Hofer Filmtage 2011 - Viva la Revolución!

Zugegebenermaßen habe ich meinen letzten Blogeintrag über "Bastard" nach dem Tippen und vor dem Hochladen nicht nochmal durchgelesen, dies aber jetzt nachgeholt und einen furchtbar gönnerhaften Satz, für den ich mich jetzt noch schäme, wieder rausgeschnitten. Meine Prognose aus der Filmtage-Vorankündigung dagegen hat sich am ersten "richtigen" Festivaltag gestern schonmal bestätigt: Krise und damit der Wunsch nach Umwälzung der Verhältnisse ist angekommen im Filmschaffen.

Irgendwie zumindest, wenn wir uns jetzt mal auf Konstantin Ferstls "Trans Bavaria" stürzen wollen, ein HFF München-Abschluss-Debüt, das zu Anfang recht charmant daherkommt - wenn auch grob- und großpixelig digital gedreht und projiziert. Wobei die schlechte Auflösung des Filmmaterials sich auch inhaltlich wiederfindet...

Wir lernen zu Beginn Quirinalis kennen, der sich nach dem römischen Senator nennt, um dem Spitznamen Quirl zu entgehen. Und dessen Berufswunsch Revolutionär ist, was sich sehr lustig in allerhand imaginären und imaginativen Bildern ausdrückt: Treffen mit Che, Wunschvorstellungen von Lenin, Gedanken ans Römische Reich (dem letzten funktionierenden Staat auf bayrischem Boden) - hier schöpft Ferstl gekonnt und originell an derselben Quelle wie Rosenmüller in "Wer früher stirbt...", lässt seinen Quirinalis auch überaus eloquent und literarisch-poetisch seine Weltsicht verbreiten, in der sich eine fundamentale Unzufriedenheit mit den Verhältnissen und der unbedingte Wunsch nach Veränderung ausdrücken. Was ja in der Tat vollkommen berechtigt ist, nicht nur, weil wir seit vier Jahren in einer unendlichen Weltwirtschaftskrise stecken.

Revolution ist die einzige Option, und der Film - bei all seinem Witz, bei all seinen gelungenen visuellen und pointierten Einfällen - geht bei diesem Wunsch, Gedanken, Ziel - zunächst - durchaus mit. Und zeigt auch, wie unmöglich Revolution sein kann, wenn die Eltern liberale Pädagogen sind und man feststeckt in der Provinz, und sich wenn dann noch das Schicksal gegen einen verschwört und eine Aktion bei der Abiturzeugnisverleihung völlig in die Hose gehen lässt. Die Lösung, die der Film aufzeigt, ist natürlich keine - ist aber immerhin ein Weg, auf dem sich eine Lösung, eine Loslösung von den repressiven Verhältnissen finden lassen könnte: Eine Reise nach Moskau, wo Fidel Castro, der letzte lebende Revolutionär, auf dem Roten Platz sprechen wird. Bis hierher könnte der Film also durchaus noch hinführen zu einem Roadmovie, das sich anlehnt an die Motorradreisen des jungen Che, in deren Anschluss ja tatsächlich der Umsturz, die Verwirklichung der Ideale stand.

Aber: Ferstl bewegt sich auf den Standpunkt von Quirinalis' Freundin zu, die in Castro den alten Deppen im Jogginganzug sieht. Und lässt die Reise vor allem zur Umkehr des Helden weg von den Fantastereien hin zu mehr Realitätssinn, zum Erwachsensein werden. Was natürlich - und darüber hat Ferstl wahrscheinlich gar nicht nachgedacht - eine völlige Denunzierung der Hauptfigur bedeutet, die in der ersten halben Stunde durchaus sympathisch mit ihren Spinnereien war, völlig integer und mit sich selbst im Reinen, die ihren Idealen nachhing und versuchte, diese Ideale im künftigen Leben verwirklichen zu können...

Lustig - wir sind ja in einer Komödie - sind die beiden Kumpels, der zigarrenrauchende, schnöselige Dandy Joker und der dickliche, bisschen prollige Metzgerssohn Wursti. Überzeichnet? Ja. Konventionell-bizarre Sidekicks? Ja. Aber: Mitrevolutionäre, und tatsächlich teilen sie ja den Wunsch nach einem Leben im Idealismus und nach einem Sein im richtigen Bewusstsein. Was der Film aber mehr und mehr als pubertären Quatsch abtut, als etwas, das aus der grundsätzlichen Verunsicherung in der Umbruchzeit zum Erwachsenwerden - kurz: aus dem Privaten und eben nicht aus dem Politischen - hervorwächst. Weshalb Ferstl den Weg der Läuterung seiner Figuren einschlägt, einer Läuterung, wie er sie versteht: Revolution, heißt es irgendwann mal, das bedeutet: sich mit den Freunden gut verstehen, die Eitelkeiten ablegen, die Heimat toll finden. Sprich: Für Ferstl - wie er es in seinem Film propagiert - bedeutet Revolution Anpassung, und vielleicht darf man sich mal heimlich über doofe Autoritäten lustig machen. Was natürlich ausgemachter Quatsch ist, aber typisch deutsch, wo ja, nach einem alten Bonmot, beim revolutionären Stürmen eines Bahnhofs vorher noch eine Bahnsteigkarte gekauft würde.

