Hofer Filmtage 2011 - Das Gute zum Schluss
Natürlich will ich nicht den Eindruck erwecken, die Filme in Hof seien irgendwie so lala, bestenfalls. Nein: Ein Filmfestival, das im ganzen Ort Resonanz findet, kann natürlich nicht schlecht sein. Auf dem Fußweg von einem zum anderen Kinogebäude kommt man an einem Laden vorbei, der letztes Jahr noch unter dem Beate Uhse-Label firmierte. Inzwischen hat er sich von der Kette abgehängt - doch noch immer, wohl aus Überzeugung, hängen während der Filmtage im Schaufenster Werbeplakate, Fotos von früheren Festivalgästen und Poster aktueller Filme - nein: keine Erotik! - im Schaufenster aus. Hochsympathisch, dass in Hof eigene Interessen hinter der Kultur als Allgemeingut hintanstehen (nur ganz klein das Schild mit dem Hinweis auf Dildoabende: "Einfach mal ohne Mann kommen".)
Die Titelfigur der französisch-belgischen Komödie "La Fée" ist auch selbstlos für alle da, eine Frau, die dem tolpatschigen Nachtportier Dom das Leben versüßt. Und einigen anderen auch. Zauberhaft, wie sie hineinschwebt ins Foyer, wie sie duldsam seinen Unwillen erträgt - sie ist die ca. zehnte Störung, will er doch eigentlich nur im Fernsehen Musik sehen -, wie plötzlich für sie der Aufzug wieder funktioniert, wie sie den Portier vor dem Erstickungstod rettet und ihm zudem drei Wünsche gewährt... Motorroller und lebenslange Benzinversorgung sind gar kein Problem für sie. Den dritten Wunsch muss sich Dom noch überlegen, sicher ist er aber, dass er die Fee liebt.
Zauberhafte Komik bestimmt den Film, ein Tanz unter Wasser oder auf dem Dach ist der direkteste Ausdruck der grundsätzlichen Musikalität, die "La Fée" innewohnt. Ein englischer Hotelgast, der seinen Hund in einem (ständig fortlaufenden) Köfferchen versteckt, ein quasiblinder Kellner in einer Kneipe, ein fliegender Mann, depperte Polizisten; ein vortrefflich ausgeführter Schuhraub aus einem Laden, eine findige Entführung aus einer Klinik, der inbrünstige Gesang einer Rugbyspielerin an der Theke - der Film findet stets einen weiteren bizarren Weg, um die Liebe, die Individualität, die Gemeinschaft zu feiern. Und ist immer unter der Folie des Clownesken inszeniert, als eine Art filmisches Straßentheater mit Comedy, Artistik, Tanz, Buntheit. "La Fée" spielt in Le Havre - und zusammen mit Kaurismäkis Film wirkt er beinahe als Touristikwerbung für die an sich triste Hafenstadt; zumindest für Menschen, die skurrilen, absurden, liebenswerten Humor mögen.
Eine Entführung aus dem Krankenhaus - das ist ein Motiv, das auch in Valerie Donzellis "La Guerre est Declarée" vorkommt (bei dem lustigerweise die Regisseure von "La Fée", Dominique Abel (der den Portier spielt) und Fiona Gordon (die Fee) neben mir saßen). Witzig ist der Film auch, aber nicht für sich, sondern weil seine Figuren ihren Witz behalten - inmitten des Dramas, in dem sie stecken. Romeo und Juliette - werden sie ein schlimmes Schicksal erleiden? Sie verlieben sich auf einer Party, bald ziehen sie zusammen, bekommen ein Kind, sind glücklich - doch das Kind erbricht sich oft, ist verschleimt, es kann mit 18 Monaten noch nicht laufen, eines Tages ist die rechte Gesichtshälfte gelähmt. Diagnose: Hirntumor. Doch anders als demnächst in Andreas Dresens "Halt auf freier Strecke" (einem im übrigen hervorragenden, beklemmenden, direkten und sehr berührenden Film) ist in "La Guerre est Declarée" die Hoffnung mit der Diagnose nicht gestorben; doch der Weg ist schwer. Juliette und Romeo beginnen den Kampf, und auf subtile Weise flicht Donzelli eine Kriegsmetapher in ihren Film. Die Diagnose: Am Tag des Beginns des Irakkriegs. Spezialisten entwerfen einen Schlachtplan, die Familie wird zur Unterstützung mobilisiert, die Ärzte in ihren weißen Uniformen sind Generäle, die den Kampf aufnehmen.
Der Film konzentriert sich auf die Eltern, er ist mindestens soviel wie ein Krankendrama auch ein Liebesfilm. Und er ist humorvoll, und er ist emotional. Und er ist ehrlich: Die Regisseurin greift auf eigene, autobiographische Erlebnisse zurück. Dass sie dies nicht naturalistisch-realistisch tut, mit Betroffenheitsattitüde und Larmoyanz, sondern sehr frei, locker, leicht - das ist belohnt worden. Der Film ist der französische Oscar-Kandidat für 2012.
Wer das Pech hatte, 2002 "Kiss and Run" gesehen zu haben (Regie: Annette Ernst), der wird den Namen der Hauptdarstellerin und Drehbuchautorin Maggie Peren nicht vergessen haben. Die z.B. auch "Napola" schrieb, der mit ein paar Schnitten und in schwarz-weiß beinahe auch aus den 40ern hätte stammen können; oder "Liebes Spiel" von 2005 - wieder mit Peren auch in der Hauptrolle -, ein Drama über Spielsucht, inkl. Liebesgeschichte; konventionelle Kost. In ihrer zweiten Regiearbeit (nach eigenem Drehbuch) hat sich Peren aber jetzt als tatsächlich gut herausgestellt, trotz des schwierigen Themas, das eine Menge Sentimentalitäts- und Betroffenheitsduselei-Fallen bereithält. Afrikanische illegale Flüchtlinge auf den Kanaren: Darum geht es in "Die Farbe des Ozeans", und speziell um José, einen der Zollpolizisten; um ein deutsches Touristenpärchen; um Vater und Sohn, die nach strapaziöser, fast tödlicher Überfahrt ins Flüchtlingslager gesperrt und auf die Abschiebeliste gesetzt werden; und denen die Flucht gelingt.
Wie sich die verschiedenen Wege kreuzen, wie sich die Figuren über den Weg laufen mit ihren verschiedenen Zielen, wie sich dabei die mitunter böse Ironie des Schicksals entfaltet: das ist perfekt orchestriert. José, der eine Abneigung gegen all die Schwarzen entwickelt hat, die da anstürmen, Zynismus, der aus Erfahrung gespeist ist; Nathalie, die Deutsche, die einfach nur helfen will, mit ein paar Flaschen Wasser, mit ein paar Kleidern, mit 500 Euro; Zola und sein Sohn, die ein besseres Leben wollen und tief in der Klemme stecken. Dass daraus kein verkrampftes Aufrüttel- und Gefühlskino geworden ist, liegt an Perens einfühlsamer Regie, die mit Zwischentönen, mit Ambivalenzen, mit Subtiliäten arbeitet. Und daran, dass der Film einerseits authentisch wirkt, andererseits aber an den richtigen Stellen das Filmische, das Dramaturgische zu seinem Recht kommen lässt, indem sie verdichtet, peronalisiert, zusammenfasst. Nur in einem lehnt sie sich etwas zu weit aus dem Fenster: José hat eine Junkie-Schwester, die offenbar nur dazu dient, um ihm am Ende der Handlung die ihm zugehörige Läuterung zukommen lassen zu können.
Harald Mühlbeyer