Hofer Filmtage 2011 - Unterirdisch
Der Keller: Das ist zunächst mal der Vorratsraum des Hauses. Das ist der Raum, aus dem sich der Alltag oben speist - ein inoffizieller Raum, ein heimlicher Raum, den Gästen verwehrt - sie sollen nicht wissen, ob der Wein, der kredenzt wird, tatsächlich der beste im Haus ist, oder ob die Erbsen-mit-Möhrchen-Dose MDH-mäßig schon lange abgelaufen ist. Im Keller holt man sich, was man braucht. Was bei Perversen zum Beispiel was anderes ist als die reine Speisung des Leibes oder das Waschen schmutziger Wäsche. Der Keller ist auch ein Vorratsraum, aus dem man sich etwas holen kann für die eigene Seele, für die eigene Lust; etwas, das verborgen bleiben soll. Deshalb ist in "Bastard" der entführte Junge, der sterben soll, in einem Keller eingesperrt. Und deshalb hat die Figur des Autors in Roland Rebers "Die Wahrheit der Lüge" zwei Frauen in seinem Keller, damit er sie quälen kann und an die Grenze treiben, auf den Gipfel, von wo aus sie - und er - die Wahrheit zu schauen erhoffen.
Was sich krude, unausgegoren, kindisch und exploitativ anhört, ist exploitativ, kindisch, unausgegoren und krude - und herrlich doof. Roland Reber - wir kennen ihn von "Engel mit schmutzigen Flügeln" 2009, zwei Frauen - Engel - rekrutieren eine dritte, um sie einzuführen in die Welt der Vollkommenheit, sprich: der Morallosigkeit, der unbedingten Selbsterfüllung, sprich: Sie soll sich überall durchficken, um sich selbst zu finden. Herrlicher Stoff für eine Mitternachtsvorstellung, unglaublich billig gemacht, mit miesen Schauspielern, offensiven Beinahe-Porno-Bildern und wahnsinnig schlechten - weil unbedingt philosophisch sein wollenden - Dialogen. Ein Film wie Stalingrad überlebt zu haben - man kriegt ihn nicht aus dem Kopf.
Ähnlich, aber noch dialoglastiger - also philosophischer, also noch doofer - ist "Die Wahrheit der Lüge", wo Frauen für das höhere Ziel, ein Buch über Grenzerfahrungen, gefoltert werden: Waterboarding, Pranger, diverse SM-Apparaturen; in den Ofen gesperrt, ans Kreuz gefesselt, in Abu Ghraib-Pose... der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, ja: die Grenze soll ja gesucht und erfahren werden, von wem, warum und welche Grenze überhaupt ist im Gesamtkontext egal. Hauptsache, Reber kann Lackleder-Motorrad (und SM)-Klamotten unterbringen und Frauen beim Pinkeln filmen - was offenbar zwei seiner Leidenschaften sind -, und Hauptsache, er kann seinen eigenen aktuellen philosophischen Stand der Dinge auf die Leinwand bringen; wobei interessanterweise Gedanken wie die obigen über Kellerräume - rasch hingepfuscht, um analytisch-theoretisches Denken vorzutäuschen - fehlen. "Wo ist die Grenze, wer ist der Zöllner?", heißt es einmal bedeutungsschwanger im Film, und: "Schreibe ich, oder werde ich geschrieben?", so zweifelt der Autor im Film an seinem seltsamen Projekt.
Was Reber im anschließenden Q&A auf sich selbst bezog: Irgendwann schriebe sich das Drehbuch von alleine, er wisse dann nicht, was alles bedeute. DASS es etwas bedeutet, daran hat er wohl keinen Zweifel. Was ein bisschen schade ist, weil der Film, wenn er so mit gedanklichem Ernst - selbst wenn die Gedanken nirgendwohin führen und/oder völlig banal sind - plötzlich nur noch halb soviel Wert ist. Es ist halt alles unglaublicher Schmonzes, was da auf der Leinwand zusammengetragen wird, der Autor hat eine Verlegerin, die unbedingt sein Buch will (warum auch immer), die ihn immer weiter treibt im Weitertreiben der Frauen, die auf immer bizarrere Weise körperlich und seelisch gequält werden. Was nur dadurch aus der Ecke der chauvinistischen Unmoral gezogen, also legitimiert ist, dass die beiden oft nackten Weibsen so schlechte Schauspieler wie alle sind, und dass sie alle mitsammen den Film gemeinsam produziert haben: WTP International ist wohl so eine Art Billigphilosophiefilmkommune. Alles hat den Appeal von Exploitation-Frauenfoltercamp-Filmen aus den 70ern, nur ohne Dschungel, in bunkerähnlichen Kellerräumen gedreht.
Grenze, Gipfel, Wahrheit sind Stichworte, und zwischendrin gibt es einen ernstgemeinten und einen comic-relief-Song. Letzterer: "Ich hab ne Zwiebel auf dem Kopf, ich bin ein Döner. Denn Döner macht schöner", gesungen in einer Kneipe. Ersterer: Ein unglaubliches Reimdichoderichfressdich-Liedchen mit total nachdenklichem Text, ich hab ein paar Fetzen mitgeschrieben: "Die Wahrheit der Lüge aus zartem Gefüge", "Aus liebenden Fragen wolln wir uns vertragen", "Ich lehr dir [sic!] das Beugen vor Scham fremden Leuten", "Wir schwingen in Tiefen wenn wir uns verliefen", "Was echt ist und nicht entscheidet die Sicht". Also alles Fragen, die die Menschheit seit Jahrtausenden bewegen, das alle in einem seltsam hedonistisch-De Sadeschen philosophischen Kosmos gewendet sind wie ein Schnitzel in Ei und Mehl, damit die Gedanklichkeit schön knusprig wird, und das Ganze als eine Art Selbsterfahrung gesehen, wenn man Reber richtig verstanden hat nachts um Viertel nach Zwei. Der der Bedeutung seines Films hinterherhechelt, und sie vielleicht irgendwann einholt auf seiner Harley.
Wir freuen uns jedenfalls schon auf die nächsten Werke, in der Pipeline sind unter anderem ein Film über die Hells Angels-Bandidos-Rockerszene und als Opus magnum der Film über den Zahnbürschdlmann.
Harald Mühlbeyer