Berlinale-Retro 2025: „Mädchen mit Gewalt“ von Roger Fritz

„Wild, schräg, blutig. Deutsche Genrefilme der 70er“ – so hieß die Retrospektive der Berlinale 2025. Harald Mühlbeyer hat sich alle Filme angesehen

 

„Mädchen mit Gewalt“

BRD 1970, Regie: Roger Fritz, mit Helga Anders, Klaus Löwitsch, Arthur Brauss, Rolf Zacher, Henry van Lyck

 


Arthur Brauss, Klaus Löwitsch, Helga Sanders: „Mädchen mit Gewalt“ ist über weite Strecken ein brutaler Film mit diesen dreien – mit den beiden Männer und der Gewalt, die sie dem Mädchen antun.

Brauss spielt Mike, Löwitsch spielt Werner, ein eingespieltes Team, eine Freundschaft, die über die Frauen funktioniert. Am Filmanfang sitzen sie da, lächelnd, eine nackte Frau zieht sich an, sie schauen zu, befriedigt, fahren sie dann zurück, lachen befreit. Gemeinsam knacken sie sie alle! Sie schleichen sich hinter ein Haus in den Garten, begaffen die Nackte dort, die sich sonnt, die ist empört, zieht sich zurück, ängstlich, läuft die Treppe hoch, die beiden hinterher – es ist eine alte Geschichte zwischen ihnen, an ihrem Mann vorbei, aber sie will grad nicht. Naja, es gibt ja andere! Vom Auto aus machen sie zwei an: He, das viele Laufen macht eure schönen Beine kaputt! Es entwickelt sich ein aggressiver Flirt, die beiden machen frech mit, wollen ins Kino, im Dunkeln in die hinterste Reihe. Aber Mike und Werner können es sich leisten, auch mal was sausen zu lassen. Die waren eh schon ziemlich abgefeiert.

Werner ist der dominantere, am Arbeitsplatz hat er Mike gegenüber das Sagen, ohnehin ist er körperlich viel stärker dabei, hat eine große Schnauze. Beim Kartfahren gegen ein paar Studenten, da geht er aggressiv vor, rammt die anderen, stößt gezielt in Lücken. Ein Unfall hält ihn kaum auf, führt vielmehr fast zur Schlägerei. Rolf Zacher ist hier sein Widersacher, sie beschließen, das ganze in der Kneipe zu regeln.

Und hier, bei Bier und Schnaps und in Gesellschaft von zwei Männern, aber drei Frauen, da schlägt Mikes Stunde. Er kann die eine, die ohne Begleitung da ist, rumkriegen. Wenn ihm Werner nicht reinquatscht. Der geht lieber rein bei einer kleinen Schlägerei, die sich wieder mal anbahnt, weil Henry van Lyck als Aggrotyp Rolf Zacher eine reinwummern will. Währenddessen bequatscht Mike Alice, die so alleine ist, tanzt mit ihr. Und als die anderen weiterziehen wollen – um die beiden, die sich an sich rangehängt haben, abzuhängen –, da lassen sie sich von Alice einladen. Und fahren den anderen voraus zum Baggersee in der Kiesgrube an der Autobahn nach Stuttgart. Oder…?

Sie fahren zu einer Kiesgrube. Die anderen tauchen nicht auf. Alice schleppt den Bierkasten zum Feuer, sie wartet auf die anderen, irgendwann badet sie im See, nur in Höschen. Mann, bin ich spitz. Die macht mich so geil! Werner ist kaum noch zu bändigen. Die ist doch total ausgebufft, wie sie ihn reizt! Nee, die ist naiv, weiß Mike. Warte noch. Warte.

Die anderen kommen nicht. Alice will gehen. Mike: Ich glaube nicht, dass wir dich schon heimfahren wollen. In diesem Moment beginnt ihr klarzuwerden, in welcher Situation sie steckt. Gewalt. Gewalt überall, es gibt keinen Ausweg. Die Kamera fängt die Nacht ein mit ihren Schatten, mit den Silhouetten von Schrotthaufen und rostigen Maschinen und Silotürmen; und Alice lässt sich ein auf eine Wette, die die beiden Männer als Spiel auffassen, für sie aber ernst ist. Verstecken – wenn sie die beiden findet, fahren die sie heim. Nein. Das wird nie geschehen. Was geschieht ist, dass Werner sie jagt, sie fasst, sie packt, zu Boden wirft, schlägt, das Kleid aufreißt, die Brüste bloßlegt, das Höschen runterzieht, sie brutal, wirklich brutal vergewaltigt. Die Brutalität wird noch verstärkt durch Mike, der im Auto um die Szenerie herumrast, die Autoscheinwerfer immer wieder auf dem Paar, und auch er wird geil hinterm Steuer, findet dort Erfüllung…

