Warum Bogart nicht gekifft hat, oder “Contact High” – The Good, the Bad and the Bag
„Contact High“ ist kein Drogenfilm, denn das ist zu leicht, zu uninteressant, gesteht Drehbuchautor Michael Ostrowski in einem unter den Extras auf die DVD gepacktem Interview. Gleichzeitig wird er als der zweite Teil einer geplanten „Sex, Drugs and Rock’n’Roll“ Trilogie erklärt, Nachfolger der „Nacktschnecken“. Nach der Zuwendung zum radikalen Dokumentarfilm („Workingman's Death“ 2005) und dem Sozialdrama („Slumming“ 2006) kehrt Michael Glawogger mit einem albernen Produkt also ins Reich des „It’s all about the feeling“-Films zurück.
Es geht um eine Tasche. Carlos (Jeremy Strong) ist sie abhanden gekommen, also muss sie von seinem österreichischem Mann Harry (Detlev Buck) aus Polen wieder zurückgebracht werden. Solange man aber einen Untertan hat, macht man es nicht selber und so lässt sich über Schorsch (Georg Friedrich) und dann über Mao (Pia Hierzegger) und das Duo Max Durst (Michael Ostrowski) und Johann „Hans“ Wurst (Raimund Wallisch) rasant eine trophische Gangster-Pyramide zeichnen. Natürlich müssen die letzteren alles erledigen. Damit es aber auch gelingt, fahren Harry und Schorsch hinterher und überwachen das Ganze vor Ort. Was dabei fehlen darf, aber nicht muß, sind Drogen an jeder Ecke und ein blinder-schwarzer-Albino-Seher-Schamane-Berater von Carlos. Carlos, nochmal, ist der Gipfel dieser Pyramide, aber das hat wenig Relevanz.
An dieser Stelle muss davor gewarnt werden, dass diese Inhaltsangabe sich keinen Anspruch auf Vollkommenheit leisten kann. Denn, wie der Schauspieler Raimund Wallisch (wieder in den DVD Extras) erklärt, der Film spielt in Mexiko City und es geht um eine Tasche aus Polen.
„Contact High“ ist inhaltlich vor allem Zitatenkino. Der bereits erwähnte Berater ist David Lynch entlehnt. Ebenso die doppelte Negation der Sprache aus „Twin Peaks“, das Rückwärts-Gesprochene rückwärts abgespielt, das hier durch Drogenrausch ein neues, verfremdetes, höchst fragwürdig unter dem Wort „Sinn“ zu beschreibendes Etwas erhält. Über Zitate verläuft der Film weiter, über Gilliam, die Coen-Brüder und nicht zuletzt Tarantino, gar Bogart wird zum Schluss der Aufklärung entgegengesetzt (natürlich als subkulturelles Derivat und zwar von polnischen Polizisten, die richtige Schweine sind), und zudem noch so viele andere Anspielungen, vergessen oder unbemerkt.
Was der Film mit der Filmgeschichte macht, macht er auch mit der Geographie. Eine Hypertextualität besitzend wie sonst nur der Ort, wo dieses Wort sich zuhause fühlt, zieht sich „Contact High“ aus unsichtbaren Registern ein Repertoire heraus, das Globalisierung beispielhaft vertreten kann: Polen, Österreich, Südamerika, China, eine Concierge von den Philippinen, ein Flair, das dem Balkan Ehre macht und, nicht zuletzt, ein Müllhändler aus Pakistan prallen am selben Ort (natürlich der Leinwand, wie in allen Filmen) aufeinander. Denn Müll, wie der Film (selbstreflexiv) erklärt, bedeutet 2500% Profit. Mit Sprachen geht es natürlich ebenfalls.
Wie das alles möglich ist, wie eine Handlung so sehr in den Hintergrund treten darf, wie so viele sonst so typische Fragen zu einem Film hier keine Stelle finden, das hat uns schon (und es wird unter so viel Schrillem vielleicht unbemerkt bleiben) ein alter Meister verraten: „Pour faire un film, il vous fait obligatoirement une fille et un pistolet“. Das fehlt „Contact High“ natürlich nicht. Und was die Fragen angeht, davon macht er keinen Gebrauch, es gibt nur Antworten.
