"Book of Eli" - Am Ende war das Wort
Naturaufnahmen eröffnen diesen Film. Doch die Natur ist anders als wir sie kennen. Asche fliegt anstelle von Blättern durch die Luft, Asche ersetzt das Laub auf dem Boden. Eine magere, felllose Katze sucht im Wald, in der Nähe von menschlichen Skeletten, nach Nahrung. Sogar eine Atemschutzmaske liegt halb vergraben am Boden. Ehe sich das Gesamtbild unter dem Wort Atomkrieg zusammenfügt, gleitet ein Pfeil ebenso ruhig durch den Wald wie der Schütze auf seine Beute lauerte. Die Katze wird zur Nahrung. Die Nahrung wird zum Prinzip, zum Zweck, denn allein Nahrung braucht der Mensch um zu überleben, sagt uns der neue Film der Hughes-Brüder bis zu diesem Punkt. Und das war nur die Anfangssequenz.
Ein Wanderer (Denzel Washington) nimmt uns mit auf seine Reise, 30 Jahre nach der Nuklearkatastrophe, auf seine missionarische Suche nach einem adäquaten Ort, nach einem Ort, wo das Buch, das er seit Jahren mit sich trägt, zur Geltung kommen kann. In einer Siedlung trifft er im Anführer, Carnegie, auf seinem Gegenpart (Gary Oldman). Dieser sucht nicht selber, sondern schickt seine Verbrecherbanden los, um Bücher zu suchen. Er sucht das Buch des Wanderers, eher hoffnungsvoll als überzeugt, dass es das Buch überhaupt noch gibt. Alle Exemplare wurden spätestens nach der Nuklearkatastrophe verbrannt. Beeindruckt von der Nahkampf-Versiertheit des Wanderers (die oft dem rasanten Schnitt zuzuschreiben ist), will ihn Carnegie samt Buch in seinen Diensten haben. Sein Vorhaben, das Buch eigennützig zur Manipulationswaffe gegen die Menschen zu benutzen, führt jedoch zum Konflikt; neben das Schauspielerduo/-duett/-duell treten als Weiteres brutale Verfolgungsjagden.
Fast episodisch, aber durch die ideellen Ebene hervorragend verbunden, entfalten sich vor dem Auge des Zuschauers wunderbar fotografierte, höchst stimmungsvoll aufgebaute Szenerien, die den Film atmosphärisch ergänzen, und dazu noch ein breites Publikumssegment unter den Videospielern an sich ziehen.
Aber zurück zur Katze, zur Nahrung. Sehr früh im Film wird es deutlich, dass sich manche Menschen (vielleicht korrekter „postapokalyptische Nachfahren der Menschen“), wenn auch nicht viele, nicht mit Nahrung zufrieden geben. Und genauso wie die Mehrheit in diesen Zeiten der Not bereit ist, für Wasser und Essen zu töten, sind diese wenigen bereit, für das kleine Extra namens Kulturerbe dasselbe zu tun.
Exemplarisch, und im Gegensatz zu seinen thematischen Verwandten, versetzt der Film diesbezüglich die Menschheit in die Zukunft und gleichzeitig in eine Variation der Anfangsphase ihrer Evolution. Die Suche nach Nahrung wird für viele dermaßen zum Ziel, dass Kannibalismus ein weit verbreitetes Phänomen ist. Gedanken an Erotik oder die Fähigkeit zu lesen, werden zum Privileg der wenigen Erleuchteten, der Älteren, die die Welt vor dem Atomkrieg noch mitbekommen haben, und sich noch an einige Details des Monsters, das irgendwann als Kultur galt, erinnern können. Der für die Filmwelt historische Umbruch am Ende des Films ist nicht umsonst auch der Wiedererfindung der Druckpresse zuzuschreiben.
Aber was ist aus der Kultur nach dem Atomkrieg geworden? Natürlich wurde das meiste vernichtet, das war zu erwarten. Aber das was überlebt hat wie Erinnerungen, Wissen und, im Film von zentraler Bedeutung, das Lesen, all das hat sich im Schatten des täglichen Ringens um das Überleben verkrochen und stirbt seit 30 Jahren einen langsamen Tod. Die Beziehung zum Urtext ist verloren, die Menschheit als solche droht auszusterben.
In diesem Kontext kommt Eli (dessen Name durch das Lesen (!) des Etiketts in seinem Rucksack erfahren wird), dem Wanderer, eine ganz besondere Bedeutung zu. Er ist einer der wenigen, die lesen können, vielmehr, er lässt nicht vom kulturellen Gut der Menschheit ab. Sein Buch ist seine ausnahmslose tägliche Lektüre und die Sorgfalt, mit der er mit dem Buch umgeht (niemand außer ihm darf es berühren) macht Eli zum Medium. Er verliert keine Gelegenheit, Auszüge aus dem Buch zu rezitieren und bekommt, durch die Faszination der Wörter aus dem Buch, die sich offensichtlich auch auf seinem Charakter ausgewirkt haben, eine sakrale Aura in den Augen der anderen. Da der ursprüngliche Text nicht mehr vorhanden ist, gewinnt Elis Exemplar des Buches eine eigenständige Bedeutung, zusätzlich zur Wichtigkeit des Inhalts. Das Medium als Träger und Bewahrer des Inhalts tritt hervor und wird zum Objekt der Begierde im Film. Verdeutlicht wird diese Idee durch eine Verdoppelung mit leicht anderer Nuancierung: zusätzlich zu seiner täglichen Lektüre hört Eli jeden Abend auf seinem etwas modifizierten iPod Musik. So wird die Musik auch zu einer Gefangenen in einem Medium und, zusätzlich, abhängig von der selbstgemachten Batterie, die immer wieder (für einen sehr hohen Preis) nachgeladen werden muss.
Die Kraft, der Zauber der richtigen Wörter, des Textes, erinnern an Sartres autobiographischen Kindheitsroman „Die Wörter“. Denn hier wird der Text auch zu einem Mittel der Entdeckung der Welt, hier strahlt er auch durch die rezitierende Person bis in die Hörer, hier wird der Leser zum Medium der Offenbarung des Buches, und hier steigt dieses Medium auch von einer wundersam wie blind oder schlafend aussehenden Person ab.
„The Book of Eli“ gehört durch seinen ausgeprägt diskursiven Inhalt einer Reihe von US-amerikanischen Filmen an, die seit der Jahreswende frische Luft ins deutsche Mainstream-Kino bringen. Die Themen-Trilogie von „Avatar“, „Gamer - Play or be Played“ und „Surrogates - Mein zweites Ich“, die zusammen ein dialektisches Universum zum Thema Digitalisierung und virtuelle Welten anbieten, dann „A Serious Man“, der in seinem Schöpfer endlich eine Ergänzung zu Kafka findet, und dazu „The Book of Eli“ bezeugen eine neue Dimension des Films, die sich dem breiten Publikum jetzt anbietet.
Ciprian David
"Book of Eli", USA 2010
Regie: Albert Hughes, Allen Hughes. Drehbuch: Gary Whitta. Kamera: Don Burgess. Musik: Atticus Ross, Leopold Ross, Claudia Sarne. Produktion: Broderick Johnson, Andrew A. Kosove, Joel Silver, David Valdes, Denzel Washington.
Darsteller: Denzel Washington, Gary Oldman, Mila Kunis.
Verleih: Tobis
Laufzeit: 118
Start: 18.2.2010