Grindhouse-Nachlese September 2019: New York und Philippinen
Grindhouse Double Feature, 28. September 2019, Cinema Quadrat Mannheim:
"Willie Dynamite", USA 1974, Regie: Gilbert Moses
"The Twilight People", USA/Philippinen 1972, Regie: Eddie Romero
Purpurmantel wie ein überkandidelter König, goldenes Gewand,
auch mal ein weißer Strampelanzug: Modisch lässt es Willie Dynamite krachen. Der Titelheld ist ein Pimp, wie er im
Buche steht, und das muss er zeigen. In keinem der bisherigen Blaxploitations
in der Grindhouse-Reihe im Cinema Quadrat war die Kleidung so sehr als
Statussymbol inszeniert. Willie muss
sowas tragen, und ein Blick in seinen begehbaren Kleiderschrank zeigt, dass er
durchaus noch mehr Auswahl hätte. Seine Gewänder sind so was wie seine Uniform,
seine Arbeitskleidung, ohne die er nicht aus seinem Haus kann. Ebenso sein
grün-goldener Straßenschlitten. Man muss zeigen, was man ist, was man hat,
sonst ist man nichts und hat bald nichts mehr.
Willie Dynamite hat, wie uns der Titelsong verrät, "seven
women in the palm of his hand", die für ihn anschaffen. Er hat sie aus der
Gosse geholt und damit an sich gebunden, jetzt bietet er ihnen als Arbeitsplatz
ein Luxushotel, als Klienten Geschäftsleute, die sich abends, weit weg von
zuhause, ein bisschen entspannen wollen. Ein Aufstieg, das flüstert er seinen
Miezen immer wieder ein, sie sind Teil eines Produktionsprozesses, wie am
Fließband, müssen Umsatz schaffen, und dafür haben sie diverse Annehmlichkeiten
wie Sicherheit, Willies Zuneigung und einen Einigermaßen-Anteil am
Erwirtschafteten. "Wir sind schließlich Kapitalisten!", ruft Willie
beim Spitzentreffen der Zuhälter-Funktionäre von New York, als ein Konkurrent
den Vorschlag macht, sich zusammenzutun, die Stadt aufzuteilen, füreinander
einzustehen. Eine Art Kartell; oder, andersherum: die Einführung des
Sozialismus in die Prostitution.
Willie will die Nummer 1 sein, und er ist auf dem besten Weg
dahin. Aber wie das so ist, kommt ein dickes ABER. Und zwar in Form einer
engagierten Sozialarbeiterin. Bzw.: einer aggressiven. Wir lernen sie kennen im
Bett mit dem stellvertretenden Staatsanwalt, sie ist neckisch und fordernd und
frei, lehnt einen Heiratsantrag ab und schüttet Cola über den Geliebten, der
nicht aus den Federn will. Und sie geht hart Willie Dynamites Geschäfte an, und
deshalb geht sie Willie Dynamite selbst hart an. Sie war früher selbst
Bordsteinschwalbe, das betont sie gerne, das gibt ihr Street Credibility, und
mit dem scharfen Auge der gelernten Hure macht sie das schwächste Glied unter
Willies angeketteten Weibern aus. Deshalb wird gezielt die junge Passion
verhaftet, gezielt dringt Sozialarbeiterin Cora in das Domizil der Damen ein
und versendet vergiftete Pfeile, die den Nutten ihren sozialen Status und ihre
Abhängigkeit klarmachen. Sie bricht bei Willie ein und kopiert seine diversen
Sparbücher, und vor Gericht drängt sie sich Passion auf, als Hilfe, als
Alternative.
Und für Willie geht alles den Bach runter. Sein stolzes Auto
wird abgeschleppt, das ist ein Running Gag im Film. Er wird verhaftet, unter
hanebüchenem Vorwand ("Du siehst einem Verdächtigen ähnlich: Mann in
braunem Mantel", heißt's – als Willie gerade seinen weinroten Umhang
spazieren führt); Polizeibrutalität, Willkür, Durchsuchung ohne richterlichen
Beschluss: reine Schikane. Und fies noch dazu. Mit tollen Dialog-Streitigkeiten
zwischen Pimp und Cops, und mit einem Zuschauer im Zwiespalt: Willie Dynamite
ist ein schlimmer Finger, ein Großprotz, arschlochiger Turbokapitalist, ein
Ausbeuter weiblicher Körper, der alle Tricks der Psycho-Manipulation
beherrscht, um seine Ladies bei der Stange zu halten; und wird zugleich von
Polizei und Sozialamt böse und gemein behandelt, wie man es sich nicht
vorstellen kann. Der wird vom Staat fertiggemacht! Mitleid? Aber ja!
