Grindhouse-Nachlese Juni 2018: Körper, Leiber, Bodies
Grindhouse Double Feature, 9. Juni 2018, Cinema Quadrat Mannheim:
"Hölle hinter Gittern" / "Penitentiary", USA 1979, R: Jamaa Fanaka
"Pornospiele mit Stock und Peitsche" / "Love
Rebellion", USA 1968, R: Joseph W. Sarno
Körper. Körper, die sich ineinander verschlingen, die
aufeinander prallen, die miteinander und gegeneinander agieren, reagieren, sich
ausagieren. Körper, die sich nahe sind, die nicht ohne einander können, die nicht
voneinander lassen können, in Liebe und in Kampf… Gefängnis und Mietshaus sind
die Schauplätze dieses Double Features, mit zwei ganz verschiedenen Filmen, die
aber eigentlich doch gleich sind. Zwei Seiten einer Doppelvorstellung: Einer
kommt ins Gefängnis, weil er ein Schwarzer ist; eine andere kommt ins
Mietshaus, weil dort ihre Mama lebt. Mit ihrer Körperlichkeit müssen sich beide
auseinandersetzen, mal männlich hart, im Boxring, mal weiblich zart, im Bett.
Initiationsgeschichten sind das, aufs Härteste werden unsere Protagonisten ins
Leben hineingerammt. Lernen, was es heißt, Bedürfnisse zu haben, diese
Bedürfnisse durchzusetzen, sich mit der Dialektik von Geist und Körper
auseinanderzusetzen.
Zunächst haben wir Martel. Der pennt am Straßenrand, zwei
Biker mit röhrenden Maschinen wecken ihn auf, er fährt per Anhalter weiter,
eine junge Frau nimmt ihn auf, begehrt ihn, verführt ihn, bietet sich ihm an.
Muss aber zuerst noch die beiden Biker maßregeln. Wird selbst gemaßregelt.
Blackout. Martel im Gefängnis.
"Penitentiary"
von Jamaa Fanaka. Hier herrschen raue Sitten. Männliche Regeln, männliche
Spielchen, männliche Sexualität. Nachts wird viel geblasen und gebumst, und ein
dicker Häftling läuft als weibische Tunte rum. Martel wehrt sich. Er weiß:
Niemand ist jemandes Eigentum. Das macht er auch dem Underdog in der Zelle
gegenüber klar. Der wird heftig gepiesackt. Martel braucht keinen "großen
Bruder", der gegen gewissen Gegenleistungen nach ihm sieht… Ein langer,
langer, langer Kampf in der nächtlichen Zelle macht das klar, für den Gegner,
für den Zuschauer. Sie prügeln aufeinander ein, Martel und der Obermotz des
Zellenblocks, mit Klauen und Zähnen, mit Eisenrohr und Stuhl, Schweiß, Blut und
Tränen…
Martel wird im Boxteam des Gefängnisses aufgenommen. Der
Direktor ist sehr stolz darauf. "Penitentiary" wird vom Gefängnisfilm
zum Sportfilm, und selten haben die Dramaturgie des Boxfilms und die Tatsache
des Boxens so viel Sinn ergeben. Das Boxen kanalisiert die Aggressionen, die
Hormone, die Einsamkeit, die Zwangsprostitution/Vergewaltigungen, den
Überschuss an allem im Inneren, das man hier nicht nach außen abtragen kann.
Zumal verlockende Preise für die Sieger warten: Eine Nacht im Wohnwagen mit
einer Frau (wer keine Frau hat, dem wird vom Gefängnis eine gestellt); und
sogar Freiheit, in Zusammenarbeit mit dem Schwager, der Talente sucht für sein
Profiboxteam…
Und das sind tolle Szenen, wunderbar choreographiert und
inszeniert, in denen mehrere Elemente
wunderbar zusammenkommen: Die beiden
Kämpfer, die aufeinander einprügeln in den verschiedenen Kämpfen, kein schönes
Boxen, nichts technisch Versiertes, sondern rau, animalisch – ein Abreagieren,
eine Verschiebungsarbeit vom nächtlichen Kampf um sexuelle Abfuhr hin zum
einigermaßen nach Regeln ausgerichteten Verkloppen des halbnackten Gegnerkörpers.