Konservativer, konterrevolutionärer Quark also, dieser Film - vermutlich aber vor allem, weil einem bayrischen Publikum keine Revolutionsagitation, auch nicht in Form einer Komödie, zugemutet werden darf, weil es einen Zwang zum Happy End gibt, das sich vor allem als Bestätigung des Status quo versteht, und weil "Trans Bavaria" unbedingt publikumsaffin sein will. Wobei sich die Frage stellt, was schlimmer ist: Eine grundsätzlich reaktionäre Grundhaltung zu haben, die Revolution als Unsinn denunziert, oder gar keine Haltung zu haben und lediglich dem Publikum lustigen Honig ums Maul zu schmieren zu versuchen.

Anders der österreicher Paul Poet, der mit seinem Dokumentarfilm "Empire Me - Der Staat bin ich!" den grundsätzlichen Verweigerern nachspürt, die selbst die Staatlichkeit, also das, was als Basis an sich gelten kann, in Frage stellen. Spinner sind das natürlich, sektenhafte Esoteriker oder künstlerische Punks - aber haben sie deshalb unrecht?

Poet steigt hinein in sechs Mikronationen, unabhängige Kleinststaaten, die quasi Privatnationen sind in Abkehr und Verweigerung der "normalen" Groß-Nationen. Auf einer Betonplattform vor Großbritanniens Küste - im Zweiten Weltkrieg als Artilleriestandort in die Nordsee gebaut - residiert die älteste Mikronation Sealand, gegründet in Internationalen Gewässern und seit Mitte der 60er Jahre eigenständiger, unabhängiger Staat. Anzahl der ständigen Bewohner: 2. In Australien hat sich die Hutt River-Nation losgelöst, nennt sich das zweitgrößte Land auf dem Kontinent, huldigt seinem Fürsten - und Gründer -, hat eigene Briefmarken und eigene Pässe und lebt von den Touristen, die diese Merkwürdigkeit eines Spinners besuchen wollen. In Norditalien hat sich eine seltsame Esoteriksekte eine Nation erschaffen, mit Ganzheitlichkeit, präatlantischem Leben, Außerirdischen und musizierenden Pflanzen; in Belzig, Ex-DDR, hat sich nach der Wende die Lebensgemeinschaft Zegg - Zentrum für experimentelle Lebensgestaltung herausgeschält, wo's vor allem um freie Liebe geht. In Kopenhagen hat sich mit Christiania ein besetztes Stadtviertel vom Rest der Stadt losgesagt, Hippies wohnen dort, Obdachlose und, nun ja, Dealer. Poet filmt das Leben dort - und eine Polizeiaktion gegen diese ständige, auch politische Provokation. Schließlich gibt es ein Kunstprojekt der schwimmenden Städte von Serenissima, selbstgebaute Flöße, die wie Schrotthaufen aussehen, auf denen die Punkkünstler leben. Kunstaktion, politische Aktion und eigene Nation in einem.

Eine Menge mehr solcher Mikronationen gibt es, einigen wird im Abspann gedankt, auch wenn sie gar nicht im Film auftauchen. Poet gelingt ein Einblick in die Abkehr, in die verwirklichte Revolution, in der sich Unbehagen, Individualismus, obskures Weltbild und/oder Vision für ein neues, anderes, besseres Leben ausdrücken. Ohne darauf herumzureiten, zeigt Poet die verschiedenen Beweggründe, die politisch, esoterisch oder exzentrisch sind, die aber alle etwas mit der Realisierung von Idealen zu tun haben: Was Ferstl filmisch in den Mülleimer kickt, unterstützt Poet mit seiner gelungenen Doku. Wobei in beiden Filmen - in ersterem ex negativo - ein vages, diffuses, brodelndes Gefühl für Aufbruch und Umbruch zu spüren ist. Und irgendwann wird es dann auch soweit sein.

Harald Mühlbeyer