Hofer Filmtage 2013: "The Traveler" und "The Gansfeld Experiment" von Michael Oblowitz

Nicht nur Weihnachten, auch der Tod steht vor der Tür
Cops gehören offensichtlich zum Obsessionskreis von Michael Oblowitz. Nach dem Vampir-Buddymovie aber ist „The Traveler" aus dem Jahr 2010 wieder was ganz anderes. Weihnachtsabend, sechs Polizisten müssen Dienst schieben, als ein Fremder die Wache betritt: Val Kilmer, aufgedunsen, unbewegt, souverän, ein schwarzer Engel mit so sanfter Stimme. Unheimlich tönt sein Pfeifen durch die Gänge des Polizeireviers, Mozarts unheilschwangeres "Requiem"... Er will gestehen, sechs Morde. Er hat keine Fingerabdrücke. Er kann nicht fotografiert werden. Er taucht auf und verschwindet. Er ist deutlich ein Geist. Und wird erstmal der üblichen erkennungsdienstlichen und verhörtechnischen Routine unterzogen. Er gesteht, wie er im Dunkeln lauert, die Angst des Opfers auskostet, dann attackiert – und während er erzählt, wird im Keller einer der Bullen auf genau diese Art getötet, von einer unsichtbaren Macht…

Es geht um Rache. Rache für den Tod eines kleinen Mädchens, der Tochter von Detective Black. Der mit seinen Kollegen einen Drifter aufgegriffen hat und aus ihm die Wahrheit über den Kindermord herausprügeln wollte… Und es geht um Rache an dieser Folterung, an der alle schuldig sind, an dieser Brutalität, an dem Blutrausch, der die Polizisten in der Zelle ergriffen hat, als sie mit Scheren und Gürteln, mit Plastiktüte und Schaufel den Verhafteten ins Koma prügelten.

Val Kilmer ist eine Art Nosferatu, der Pein und Tod über seine Opfer bringt, unerbittlich, unausweichlich – und es ist überraschend spannend, da wir doch alle den Fortgang des Films kennen. Zu überlegen ist der Racheengel, zu unüberlegt handeln die Polizisten, die einer nach dem anderen abgemurkst werden. Die Regeln sind klar: Auf dem Spielbrett geht es nicht mehr ums Gewinnen, sondern nur darum, den Gegner rauszuschmeißen. Ein Gegner, der nie zum Zuge kommt.

Jeder bekommt seine Untat heimgezahlt, mit den Mitteln, die er damals, ein Jahr zuvor, gegen den Drifter angewendet hat. Gürtel um Gürtel, Schaufel um Schaufel – er sei Fan des Alten Testaments, sagt der tödliche Fremde, der sich Nobody nennt, der Bibelteil mit dem strafenden Gott; erst, als die Menschen dieses Konzept nicht mehr ausgehalten hätten, hätten sie den netten, freundlichen Jesus mit seinem Neuen Testament dazugesetzt…

Oblowitz inszeniert ganz zwingend, zumindest über weite Teile. Zu redundant wird die Folterszene gezeigt – alsbald hat der Zuschauer natürlich die Korrespondenz zwischen Tat und Strafe kapiert, das muss nicht immer extra betont werden. Die Polizisten dagegen verstehen den Zusammenhang allzu spät, der Zuschauer ist viel weiter und wundert sich über deren Blindheit. Während Oblowitz, wahrscheinlich, um die Story zu steigern, jeden Racheakt blutiger und blutiger inszeniert, da werden Gedärme aus dem noch lebenden Körper geschaufelt, einer Polizistin schießen die Eingeweide aus dem Unterleib… An solchen Stellen stimmt die Balance nicht, weil offenbar wird, dass Oblowitz – oder seine Produzenten, oder wer immer – ihrer Prämisse der reinen Rache nicht vertrauen. Und erst am Ende holt der Film sich selbst wieder ein, mit einem Twist, der dann doch alles nochmal düsterer, nochmal erbarmungsloser macht. Denn in der Tat ist das Böse immer und überall.

