Berlinale-Retro 2025: „Hut ab, wenn du küsst!“ von Rolf Losansky
„Wild, schräg, blutig. Deutsche Genrefilme der 70er“ – so hieß die Retrospektive der Berlinale 2025. Harald Mühlbeyer hat sich alle Filme angesehen…
„Hut ab, wenn du küsst!“
DDR 1971, Regie: Helmut Losanksy, mit Angelika Waller, Alexander Lang, Rolf Römer, Günter Junghans
Man stelle sich vor, wie eine musikalische Komödie von 1971 in der BRD aussehen würde: Mindestens Roy Black wäre dabei als Sänger, wie ein paar Jahre zuvor Heintje, ein paar weitere Jahre zuvor Peter Alexander oder die Connie und der Peter. Es wäre ein Film mit schrecklichster Schlagermusik, in dem der boy versucht, sein girl zu kriegen, gegen irgendwelche hanebüchenen Hindernisse, die ihnen von lachhaften Figuren in den Weg gestellt werden.
Und dagegen dieser Defa-Film: „Hut ab, wenn du küsst“, in dem alles komplett anders ist. Ein Film, der die Möglichkeit des besseren, des „richtigen“ Filmmusicals zeigt, von dem der westdeutschen Film allerdings weit, weil abgewichen ist, weil er schon lange, vermutlich in der Nazizeit, aufs falsche Gleis gesetzt wurde.
„Die, zu der wir fahren, ist die allerschönste“, singt Fred auf dem Weg zu seiner Liebsten, er hat ihr ein schönes Kleid und einen schönen Hut gekauft: als pädagogisches Hebelchen, „ich bau sie mir nämlich um.“ Denn: Seine Petra ist Automechanikerin. Im Overall, ölverschmiert, entspricht sie überhaupt nicht seinem Ideal von Weiblichkeit, und dementsprechend lässt er seine Sprüche los. Die sie geschickt kontert, weil sie weiß, dass ihr Beruf – ein technischer noch dazu! – sie erfüllt.
Der Konflikt, der boy und girl trennt, kommt also aus ihnen selbst, sprich: aus ihm selbst. Aus seiner chauvinistischen Einstellung, der sie sich mit Verve entgegenstellt. Das ist natürlich nicht subversiv, vielmehr auf Linie der DDR-Weltanschauung, die den Frauen berufliche Rechte zugesteht, die im Westen noch Jahrzehnte nicht einmal ansatzweise in den Köpfen der Bosse in Wirtschaft und Politik ankommen würden. So dass der Film sich heute, nach fast 55 Jahren, so echt und frisch und aktuell anfühlt wie nur wenige Komödien aus dieser Zeit; und schon gar nicht kunterbunte Musicals.Petra freundet sich mit Juan an, seines Zeichens Ladies Man aus Pyronien, irgendwo in Südamerika, und Neffe des Konsuls, der die Autoim- und exportgeschäfte seines Landes regelt. Alle sind unterwegs zu Automesse in Leipzig – die Stadt wird schön in Szene gesetzt, mit langen Fahrten der Kamera durch die Straßen. Dort lernt sie auch noch Herrn Schramm kennen, der irgendwie da ist, und vielleicht kann man in ihm, verbrämt, einen Abgestellten der Staatssicherheit sehen, der der pyronischen Delegation zugeordnet ist. Vielleicht auch nicht – jedenfalls: drei Verehrer für Petra, und mit zweien von ihnen will sie ihren Fred eifersüchtig machen, ihn zähmen, dass er sieht, was wirklich in ihr steckt.
Der Film wird aufgelockert durch sketchartige Szenen, die recht pointiert die Einstellung vieler Männer gegenüber Frauen zeigen (oder auch einfach nur lustig sind: Radeberger trinken unter der Dusche!), durch schwarzweiße Stummfilmeinlagen, überdreht, die die Gedanken auf absurde Weise wiedergeben in Slapstickform, vor allem aber über die Songs, die weit entfernt sind vom BRD-Schlagerschmalz; die sich nicht ergehen in simplem Strophe-Refrain-Soße, in einfachen Reimen mit vierhebigem Jambus, sondern die tatsächlich Wortwitz haben, Satzrhythmus, die Anschluss finden an die Tonfilmoperetten der späten Weimarer Republik (Opas Kino hat hier überlebt, und dabei Papas Nazikino übersprungen).
„Sie fahren entzückend! Wie ein Mann!“, sagt Juan, der ihr das Wohlstandsleben in der Pampa weismachen will, wo sie nichts mehr zu tun hat; sie antwortet: „Ich dachte, Sie wollten mit ein Kompliment machen“, denn auf den Kopf gefallen ist sie nicht.
Lass uns Männern den Motor!, heißt es von Fred, oder: Technik und Logik sind nicht euer stärkstes Fach, und: Du vermännlichst in diesem Beruf. Und immer wieder gerät Fred ins Mansplainen, wenn er ihr die Grundlagen der Logik und der Rationalität beibringen will, ohne zu merken, wie er sich immer mehr verheddert in den Wirren seiner verqueren Ideen. Der Fortschritt, das weiß er, wird in Zukunft dafür sorgen, dass viel weniger Arbeitskräfte gebraucht werden, so dass Frauen wieder ihren natürlichen Neigungen nachgehen können – in einer der Slapstickszenen sieht sie schreckhaft ihr Leben mit zig Kindern.Es ist nicht subtil, was der Film aussagen will, aber das macht es nicht weniger richtig und wichtig, und nicht weniger lustig. Weil hier die Screwballkomödie mal so richtig ausgespielt wird, im Geschlechterkampf, der von Seiten der Männer von vornherein mit falschen Voraussetzungen und falschen Zielen vorangetrieben wird. Mit der Pointe: Beim Professor, der erklärt hat, dass Frauen die kleinere Gehirnmasse haben, hat man’s Gehirn leider erst nach seinem Tod ausgemessen.
Harald Mühlbeyer
Die weiteren Filme der Berlinale-Retrospektive 2025 „Wild, schräg, blutig. Deutsche Genrefilme der 70er“:
„Blutiger Freitag“ von Rolf Olsen
„Deadlock“ von Roland Klick
„Einer von uns beiden“ von Wolfgang Petersen
„Fleisch“ von Rainer Erler
„Fremde Stadt“ von Rudolf Thome
„Jonathan“ von Hans W. Geißendörfer
„Lady Dracula“ von Franz Josef Gottlieb
„Mädchen mit Gewalt“ von Roger Fritz
„Männer sind zum Lieben da“ von Eckhart Schmidt
„Nelken in Aspik“ von Günter Reisch
„Nicht schummeln, Liebling!“ von Joachim Hasler
„Orpheus in der Unterwelt“ von Horst Bonnet
„Rocker“ von Klaus Lemke
„Die Zärtlichkeit der Wölfe“ von Ulli Lommel