26. Mannheimer Filmsymposium: Wo steckt der Regisseur in seinem Film?
Was ist der Regisseur? Befragt wird nicht seine Tätigkeit, sondern seine Funktion an sich, seine Stellung im Rahmen des Films als Kunstwerk – sein Status als Gegenüber des Zuschauers, als virtueller, erzählender Ansprechpartner beim Betrachten eines Films. Wie drückt sich der Regisseur in seinem Film aus, wie kann er sich ausdrücken? Ist er der Autor des Kunstwerkes? Wie bringt er sich ein in der kollektiven Arbeit einer Filmproduktion, zwischen Drehbuchautor, Kameramann, Produzent, Ausstatter und, sagen wir, Kabelträger? Im Mittelpunkt des 26. Mannheimer Filmsymposiums im Cinema Quadrat (14. bis 16. Oktober 2011) standen diese und ähnliche Fragen – kurz: das Thema der „Regiehandschriften zwischen Genre, Stil und Handwerk“, so der Titel des Symposiums.
In bewährter Manier boten Vorträge, Werkstattberichte und Diskussionsrunden, verbunden mit fünf Filmvorführungen, einen breiten Überblick über die Thematik – und viele Einblicke in einzelne Aspekte der Fragestellung. Dass die jeweiligen Beiträge nicht nur einfach für sich stehen blieben, sondern stets in den Gesamtkontext der Veranstaltung eingebunden waren, ist ein Verdienst der klugen Organisation wie auch der Referenten, die aufeinander eingingen, sich mit den anderen auseinandersetzten und für Fragen aus und Gespräche mit dem Publikum stets offen waren.
Einzelne Regisseure wurden gewürdigt: Ralf Michael Fischer, Kunsthistoriker, spürte den Themen und Motiven im Werk von Anthony Mann nach, indem er Biographisches und Werkgeschichtliches referierte. Gerhard Midding, Filmkritiker, stellte das Œuvre von Nicholas Ray in den Kontext der Rezeption und der überschwänglichen Resonanz, die dessen Filme in der französischen Filmkritik der „Cahiers de Cinema“ erfuhren. Jennifer Borrmann, Filmwissenschaftlerin, untersuchte Fatih Akins Filme nach Gemeinsamkeiten, was Sprache und Religion, Politik und Musik angeht. Und erklärte dabei, dass sich Akin dagegen wehrt, als Autorenfilmer gesehen zu werden. Allein diese Vorträge von theoretisch-betrachtender Seite waren geeignet, den Regisseur als solchen im Spannungsfeld von Wollen und Dürfen, von Anspruch und Bedingungen, von Kunst und Kommerz zu zeigen – und seinen Umgang mit den Zwängen, die ihm auferlegt, mit den Beschränkungen, die ihm von produktionstechnischer – zum Beispiel im US-Studiosystem –, finanzieller, logistischer, genrekonventioneller Seite aufgebürdet waren. Wie sich der Regisseur entfalten kann in einem System, an dem er sich reiben muss: Das war letztlich der Kern der Diskussionen, dem sich die Referenten und die Zuhörer an diesem Wochenende annäherten.
Er sei ein Autorenverfilmer, kein Autorenfilmer, erklärte Dominik Graf – er werde sich immer bemühen, die Ideen seiner Autoren getreulich umzusetzen. Die Verpflichtung: „Wenigstens der Autor soll sagen: genauso hab ich’s mir vorgestellt.“ Das ist einerseits ein klares Bekenntnis zu Handwerklichkeit, zum Einsetzen des eigenen Talentes im Rahmen kollektiver Kreativität – und ist andererseits natürlich ein kokettes Sichkleinmachen, ein Spiel mit der eigenen Bescheidenheit. Denn Graf weiß ganz genau, dass er einen eigenen Stil hat, der eine gewisse Wahrhaftigkeit in seine Filme hineinbringt – Seitenblicke auf kleine Details etwa, oder das Übereinanderstülpen vieler kleiner Tätigkeiten im Rahmen einer größeren Mission: Die Details des Büroalltags inmitten hektischer Ermittlungsarbeiten seien ihm die liebsten Szenen, wenn es ums Inszenieren von Polizeikrimis geht… Und Graf weiß, dass er einen Ruf hat bei den Fernsehanstalten, dass sie genau wissen, was sie wollen, wenn sie einen Dominik-Graf-Film bestellen – auch von den Themen und Motiven her, die Graf interessieren: Spannende Szenen, spannende Plots und nicht irgendeine humanistische Botschaft interessierten ihn, betonte Graf in seinem Werkstattbericht über seinen Film „Der Skorpion“ von 1997 – ein meisterhafter Thriller, der Vater-Sohn-Geschichte, eine abgründige Liebesstory und Serienkillerkrimi zugleich ist. Im Übrigen sind Graf die Reibungen, die sich an den zeitlichen und finanziellen Grenzen ergeben, die ihm von Produktionsgesellschaften und Fernsehanstalten vorgegeben werden, wichtig: Innerhalb bestimmter Schranken sich zu entfalten kann die inszenatorische Kreativität um das entscheidende Maß befeuern.