Es ist noch keine Stunde des Films um, als für Alice alles vorbei ist. Sie wird traumatisiert, gebrochen durch den weiteren Film wanken, nicht mehr sie selbst. Zumal Mike wieder Oberhand hat, am nächsten Morgen, und in einer unglaublichen Sequenz ihr vorhält, wie sie sich nun zu verhalten hat nach der Vergewaltigung. Er malt ihr in allen Schrecknissen aus, wie sie von Polizisten verhört wird, die alle Einzelheiten ihrer Intimität wissen wollen, wie im Prozess die Verteidigung ihr Vorleben aufrollen wird, mit all den HWG – häufig wechselnden Geschlechtspartnern. Wie der Staatsanwalt auch nur in sie eindringen will, nicht Hilfe, sondern Ausbeutung ihrer Geschichte. Wie all dies nur eine weitere, enorme Massenvergewaltigung sein wird…

Roger Fritz zieht alle Register der filmischen Figurendynamik. Lässt die Dominanz geschickt schillern zwischen Mike und Werner, und zeigt, wie durch Psychodruck, durch unbarmherzige Manipulation diese junge Frau gedrängt wird, bedrängt, sich in ihr Schicksal zu fügen.

Die Darsteller sind dabei unglaublich, Brauss, die fiese Fresse, die so charmant ihre intelligente Bosheit ausbreitet, Löwitsch – Bundesfilmpreis für diese Rolle – als brutaler Aufreißer, der zugleich sanft sein kann, wenn er will, wenn es ihn weiterbringt. Und Helga Anders, die Unschuld vom Lande, die tatsächlich naiv ist, die das Pech hat, diesen beiden zu begegnen, die wissen, was sie wollen, und die das schon oft genug getan haben, um zu wissen, wie sie ans Ziel gelangen und auch wieder rauskommen, unbeschadet. Anders‘ Alice wird zur bloßen Hülle, seelisch schlimmst verwundet, die sich immer wieder an den einen oder den anderen ihrer Peiniger hält; weil sie nicht anders kann, weil die sie in den Fängen haben, physisch und psychisch.

Dass Werner und Mike sich prügeln, um sie, aber auch um die vergangenen Jahre, ist nicht weiter verwunderlich: Ihre Männlichkeit beziehen sie aus dem gemeinschaftlichen Aufreißen von Frauen, ob die wollen oder nicht. Sie wissen, irgendwo tief drinnen, sie können nicht ohne einander, sind aufeinander angewiesen, wenn sie ihre brutale Sexualität ausleben wollen. Wie sie sich wälzen, einander schlagend, tretend, das ist sieht aus wie die Vergewaltigung in der Nacht zuvor. Nur, dass zwischen diesen beiden das Einverständnis besteht, einander zu brauchen für das, was sie für Liebe halten.

 

Harald Mühlbeyer

 

Die weiteren Filme der Berlinale-Retrospektive 2025 „Wild, schräg, blutig. Deutsche Genrefilme der 70er“:

 

„Blutiger Freitag“ von Rolf Olsen

„Deadlock“ von Roland Klick

„Einer von uns beiden“ von Wolfgang Petersen

„Fleisch“ von Rainer Erler

„Fremde Stadt“ von Rudolf Thome

„Hut ab, wenn du küsst!“ von Rolf Losansky

„Jonathan“ von Hans W. Geißendörfer

„Lady Dracula“ von Franz Josef Gottlieb

„Männer sind zum Lieben da“ von Eckhart Schmidt

„Nelken in Aspik“ von Günter Reisch

„Nicht schummeln, Liebling!“ von Joachim Hasler

„Orpheus in der Unterwelt“ von Horst Bonnet

„Rocker“ von Klaus Lemke

„Die Zärtlichkeit der Wölfe“ von Ulli Lommel