Ganzfeld-Apparatur
Immer und überall, vor allem im Verborgenen. Wenn etwa vier junge Studenten sich zurückziehen für ein Psychologieexperiment, Teil der Semesterabschlussprüfung, es geht um Telepathie, um ein Experiment aus den 50er Jahren, um Ganzfeld-Versuche zur Übertragung von Wahrnehmungen von einem isolierten Raum zum anderen, aufgezeichnet mit einer Apparatur zur Dokumentation parapsychologischer Vorgänge. Hitler und die Filterzigarette hätten den Grundstein gelegt, heißt es im Film, denn um des Führers überlange Reden aufzuzeichnen, habe man das Eisenoxid aus den Filtern extrahiert und das Magnetband erfunden, das hier extensiv zum Einsatz kommt – eine extravagante Retro-Filmausstattung, wie sie Oblowitz, der bekennende „Brazil“-Adept, immer gerne benutzt. Die Vampire in „The Breed“, die außerhalb der Zeit leben, die die Jahrhunderte überdauern; die uralten Vehikel, mit denen die Cops im „Traveler“ umherkutschieren, ein Film, der heute wie vor Jahrzehnten spielen könnte, würde nicht einmal kurz erwähnt, dass die Handys alle ausgefallen sind…

Das „Ganzfeld-Experiment“, Oblowitz’ neuester Film, der hier in Hof seine Weltpremiere hatte, vermischt die Zeiten, nicht nur in Design und Ausstattung. Auch, wieder ein Oblowitz-Thema, durch die alte Schuld, die die Protagonisten einholt, eine metaphysische Wiedervereinigung von Geschwistern, die sich längst vergessen haben, ein alter Mord, der in Erinnerung, Halluzination, in der Manifestation durch ein Geisterwesen gegenwärtig ist…

Nunja. Vor allem sind da die jungen Leute, die klischeehaft mehr an Drogen und Sex interessiert sind als an Studien. Die ihre Ganzfeld-Experimente an einem „neutralen“ Ort ausführen wollen und dafür ein halbverfallenes, düsteres Haus wählen, wie es in jedem Horrorfilm vorkommt. Die es mit überlauten Geräuschen, flackernden Lampen, auf- und zuschlagenden Türen zu tun bekommen. Was halt dummerweise alles schon so ausgelutscht ist, dass es den Zuschauer kaum mehr berührt.

Die Vermischungen von Halluzination, Traum und übersinnlicher Wirklichkeit hatten wir so und ähnlich auch schon mal, dass diese Typen ständig koksen, machts nicht besser. Und eine lange Sexorgie – die aber abbricht, bevor irgendeine unanständige Nacktheit zu sehen ist – dient auch eher zur Aufrechterhaltung des Interesses: Mädels in Unterwäsche, die durchs Haus rennen, sind sicher ein Hingucker.

Über weite Strecken ist dies ein ziemlich schlechter Film. Was einem leidtut, wenn man sich mehrere Oblowitze am Stück reingezogen hat. Doch dann, ganz unvermutet, kommt am Ende wieder ein ganz großartiger Moment, Oblowitz pur, wenn Polizisten auftauchen am Ort des Schreckens. Wobei der eine dem anderen seine Pommes wegfrisst, bevor sie aufgeladen mit dem Zynismus aus Jahrzehnten von Berufserfahrung und deshalb auch korrumpiert bis aufs Blut ungerührt dieses maniac mansion besichtigen und auch mal eine Nase Koks wagen: Da hat wohl einer sein Rezept abgeholt – SNIFF!
Da sind sie wieder, die überlebensgroßen Figuren, die Oblowitz’ Filme immer wieder bevölkern, und die in ihren Szenen den ganzen Film nochmal ein paar Level höher pushen. Oh, ich erinnere mich an einen der „Breed“-Vampire, ein fetter Italiener, der täglich das Grab seiner Mama besucht und ansonsten seiner Schauspielerleidenschaft frönt, der in einem vollgestopft-halbverfallenen Theater in dröhnendem Pathos den Monolog von Peter Lorre aus „M“ rezitiert… Diesen Touch bringt auch die letzte Szene wieder hinein in das „Ganzfeld-Experiment“ – zusätzlich natürlich zum ständigen unterschwelligen Bezug zu „This World, then the Fireworks“. Auch bei „Ganzfeld“ spielt Billy Zane mit, in parapsychologisch heraufbeschworenen Erinnerungsrückblenden, als tödlicher Vater, der es auf zwei Geschwister (!) abgesehen hat… Das stecke alles freudianisch in ihm drin, das komme raus, wenn er Filme dreht, so Oblowitz. Überhaupt: Billy Zane, das sei immer sein Alter Ego, man sehe es an der dicken Hornbrille. Die Hornbrille in seinen Filmen: Sowieso immer ein Zeichen für die filmische Verkörperung des Regisseurs…
Ebenfalls mit Brille: Der fette feige Polizist mit dem Traveler

Muss man noch erwähnen, dass das Ganzfeld-Schreckenshaus schön vor dem ikonischen Hollywood-Zeichen in den Hügeln von Los Angeles drapiert ist? Nein; ich denke, dass das eine Selbstverständlichkeit ist bei Oblowitz.

Harald Mühlbeyer