Wie verhält es sich, wenn den Filmemachern freie Hand gegeben wird? Dirk Wilutzky hat 13 Filmemacher versammelt, die ohne Einschränkungen filmen konnte, was ihnen zur Lage der Nation einfiel: „Deutschland 09“ ist ein Experiment, das insgesamt wunderbar gelungen ist. Und das bei Teilen der Kritik in Ungnade gefallen und an der Kinokasse mit lediglich 29.000 Zuschauern durchgefallen ist. Die Namen der beteiligten Regisseure sind zugkräftig: u.a. Graf, Tykwer, Levy, Akin, Wolfgang Becker, das Konzept interessant – 13 unabhängige Kurzfilme, geeint in der Thematik, sich mit dem aktuellen Status von Deutschland auseinanderzusetzen –, und der Unterhaltungswert des Films ist hoch – auf eine schwächere Episode werden sicherlich mehrere stärkere folgen. Interessant ist, wie die Filmemacher mit der Freiheit umgehen, die ihnen der Produzent bei diesem Projekt zugestand: von kleinen, gar minimalistischen essayistischen Aberçus bis zur größer angelegten phantastisch-satirischen Story ist alles dabei. Der freien Entfaltung des Autorenfilms stand nichts entgegen – doch ist dieser Begriff ohnehin so unscharf, so weit gefasst, dass immer wieder in Frage gestellt wurde, wer und was damit verbunden werden kann.
Ist Brigitte Bertele eine Autorenfilmerin? Bisher hat sie zwei Langspielfilme gedreht, und tatsächlich sind in den Geschichten um einen Afghanistanheimkehrer in „Nacht vor Augen“ (2008) und um ein Vergewaltigungsopfer in „Der Brand“ (2011) thematische Gemeinsamkeiten – die Verarbeitung eines Traumas etwa, oder die Ignoranz des Umfeldes – gegeben. Die aber auch damit zusammenhängen können, dass beide Filme mit Johanna Stuttmann dieselbe Drehbuchautorin aufweisen…
Bertele jedenfalls hat sich inszenatorisch in ihren beiden Spielfilmen immerhin gesteigert – „Nacht vor Augen“, der beim Symposium gezeigt wurde, leidet an allzu vielen Offensichtlichkeiten, an gewissen Unbeholfenheiten in Dramaturgie (die Rückblenden!) und Psychologie (ausgestellte Ignoranz, Naivität, Gleichgültigkeit bei Eltern, Kumpels, Geliebter) sowie an fehlendem Einfühlungsvermögen in die Figuren. Andererseits war dieser Film – und Berteles Werkstattbericht – ein prägnantes Beispiel für die Anfänge einer Regiekarriere. Bertele plauderte aus dem Nähkästchen der Filmhochschulen, der Ausbildung, der ersten Schritte auf dem Markt.
Inwiefern Filmhochschulen die Eigenständigkeit ihrer Regieabsolventen fördern, wie originell die Jungfilmer sein dürfen, sein sollen, sein müssen, um einerseits auf sich aufmerksam zu machen, um andererseits aber auch in die Muster von Fernsehen und Mainstreamkino zu passen, wieweit eine eigene Handschrift des Filmemachens hilfreich ist, um sich als Filmhochschulabsolvent gegen hunderte Mitbewerber im Gerangel um Filmaufträge durchzusetzen – das ist im Grunde dieselbe Frage wie die nach den Eigenheiten von Hollywoodregisseuren im restriktiven Studiosystem vor einem halben Jahrhundert; nur anders gewendet, anders gestellt in einem heutigen, zwar freieren, aber auch selbstverantwortlicheren und durchökonomisierteren System der Filmproduktion. Antworten konnten natürlich auf dem Symposium keine gegeben, nur Ansichten und Einsichten ausgetauscht, Debatten geführt und Einzel- und Gesamtaspekte durchdiskutiert werden.
Doch wie sehr sich die Gespräche an den Kern der Fragestellung annäherten, zeigt sich auch daran, dass das Grundsätzliche – spielerisch – in Frage gestellt werden konnte: Denn was genau suchen wir eigentlich, wenn wir dem Geist des Regisseurs, der vielleicht durch seinen Film weht, auf der Spur sind: Ist es tatsächlich seine Handschrift, eine Metapher, die bei genauem Hinsehen und tieferem Nachdenken doch ins Stolpern gerät? Und welche Perspektiven auf denselben Gegenstand ergäben sich, wenn man ihn umschreiben würde mit Weltsicht, inszenatorischem Zugriff, Persönlichkeit? Mit Stimme, Weltsicht oder Seele gar?
Harald Mühlbeyer