Gut: Die schauspielerischen Leistungen im Film sind jetzt
oft nicht soooo; Willy hat sieben Nutten, davon zwei als Sprechrollen, die
anderen als darstellerische Null-Staffage. Der Filmschnitt ist auch, sagen wir:
originell. Bzw. vielleicht auch ungelenk. Jedenfalls: Die Ausstattung ist
fantastisch: Der über-flamboyante Willie steckt in einer dreckigen Welt, die
New York in den 70ern nun mal war, zwischen all den normalen Leuten, eine gelungene
Dissonanz sind seine Kleider im Big Apple-Alltag. Und wie er von zwei Cops –
die sich auch gegenseitig nix schenken, der eine ist schwarz und Moslem und
wird vom anderen deshalb dumm angemacht –, wie Willie von den beiden angegangen
wird, teils aus Langeweile, teils aus Bösartigkeit, teils aus persönlichem
Hass; und wie Cora, die Sozialtante, das Gute für die Nutten will und dafür die
fiesesten Mittel anwendet, wie ihr dann aber, als sie ihr Ziel fast erreicht
hat, alles aus den Fingern gleitet und für ihren Schützling das Leben praktisch
vorbei ist; wie ganz nebenbei die Story von Willie sich in der Story seines
überdimensionierten Straßenkreuzers spiegelt, der nach vielerlei Abschleppen
irgendwann ausgeweidet wird von den vernachlässigten Straßenkids, und auch in
der Passion der Passion, die als unschuldige Hure alle Last tragen muss: Das
ist unter einer Oberfläche, die Blaxploitation verheißt, richtig großes Kino.
Verglichen damit ist der zweite Film des Abends vollkommener
Stuss, is' klar. "The Twilight
People" – jawoll, so was wie eine Literaturverfilmung, von H. G.
Wells' "Die Insel des Dr. Moreau", der Mad Scientist heißt hier Dr.
Gordon, er hat einen Helfer wie es sich für einen ordentlichen Bösewicht
gehört, der ist wild und blondiert und heißt Steinman, so eine Art Proto-HP
Baxxter in der Rolle von Christopher Walken als Psychopath vs. James Bond, im
Angesicht des Todes.
Der Film beginnt mit idyllischen Bildern zu idyllischer
Musik, die aber alsbald total unheimlich wird, obwohl nichts Bedrohliches zu
sehen ist. NOCH! Denn ein softer Typ mit weichen Wangen taucht in exotischen
Gewässern und guckt sich Fische an, als PLÖTZLICH böse Hände ihn greifen, unter
Wasser fesseln, und mit einem Kran wird er kopfunter an Bord einer Yacht
gehievt, und aber seine eigene Yacht ist gar nicht mehr da. Vielmehr eine sehr
hübsche Krankenschwester und Mr. Blondiepsychopath. Sie fahren zur exotischen
Insel, durch den Dschungel hin zur Villa von Dr. Gordon, bewacht von allerhand
philippinischen Handlangern. Der softe Typ ist ein Superforscher mit
Supergehirn, und weil er so ein guter Mann ist, will Gordon ihn für seine
Experimente. Und was für welche! Es geht um die Zukunft der Menschheit!
Eigentlich ist alles an dem Film reichlich egal; interessant
nur, wie die Liebe zwischen Farrell – das ist der Held – und Neva – die
Krankenschwester a.k.a. Gordons Tochter – fix behauptet wird, indem sie ihn mal
fragt, wie es ihm geht, und danach sind sie verliebt. Fluchtplanung etc., dazu
Steinman, der Psycho, der so gerne jagt, und Gordon, der für die Wissenschaft
verrückt geworden ist: Um das Überleben der Menschen zu sichern, züchtet er
eine Über-Rasse, die das Beste aus Mensch und Tier ineinander vereint! Hat
bisher nicht so recht geklappt, deshalb soll Gordons Gehirn, also der Inhalt,
die Software, irgendwie kopiert werden, dann gibt es da noch irgendwelche
Organfetzen unter Käseglocken und so was wie eine Laserkanone im Labor nebenan.
Eine Gehirn-OP an einem Nebendarsteller hamwer auch. Und vor allem, und darauf
kommt es an: Wir haben TIERMENSCHEN!!!
Im Keller, im Käfig. Ein Antilopenmann, mit Hörnern auf die
Stirn gepappt. Eine Wolfsfrau mit Bart. Einen Affenmann, einen Fledermausmann
mit Flügeln; und Pantherfrau, gespielt von Pam Grier, die wahrscheinlich grad
sowieso auf den Philippinen war. Sie darf katzig gucken und sich putzen und ab
und zu ihre Fänge in Menschenleiber schlagen, so'n richtiger Panther halt.
Das ist schon super. Kinderkarneval mit bisschen Blut und
Toten, mit einem Bat-Man, der auf dem Baum seine Flügel ausbreitet, als alle
mitnand durch den Dschungel fliehen, und man bedauert die Leute: Wie muss man
sich fühlen, als Schauspieler, wenn man ein tolles Angebot bekommt für einen
Science-Fiction-Horror-Abenteuerfilm, und dann stellt sich raus: Dir werden
Haare, Hörner oder Flügel angepappt, und du weißt, das sieht scheiße aus, und
du weißt, dass damit ein persönlicher Tiefpunkt erreicht ist, aber du weißt
auch, du musst das durchziehen, Vertrag ist Vertrag, und Mensch!, was wird die
Nachwelt sagen! Naja, Frau Grier ist ja ganz gut aus der Sache rausgekommen,
aber eine Karriere-Rakete war das wohl trotzdem eher nicht…
Fledermausmann hat am Ende noch seinen großen Auftritt, HUI!
geht es durch die Lüfte, und durch einen geschickten Schnitt überlebt der Held
auch, als er vor der Luger des Psychopathen steht. Wie er das angestellt hat,
wissen wir nicht, wahrscheinlich ist es auch egal: Er darf nicht sterben,
punktum, wie er entkommt, ist wurscht, Hauptsache ein Happy End mit ihm und
seiner schönen Gespielin und dem Fledermausmann, idyllisch vor der Abendsonne.
Harald Mühlbeyer