Der Schiedsrichter ist auch Häftling, tut, was er kann, so gut er es kann;
hinter ihm die jubelnde Menge – darunter auch eine Abteilung aus dem nebenan
liegenden Frauengefängnis: Die heizen die männlichen Körper so richtig an… Und
dazu eine kleine lustige Nebenhandlung, ein Mann und eine Frau, beide sexuell
ausgehungert, die sich aufs Klo geschlichen haben…
Sexuell ausgehungert; beziehungsweise unerfahren;
beziehungsweise raffiniert: In dem Film mit dem schönen und absolut
unzutreffenden Titel "Pornospiele
mit Stock und Peitsche" glotzen die Lagerarbeiter mit unverhohlener
Begierde Wendy, der Tochter der Chefin, nach, die hier neu anfängt. Die Chefin
hat was mit ihrem Geschäftsführer, darf aber keiner wissen. Die Tochter gerät
in die Sphäre der Sekretärin, die im selben Haus wohnt. Und zwar mit ihrem
Freund und mit einer Freundin. Der Freund ist Maler, und wir sehen ihn beim
Zeichnen eines Rückenaktes; die Sekretärin wird sauer: Bohème ist ja alles gut
und schön, aber irgendwo muss auch Geld herkommen! Die Tochter wird zur
abendlichen Party eingeladen. Die Freundin der Sekretärin zieht sich aus. Das
ist sowieso ihr Hauptjob in diesem Film. Hat ja auch ganz schön Holz vor der
Hütte! Ebenfalls eingeladen sind die Nachbarn: Sie ein Mäuschen, er ein Brutalo
mit Zigarre. Den haben wir in einer urplötzlichen Szene vorher schon
kennengelernt, als er sauer ist auf seine Frau, die sich eine neue Bluse
gekauft hat. Er beschimpft sie und verbrennt sie (off-screen) mit seinem
Zigarrenstummel. Dabei erbebt er heftig: Ein schöner Sado-Orgasmus! Nun glotzt
er lüstern nach Wendy, unserer jungen Heldin. Währenddessen vergnügt sich die
Frau Mama mit ihrem Herrn Geschäftsführer. Und oben gibt’s nach der Party einen
flotten Vierer, bei dem Wendy in die Liebe eingeführt wird.
Das Besondere daran: Alle sind süchtig nach den Körpern der
anderen, und sie haben zugleich ein unheimlich schlechtes Gewissen. Die Mama
vor der Tochter, die Tochter vor der Mama, der Freund vor der Freundin, und nur
unser Zigarrensadist lebt seine Lüste straight
aus. Er ist aber auch der supertumbe Oberdoofi im Film. Dieserwelcher hat
eigentlich keinen Plot, und wo er mal so was wie eine Spannungshandlung
entwickeln will – nämlich, dass das Trio von obendrüber die Frau
Firmeninhaberin kräftig bestehlen wollen –, da geht der Film schnurstracks
einen ganz anderen Weg, wenn der Malerfreund sich Mrs Robinson-mäßig verknallt.
Das ist alles völlig hanebüchen, aber vor allem eine schöne C-Film-Studie über
Leiber und das, was man damit machen will. Was man machen soll. Was man machen
darf. Und was man macht. Wobei – der Film ist aus den 60ern! – alles recht
züchtig gezeigt wird, zwar nackt, aber immer nur hüftaufwärts, auch wenn sie's
wild treiben.
Das Tolle daran ist, dass das Ganze einerseits sowieso nicht
ernstzunehmen ist, weil's halt ein billiger Nudie ist. Dass er aber dennoch
ganz ordentlich gefilmt ist, was Kamerapositionen und Beleuchtung angeht; dass
die Darsteller mit der relativen Versiertheit der Inszenierung keinesfalls
mithalten können; und dass der Film mit einer ungeheuerlich supi
Synchronisierung überzogen ist, deren Qualitäten sich am deutschen Verleihtitel
von "Love Rebellion" ermessen lässt.
Am Ende wird der, der mit seinem drängenden Begehren über
die anderen Körper stets zu verfügen gewohnt ist, sich per Pistole aufdrängen;
und eine andere, die aus Liebe stets sich zurückgehalten und alles ausgehalten
hat, wird plötzlich per Messer über sich selbst bestimmen wollen. Das kann nur
Tote geben. Und ein paar, sagenwirmal, geläuterte Leiber.
Harald Mühlbeyer