aber halt auch reichlich bescheuert.
Das größte Manko des Films aber – jenseits des
Offensichtlichen –: Nie zieht sich jemand aus. Im alten koreanischen Teil
sowieso nicht, aber der neue, nachgedrehte schreit geradezu danach, wenn man
sich das Genre und das Niveau ansieht. Ich meine, man kennt das ja,
beispielsweise aus "Firecracker", wo eine Karatekämpferin während des
Kampfes nackig ausgezogen wird. Ja, sowas wäre halt wahre Inszenierungskunst
gewesen!
Harald Mühlbeyer