Berlinale-Retro 2025: „Orpheus in der Unterwelt“ von Horst Bonnet

„Wild, schräg, blutig. Deutsche Genrefilme der 70er“ – so hieß die Retrospektive der Berlinale 2025. Harald Mühlbeyer hat sich alle Filme angesehen

 

„Orpheus in der Unterwelt“

DDR 1974, Regie: Horst Bonnet, mit Dorit Gäbler, Wolfgang Greese, Rolf Hoppe, Achim Wichert, Gerry Wolff, Helga Piur, Fred Delmare

 

Alles so schön bunt! Und groß! Und ausgelassen albern! Und einen solchen Larifari-Götterhimmel hat man seit Reinhold Schünzels „Amphitryon“ nicht mehr gesehen, eine Operette der Nazizeit, in der die Oberen ganz schön verhohnepipelt werden… Nicht unähnlich diesem Film, „Orpheus in der Unterwelt“, 1974 von der Defa produziert, ebenfalls in einer Diktatur, ebenfalls mit Lächerlichmachung der Obrigkeit, und das auf musikalischer Grundlage…

Der Film wurde auf 70mm gedreht, als letzte Defa-Produktion, inzwischen auf 4K digitalisiert, und das ist ganz wichtig, damit man alle Details sehen und in ihnen schwelgen kann: der Badeschaum, aus dem die Wolken gemacht sind, die Puppen, die unbeweglich in den Flugmaschinen vom Olymp in die Unterwelt schweben… Das ist Absicht, alles ist ein Kinderspiel (für Erwachsene), die Tricks sehen aus wie aus dem Sandmännchen.

Erzählt wird alles von Jacques O., das ist der J. Offenbach, der die Operettenmusik geschrieben hat, die den Film durchzieht, bis zum bekannten Cancan, den am Ende die Höllentänzerinnen zum Besten geben. Er fliegt mit einer Flugmaschine vom gemalten Postkartenparis hin über Theben, da guckt er durchs Fernglas runter, das ist eine Art Kulissenstädtchen, in dem sich Antike und Operettenparis des Fin de Siècle mischen; das erste, was wir sehen, ist ein Puff, aus dem ein Pfaffe rauskommt. In diesem Städtchen lebt Orpheus, Musikprofessor, der auch einige städtische Ämter innehat, wie es in der DDR eben so ist, und gerade auf Tournee durch die Provinz ist – wir sehen ihn, wie er sich in der Badewanne mit allerlei schönen Nackedeis vergnügt. Seine Gattin Eurydike wiederum hat ihre vormittäglichen Schäferstündchen, beim Schäfer, da singt sie denn auch postkoital. Der Gatte kommt zu früh, erwischt sie, und zur Strafe gibt es ein Violinenkonzert, er geigt ihr seine Meinung.

Der Schäfer ist eigentlich Pluto, der Unterweltteufel, er will Eurydike rauben; wie auch im Olymp alle sich dem süßen Nichtstun ergeben, das heißt, sich ihren Lüsten ergeben. Diana beispielsweise kommt im SM-Outfit daher, mit strenger Brille, transparentem Top, Lederhandschuhen, Reitgerte. Merkur hat Minirock an, fährt mit dem fliegenden Hochrad, und kriegt eigentlich keine ab, obwohl er will. Jupiter – Rolf Hoppe – ist ein glatzköpfig-dicker Lüstling, der heuchlerisch Moral anmahnt; „Wir Götter genießen nicht mehr das alte Ansehen“, und „wenn das so weitergeht, kommen wir noch in einer Operette vor“, und seine eigenen ständigen Seitensprünge, das sind nur Lügen der Materialisten, die ihn unmöglich machen sollen. Da wird fleißig die offizielle DDR-Sprache persifliert, und das Ganze auf der Offenbach-Basis, und das Ganze als Film, in dem alle dauergeil sind.

Der Unterschied zur (westdeutschen) Sexklamotte jener Zeit: Die Dauergeilheit der Protagonist*innen soll nicht das Publikum geil machen; es geht nicht um Lust, sondern um Lustigkeit, und die gibt es reichlich.

Irgendwann gibt es Revolution im Himmel, inklusive Marseillaise und französischen Fahnen, und Transparenten „Jupi ist doof“. Die Götter haben Nektar und Ambrosia satt, in der Unterwelt lockt der Champagner und alle Vergnügungen dieser Welt! Wie sie dann freudig erregt sind, wenn es runter geht in großem Aufzug, um Eurydike zu suchen – Jacques hat Orpheus überredet, sie zurückzufordern, das verlangt die Mythologie, dabei war der als fröhlicher Witwer doch so glücklich, kann er doch mit seinen aufreizenden Schülerinnen Party machen…

Unten das große Höllenfest, ein depperter Diener, eine gelangweilte Eurydike, und Jupiter als verführerische Fliege, der sie umgarnt…

Das verweist ganz kräftig auf die Tonfilmoperette der End-Weimarer-Republik, deren später Ausläufer ja „Amphitryon“ 1935 war. Und wenn die Defa nicht so superstolz auf ihren Chor gewesen wäre, der bei zu vielen der sonst so flotten Lieder den Refrain nochmal wiederholen muss… Aber wurscht, der Film ist eine Wucht, ein Fest der Sinne, opulenter Quatsch nach Herzenslust!

 

Harald Mühlbeyer

 

Die weiteren Filme der Berlinale-Retrospektive 2025 „Wild, schräg, blutig. Deutsche Genrefilme der 70er“:

 

„Blutiger Freitag“ von Rolf Olsen

„Deadlock“ von Roland Klick

„Einer von uns beiden“ von Wolfgang Petersen

„Fleisch“ von Rainer Erler

„Fremde Stadt“ von Rudolf Thome

„Hut ab, wenn du küsst!“ von Rolf Losansky

„Jonathan“ von Hans W. Geißendörfer

„Lady Dracula“ von Franz Josef Gottlieb

„Mädchen mit Gewalt“ von Roger Fritz

„Männer sind zum Lieben da“ von Eckhart Schmidt

„Nelken in Aspik“ von Günter Reisch

„Nicht schummeln, Liebling!“ von Joachim Hasler

„Rocker“ von Klaus Lemke

„Die Zärtlichkeit der Wölfe“ von Ulli Lommel