Eine Szene führt dem Zuschauer vor, was „Contact High“ ausmacht. Sie spielt sich ab in einem Hotel in Warschau namens „Blaue Krone“, ein Name, der auf Polnisch angeblich gut klingt. Nach einer Übernachtung in diesem Hotel, während welcher das Mobiliar im gemieteten Zimmer geschrumpft ist, entdecken Max und Johann für sich die Schönheit des Foyers: die Schmetterlinge auf den Tapeten, das Vogelbild mit dem fallendem Wasserfall, die Plastikkirschblüten in der Vase, der Papst mit der Guadalupe (unklar ob er ihre Hände küsst oder was anderes macht) und als Höhepunkt, die Relief-Uhr mit den Wölfen und dem Mond in einem Bild. Laut Max wahrscheinlich eines der besten Dinge, die er jemals gesehen hat. Ein Foyer, das genauso zusammengestellt ist wie der Film, und das in der Welt des Films perfekt Sinn macht. Ein Foyer, das den Unterschied zwischen der Darstellung von Rausch und der von Kitsch verschwinden lässt. Dadurch schafft es das Foyer natürlich nicht zum Camp, dafür aber der Film. Und wie Max in diesem Foyer ergeht es dem Zuschauer im Kino, die einzige Sünde von „Contact High“ ist dabei die Anmaßung, von den bereits über die Leinwand geflogenen Bildern zu viele wiederbelebt zu haben, sie mit ihren Pendants auf der Audioebene versehen zu haben und alles als Ganzes dem Zuschauer nochmal zuzumuten.
Der Begriff des Contact High besagt, dass Rauschzustände empathisch auf andere Personen übertragen werden können. Und genau das macht der Film mit seinen Zuschauern: zunächst über die aus Brötchen, Keksen oder Eintopf heraussprudelnde, glitzernde Farbigkeit, die nach und nach die Filmwelt erfüllt, die Ort und Zeit in konventionellem Sinne auf den Kopf stellt und sie allein dem schrillen, bunten, sich verbreitenden Rausch unterordnet, bis hin zur konkreten Dekonstruktion der Umwelt des Films. Contact High wird zum Prinzip der Wahrnehmung, die uns in einer polnischen Disco die Menschen aus Max’ Perspektive erleben lässt, oder Tapetenvögel und -schmetterlinge um uns im Dunkel des Kinosaals zum Fliegen bringt. Ja, bevor wir uns an dem Prinzip als Handlungsträger gewöhnen können, stehen wir als Publikum unter seiner Wirkung. Eben: Ein Film über das „Feeling“.
Was die DVD leider nicht anbietet sind die in den sehr guten (wenn auch vielleicht auf die Dauer ermüdenden) Interviews versprochenen Versionen des Films, die Actor’s Cuts, zusätzlich zum Director‘s Cut.
Was der Film bietet: Die berühmte „Pulp Fiction“-Tasche. Es brauchte „Contact High“ um herauszufinden, was da drinnen steckt, denn hier wird sie auch aufgemacht. Es ist der Rausch, verehrte Damen und Herren, der Rausch, mit dem man, vor allem nach diesem Film, aus dem Kino geht.
von Ciprian David
Österreich / Deutschland / Polen / Luxemburg 2009
Regie: Michael Glawogger. Drehbuch: Michael Glawogger, Michael Ostrowski. Kamera: Attila Boa, Wolfgang Thaler. Produktion: Erich Lackner, Nicolas Steil, Peter Wirthensohn, Ursula Wolschlager.
Darsteller: Michael Ostrowski, Raimund Wallisch, Detlev Buck, Georg Friedrich.
Länge: Hauptfilm 95 Min / Extras 43 Min
Anbieter: Euro Video
Im Verkauf ab: 15.01.2010
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