LOVE EXPOSURE / AI NO MUKIDASHI
Wie der Titel hellseherisch ankündigt, soll man bei LOVE EXPOSURE darauf gefasst sein, alles um sich herum zu vergessen, während man, am Sessel gefesselt, der beinah hypnotischen Aneinanderreihung von Filmmaterial ausgesetzt wird. Sion Sono entführt mit diesem Film zu knapp vier Stunden Liebeswahn, an denen man sich kaum satt sehen kann.
Was passiert aber in diesem Film? Liebe. So grob wie möglich beschriebe, sucht ein Junge seine große Liebe und trifft sie. Sein Vater ist nach dem Tod der Mutter Priester geworden, ebenfalls ein Ziel für seine Liebe suchend. Liebe sprudelt zwischen den Charakteren, in ungewöhnlichsten Formen, im Rahmen merkwürdigster und irrwitzigster Handlungen. Liebe rettet und vernichtet Welten und Konstellationen von Charakteren. Liebe missbraucht, verbraucht und erfindet Heiliges oder höchst Profanes, Liebe ist umwoben mit einer Symbolik, wie kaum zuvor im Film zum Ausdruck gebracht wurde.
Denkt man an Genres, greift sich LOVE EXPOSURE, genauso wie manche der Charaktere, alles auf, was er braucht, was gerade nötig oder unnötig, witzig, absurd oder schockierend ist. Basierend auf einer wahren Geschichte (die in den Extras der zweiten DVD geschildert wird), schafft er aus der ursprünglichen Wirklichkeit ein wunderbares zeitgemäßes Märchen. Ähnlich wird auf der Audiospur trotz der Kombination von Raviel, Beethoven und japanischer Popmusik ein zusammenhängendes Universum geschaffen.
Versucht man den Film zu interpretieren, so landet man in einem Meer von Ansätzen und Bedeutungen. Was den Rahmen der Handlung ausmacht, ist die unerschütterliche Dreieinigkeit zwischen dem Heiligen, der Erotik und die Liebe. Etwa durch die Kunst des „upskirt“-Fotografierens verdeutlicht, wo die als Bild verewigte Unterhose zum heiligen Akt des Entraubens des Geschlechts, mit höchster Diskretion und Tugend, wird. Jedoch bleibt diese Kunst nur ein Spiel, eine Etappe in der Entwicklung. Die entscheidenden Strukturschwankungen, die den Lebensrahmen des Protagonisten Yu (Takahiro Nishijima) definieren, finden zwischen dem Bild der Heiligen Maria, zwischen Perversion als Form der Erotik und zwischen Yoko (Hikari Mitsushima), als Subjekt der Liebe, statt.
Ein wichtiges Thema des Films ist die zentrale Rolle der Erotik innerhalb dieser Konstellation. Veranschaulicht durch die ethischen Normen der „Bukkake“ Pornostudios, die den Verstand des Protagonisten für die Heiligkeit der Perversion zu schätzen weiß und in daher einstellt. Oder, durch die Episode später im Film, wo Perversion sogar an den Normen des Bürgertums gemessen wird, und wo sie natürlich, als Verweigerung des Ablegens des Kindseins, zum ethischen Prinzip gemacht wird.
Eng verbunden mit der Beschäftigung mit der Erotik ist also der Identitätskonflikt beim Hinübergleiten vom Kind zum Mann. Kinder und Perversion sind ethisch nicht vereinbar. So muss der Protagonist zum Mann in sich finden bevor ihm die Liebe gestattet ist. Und das Erwachsenwerden ist dramaturgisch wie filmisch in LOVE EXPOSURE auf eine genial manifeste Art umgesetzt, theatralisch pointiert dargestellt, und immer aufs Neue durch die Handlung und die äußerst unruhige Kameraführung um unerwartete Ecken geführt.
Durch seine Struktur ist der Film eine sehr pointierte Schilderung der Gegenwart. In kleine, handlungs- oder charakterenzentrierten Episoden unterteilbar, jede davon kompakt und zusammenhängend, aber gleichzeitig genügend kurz um die Aufmerksamkeit nicht zu belasten, funktioniert er ähnlich zum Anschauen von themenverwandten Videos im Internet, und stellt genauso wie diese eine neue Geschichte daraus zusammen. Und für den Fall, dass man davon nicht genug hatte, gibt es noch entfallene Szenen unter den Extras. Oder noch mehr unveröffentlichte Szenen in einer Dokumentation zum Film, ebenfalls in den Extras zu finden.
Ciprian David
Regie, Buch: Sion Sono
Kamera: Souhei Tanigawa
Musik: Tomohide Harada
Produktion: Haruo Umekawa
Darsteller: Takahiro Nishijima, Hikari Mitsushima, Sakura Ando, Atsuro Watabe, Makiko Watanabe
Verleih: Rapid Eye Movies
VÖ: 05.02.2010
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