WOLFMAN

Aus unserem phantastischen Erbe


Besonders in den Genres Fantasy, Horror, Science Fiction und ihren Mischformen, werden vor allem in den letzten Jahren hauptsächlich Geschichten auf Basis von schon bekannten Stoffen und Figuren entworfen, seien die Vorlagen andere Filme, Romane oder alte Legenden. Dieses Jahr zum Beispiel sind griechische Götter („Percy Jackson“, „Kampf der Titanen“) und Charles Dickens „Dorian Gray“ auf der Leinwand zu sehen, 2011 wird Sam Worthington den jungen Dracula verkörpern.
Bemängelt wird daran, dass die Filmproduktionen zu große Furcht vor neuen Stoffen haben; Geschichten, die ursprünglich aus Comics, Büchern, Fernsehserien, anderen Filmen stammen, haben ob ihrer Bekanntheit und einer schon existierenden Fangemeinde größere Chancen, Zuschauer in die Kinos zu locken. Außerdem bieten die genannten Genres genug Möglichkeiten, die immer spektakuläreren Spezialeffekte auszuschöpfen, die sich eigentlich nur auf großer Leinwand genießen lassen. So sind die Filmemacher ständig auf der Suche nach verwertbaren und eben auch wiederverwertbaren Geschichten. Natürlich gab es schon immer Wiedererzählungen und Fortsetzungen des gleichen Stoffes (es sei an die scheinbar unendlich vielen Dracula- oder Frankenstein-Verfilmungen der 40er und 50er erinnert), doch nie wirkte die Filmwirtschaft derart beängstigt in Anbetracht der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzungen und verlagerte daher die Produktion so sehr in Neuauflagen.

Die Frage ist, ob die finanziellen Überlegungen die einzigen Gründe dafür sind, dass wir uns fast ausschließlich bei den Geschichten vergangener Zeiten bedienen. Vielleicht ist ein Punkt erreicht, wo zu vieles eben schon einmal erzählt wurde. Oder es herrscht eine allgemeine Nostalgie vor, die immer nur schon einmal Gesehenes wiederbeleben will.



Bei „Wolfman“ nun handelt es sich um eine Neuverfilmung von „The Wolf Man“ von George Waggner aus dem Jahr 1941, klassischer Horrorfilm mit Überschneidungen zum Fantasygenre, da die Verwandlung eines Mannes in ein Monster behandelt wird. Der Einfluß dieses wegweisenden Werwolffilms zeigt sich zum Beispiel daran, dass ein für den Film erdachtes Zigeunersprichwort in jedem seither entstandenen Universal-Werwolffilm wiederaufgegriffen wurde, bis hin zu „Van Helsing“, nun eröffnen die Worte „Wolfman“. Zwar gab es also bisher keine direkte Neuverfilmung desselben Stoffes, doch wurde die Idee in einer Vielzahl weiterer Filme verarbeitet. Hier nun wird das Grundszenario von dem ursprünglichen Drehbuch von Curt Siodmak übernommen. Wie dort Horrorstar Lon Chaney Jr. (er ist der einzige, der alle vier klassischen Horrormonster in Filmen spielte: Werwolf, Vampir, Frankenstein und untote Mumie) kehrt Benicio del Toro („Che“, „Traffic“) als Lawrence Talbot nach Jahren der Abwesenheit zurück auf das Anwesen seiner Familie im Norden Englands, Anlaß ist der Tod seines älteren Bruders. Dieser wurde brutal in Stücke gerissen, von einem Werwolf, wie sich später herausstellt. Die Drehbuchautoren Andrew Kevin Walker und David Self variieren das Originaldrehbuch aber an mehreren Stellen. Es scheint interessant zu untersuchen, wie die Geschichte 70 Jahre nach ihrer ersten Verfilmung nun neu erzählt wird.

Die entscheidende Veränderung betrifft Lawrence Vater. Im alten Film ist Sir John ein rationaler, wissenschaftsinteressierter Mann, der sich am Ende der phantastischen Verwandlung seines Sohnes stellen und sogar als einzige Rettung der wirklichen Person von Lawrence zum Richter seines Kindes werden muss, bevor dieser anderen ein Leid zufügen kann. Der Vater muss die Weltordnung wiederherstellen und den durch ein Unglück auf Abwege geratenen Sohn wieder zu einem rechtschaffenen Mann machen, leider nur indem er ihn tötet. Die Neuverfilmung zeigt ein schwieriges Vater-Sohn-Verhältnis. Sir John (Anthony Hopkins) ist von Anfang an ein zwielichtiger Charakter. Der begeisterte Großwildjäger, der schon viel in der Welt herumgekommen ist, ist nach außen hin froh über das Wiedersehen mit seinem Sohn. Doch langsam erfährt der Zuschauer, dass ihre Beziehung schon lange belastet ist. Lawrence hat seit dem angeblichen Selbstmord seiner Mutter als er ein kleiner Junge war, eine unbestimmte Furcht vor seinem Vater, der ihn als Jugendlicher zudem in eine Irrenanstalt steckte, wo er mißhandelt wurde.



