Berlinale-Retro 2025: „Einer von uns beiden“ von Wolfgang Petersen

„Wild, schräg, blutig. Deutsche Genrefilme der 70er“ – so hieß die Retrospektive der Berlinale 2025. Harald Mühlbeyer hat sich alle Filme angesehen


BRD 1974, Regie: Wolfgang Petersen, mit Klaus Schwarzkopf, Jürgen Prochnow, Elke Sommer, Otto Sander, Claus Theo Gärtner

 

Sie haben vorher schon einmal zusammengearbeitet, Wolfgang Petersen, Jürgen Prochnow und Klaus Schwarzkopf, im fabelhaften Tatort „Jagdrevier“ 1973, ein in Tatortform gegossener Italowestern in Schleswig-Holstein. Nun Petersens Debüt-Kinofilm: Er beginnt mit einer Abrissbirne, die ein Haus einreißt, und endet im Neubau, ein frisch hochgezogener Wohnblock. Dazwischen ein erbitterter Zweikampf zwischen zwei Männern. Den einen, Bernd Ziegenhals, sehen wir zunächst durchs Fenster, im Bett liegend, mit gelöstem Gesichtsausdruck und unter der Decke bebenden Armen… Ein Wichser, ganz offensichtlich, und zwar wirklich: sozial ziemlich untere Schublade, abgerissen, hat sich als Student verbrannt und findet alle anderen scheiße. Außer die, die mit ihm in der Hinterhofbruchbude wohnen, zum Beispiel der famose Vermieter, alter Hase, der schon 1928 gemerkt hat, was der Hitler für einer ist, und jetzt seine Sprüche klopft: Willst du seinen Stecken hart, gib ihm Bier von Engelhardt! Das ist gemünzt auf Miezi, Hure mit Herz, gespielt von Elke Sommer, die aufhören will, aber warum eigentlich, wenn die Männer ihr’s Geld hinterhertragen…

Diesem Milieu entgegengestellt: Die Villa von Prof. Rüdiger Kolczyk, Klaus Schwarzkopf als soziologische Koryphäe, aber sozial auch nicht so dolle. Wie er mit seiner Frau umspringt, die er offensichtlich für reichlich dümmer hält! Und seiner Tochter sanft die richtigen Freunde zuweist, beziehungsweise ihr paternalistisch die falschen abspenstig macht… „Der Zerfall der sozialen Systeme“, so heißt sein neuer, anvisierter soziologischer Bestseller, die Sekretärin spricht er mit „Meine Schöne“ an, aber dann taucht der abgehalfterte Ziegenhals auf.

Der nämlich bei einer langweiligen SPD-Ortsvereinsitzung von einem alten Bekannten angequatscht wurde, ob er ihm nicht was ghostwriten kann, für 150 Mark. Und dabei entdeckt er was, aus einer aus den USA mitgebrachten Diss-Kopie. Nämlich: Der Herr Professor hat damals, 1951, seine Promotion komplett abgeschrieben. Also: Erpressung! 10.000 Mark sofort, dann ein monatliches Taschengeld von 1500 Mark. Bis einer von den beiden nicht mehr kann, bis einem die Nerven durchgehen.

Und sich gegenseitig die Nerven zu zerrütten, das ist von nun an die Hauptaufgabe der beiden! Dabei spielt auch immer wieder Krimi mit rein, Miezi wurde nämlich von ihrem Ex-Zuhälter abgepasst, und dann tot aufgefunden… Da sind irgendwie beide mit reinverwickelt, der Prof und sein Erpresser, und beide sich müssen vorsichtig an den anderen ranschleichen: Den anderen schlechtmachen, ihm drohen… Prochnow lässt bei einer Aussprache sein Auto auf einem Parkplatz wild umherkreisen, bis Schwarzkopf zur Türe rauskotzt, dieser hat feinere Methoden: Lässt sich beim Arzt Tabletten versschreiben, die den Urin grün färben, und schickt sie seinem Widersacher; dann auch noch ein Paket, das tickt – Prochnow flippt fast aus, eine Briefbombe!

Petersen inszeniert diesen Pingpong zwischen den beiden tatsächlich als eine Art Spiel, ein böses freilich, und zwar zwischen zwei Männern, die jeder für sich unsympathisch sind. Immer wieder gibt es Kollateralschäden an der Seite – beim Professor die Familie, bei Ziegenhals auf gewisse Weise Miezi, vor allem aber seinen Kumpel Otto Sander, dem beim Zigarettenanzünden das Auto um die Ohren fliegt – der Prof hatte den Rücksitz mit Benzin getränkt, das Auto voll flammbarer Gase…

Der Zerfall sozialer Strukturen: Der Typ, der nicht arbeiten, aber die Vorteile des großbürgerlichen Lebens genießen will, der Großbürger, der zum Barbar wird. Gegen Ende Ziegenhals‘ großer Coup: Er macht sich an des Professors Töchterlein ran, das ist erstmal ein weiterer Zug in dieser Schlacht, aber vielleicht entwickelt er tatsächlich Gefühle; zumal mit der Verbindung ja sowieso seine materiellen Sorgen gestillt, seine Wünsche erfüllt scheinen. Die Schlussszene symbolisch im Neubau, er plant schon Wohnzimmer und Essecke. Und ahnt nicht, dass das „einer von uns beiden“ bedeutet, dass immer der andere mit in den Abgrund gerissen werden wird.

 

Harald Mühlbeyer


Die weiteren Filme der Berlinale-Retrospektive 2025 „Wild, schräg, blutig. Deutsche Genrefilme der 70er“:

 

„Blutiger Freitag“ von Rolf Olsen

„Deadlock“ von Roland Klick

„Fleisch“ von Rainer Erler

„Fremde Stadt“ von Rudolf Thome

„Hut ab, wenn du küsst!“ von Rolf Losansky

„Jonathan“ von Hans W. Geißendörfer

„Lady Dracula“ von Franz Josef Gottlieb

„Mädchen mit Gewalt“ von Roger Fritz

„Männer sind zum Lieben da“ von Eckhart Schmidt

„Nelken in Aspik“ von Günter Reisch

„Nicht schummeln, Liebling!“ von Joachim Hasler

„Orpheus in der Unterwelt“ von Horst Bonnet

„Rocker“ von Klaus Lemke

„Die Zärtlichkeit der Wölfe“ von Ulli Lommel