Berlinale-Retro 2025: „Nicht schummeln, Liebling!“ von Joachim Hasler

„Wild, schräg, blutig. Deutsche Genrefilme der 70er“ – so hieß die Retrospektive der Berlinale 2025. Harald Mühlbeyer hat sich alle Filme angesehen

 

„Nicht schummeln, Liebling!“

DDR 1973, Regie: Joachim Hasler, mit Dorit Gäbler, Karel Fiala, Chris Doerk, Frank Schöbel


„Nicht schummeln, Liebling!“ sei, so erklärt die Retro-Programmkoordinatorin Annika Haupts vor der Vorführung, „das beste Musical der diesjährigen Berlinale, bei weitem!“

Diese Aussage stimmt bedenklich, weil sie damit die eigenen Retrofilme „Orpheus in der Unterwelt“ oder „Hut ab, wenn du küsst!“ runtermacht, und auch so etwas wie den Teddy-Award-Gewinner „Lesbian Space Princess“, und überhaupt die Frage aufwirft, ob sie tatsächlich alle Filme der Berlinale gesichtet hat.

Denn „Nicht schummeln, Liebling!“ ist zwar pures Genre, aber eben auch nur Genre, total straight forward, ohne doppelten Boden. Reines Unterhaltungskino für die Massen, die gerne heitere Schlagermusik und fröhliche Tanzeinlagen sieht. Das ist nicht verwerflich, und im Übrigen der Grund, warum es die Kategorie „Genrefilm“ überhaupt gibt. Die Leute wissen, was sie bekommen, bei einem Film mit Chris Doerk und Frank Schöbel, dem Traumpaar des DDR-Schlagers Anfang der 1970er, und zack, der Film liefert.

Ob dieser Anspruch, populär zu sein und zu gefallen, den Film zum „besten Musical“ des Berlinalejahrgangs macht, das mag Geschmackssache sein. Wirklich bedenklich stimmt die Aussage von Haupts, weil der Film so viele Unzulänglichkeiten hat. Und man sich fragt, wie es mit der Retrospektive denn weitergehen mag in der Filmauswahl, wenn nun Rainer Rother in Rente geht. Wie qualitätsvoll wird die Filmauswahl sein, wenn hier explizit das Gefällige allem anderen vorgezogen wird? Man wird sehen, in einem Jahr…

Die Probleme des Films sind vielfältig, das beginnt mit der unzureichenden Figurencharakterisierung, wenn sich die Protagonisten nur deshalb zu Paaren sich formen, weil das Drehbuch es will: Chris Doerk als Schülerin Brigitte und Frank Schöbel als Fußballer Bernd, dazu Dorit Gäber als Dr. Barbara Schwalbe - als Rektorin von Brigitte im wirklichen Leben jünger als sie – und Bürgermeister Karli, der total fußballverrückt ist. Es werden Konflikte heraufbeschworen, die sich dann plötzlich in Liebe auflösen; naja, sowas kennt man auch aus dem BRD-Kino dieser Zeit. Fortschrittlich ist der Film in seinem Frauenbild (auch wenn das Töpfchen-Deckelchen-Prinzip uneingeschränkt gilt), weil Brigitte durchaus mit ihrem Vorleben prahlt, sie will halt auch ihren Spaß haben mit den Jungs, und weil Frau Schwalbe ein Frauen-Fußballteam aufstellt, in einer Zeit, in der der westdeutsche DFB bei dieser Frage eine Horde von Exorzisten sich wünschte, um die Frauen vom Platz wegzuhalten. Nur, dass die Fußballszenen (zwei Stück im ganzen Verlauf) sehr läppisch sind (wiewohl Frank Schöbel, laut Wikipedia, immerhin Hobbyfußballer ist). Zumal beim Frauenspiel ist zu erkennen, dass die Damen, die ja eigentlich Tänzerinnen sind, wenig Ahnung von diesem Sport haben, und mutmaßlich Regisseur Joachim Hasler (der auch die Kamera führte) ebensowenig.

Dazu kommt, dass Gags versemmelt werden; zum Beispiel, dass ein Jugendclub aus dem halbverfallenen Schützenhaus erschaffen werden soll. Deshalb ist es dort dunkel, und im Rathaus auch, weil, so die beiden Elektriker Fritze und Paule (eine Frau), die Gebäude leitungsmäßig zusammenhängen. Eine solch hanebüchene Behauptung wäre gerechtfertigt, wenn sich aus der Situation etwas ergäbe. Aber es wird zwar immer wieder dunkel (dunkel bedeutet: Wir sehen immer noch alles, nur zwei Grad Helligkeit weniger – also auch bildtechnisch eher unterirdisch) – es wird also zwar dunkel, aber im Dunklen passiert dasselbe wie im Hellen, damit ist die ganze Sache verschenkt.

Hochinteressant ist, wie mit diesem Film bestätigt wird, wie sehr sich das Defa-Kino nach Popularität sehnt – indem es sich titelmäßig anlehnt an May Spils‘ „Nicht fummeln, Liebling“ von 1970. Nur, dass dieser Film zwar Komödie, aber vor allem flott und subversiv ist. „Nicht schummeln, Liebling!“ dagegen ist ein Film für alle, die „Friedrichstadtpalast“ und „Ein Kessel Buntes“ mögen, aber mehr halt nicht.

 

Harald Mühlbeyer

 

Die weiteren Filme der Berlinale-Retrospektive 2025 „Wild, schräg, blutig. Deutsche Genrefilme der 70er“:

 

„Blutiger Freitag“ von Rolf Olsen

„Deadlock“ von Roland Klick

„Einer von uns beiden“ von Wolfgang Petersen

„Fleisch“ von Rainer Erler

„Fremde Stadt“ von Rudolf Thome

„Hut ab, wenn du küsst!“ von Rolf Losansky

„Jonathan“ von Hans W. Geißendörfer

„Lady Dracula“ von Franz Josef Gottlieb

„Mädchen mit Gewalt“ von Roger Fritz

„Männer sind zum Lieben da“ von Eckhart Schmidt

„Nelken in Aspik“ von Günter Reisch

„Orpheus in der Unterwelt“ von Horst Bonnet

„Rocker“ von Klaus Lemke

„Die Zärtlichkeit der Wölfe“ von Ulli Lommel