***Vorsicht, Spoiler!***

Später wird klar, was der Zuschauer natürlich vermutet: Sir John selbst ist der Werwolf, er tötete Lawrence Mutter und den älteren Sohn. Nun will er, dass Lawrence seine Nachfolge antritt und infiziert ihn daher mit einem Biß. Da sich aber Lawrence gegen das in ihm keimende Böse wehrt, kommt es zum Endkampf zwischen Vater und Sohn, in dem Lawrence seinen Vater tötet. Und hier ist es dann seine Geliebte Gwen (Emily Blunt), die ihn durch einen tödlichen Schuß von seinem Fluch befreien muss. Der Vater ist also Ursprung allen Unglücks und verwandelt sein eigenes Kind in ein Monster. Aber der Sohn gerät nicht nach dem Vater, gibt sich nicht völlig dem Rausch des Tötens hin und rettet so das Gute. Einerseits wird der Plot durch diese Änderung etwas komplizierter, was ein Publikum der Gegenwart eher zu fesseln vermag, die Verwandlung eines Mannes in ein Monster ist allein nicht mehr spannend. Auf der anderen Seite ist der Triumph der jungen Liebe, des jungen, gefühlvollerem, nachdenklicherem Mann über den starrsinnigen Alten offensichtlich eher zeitgemäß als der Sieg des weisen Älteren, des richtenden Vaters.

***Ende Spoiler!***

Eine weitere Veränderung betrifft die Zeit, in der die Geschichte angelegt ist. Der alte Film spielt ungefähr zu der Zeit, in der er entstand. Regisseur Joe Johnston („Jumanji“, „Hidalgo“) verlegt die Geschichte ins Jahr 1891. Es ist auffällig, dass das 19. Jahrhundert generell im Film im Vergleich zu anderen vergangenen Epochen recht stark vertreten zu sein scheint, vor allem im Fantasygenre. Dies liegt natürlich einerseits daran, dass viele der Stoffe in jener Zeit entstanden sind. Dafür wiederum liegen die Gründe auch an den Umwälzungen dieses Jahrhunderts. Die industrielle Entwicklung veränderte die Städte und die Lebensweise der Menschen entscheidend, neue Erfindungen ermöglichten bessere Kommunikation, schnelleres Reisen, effizientere Kriegsführung und so weiter. Doch trotzdem handelt es sich noch nicht um eine vollkommen rationale, moderne, freie Gesellschaft. Es gibt noch genug Raum für Unnatürliches und Phantastisches. Auch der neuen Technik, wie der Elektrizität, haftet noch ein Hauch von Magischem an. Das 19. Jahrhundert zeigt also die Gesellschaft am Vorabend der Moderne, doch noch nicht völlig befreit von dem Aberglauben früherer Zeiten. Das Erzählen der Geschichte in dieser Zeit ermöglicht eine dementsprechende Situierung der Charaktere.

Sir John ist eine Figur der alten Zeit, immer in Tierfelle gehüllt, keine andere Gerichtsbarkeit über seinen Rechten als Adeliger anerkennend, Tyrann aus einer alten Dynastie. Der Sohn aber macht schon durch seine Berufswahl klar, dass er sich von diesem Leben abwendet, denn er lebt von der Schauspielerei, nicht gerade der klassische Beruf für einen jungen Edelmann. Er erlaubt sich nicht, sich einfach über andere hinwegzusetzen, erkennt die Ordnung in der Gesellschaft an, respektiert die Rechte und die Freiheit der anderen. Somit ist Lawrence ein moderner Mann, der durch seinen Vater in die Rolle versetzt wird, die er nie wollte. Als Werwolf hat er kein Gewissen, verhält sich wie sein Vater, wird zurückgezogen in ein Verhalten aus düsteren, früheren Zeiten, die nicht vereinbar sind mit seiner Einstellung zur Welt. Doch die moderne Denkweise triumphiert über dem Bösen aus der Vergangenheit.

Wie erwähnt ist Lawrence im Gegensatz zu dem Film von 1941 Schauspieler. Das weist ihn aus als einen Charakter, der in der Welt herumgekommen ist, er kennt das alte Europa, aber auch das moderne Amerika. Außerdem ist es sein Beruf, in verschiedene Rollen, Zeiten, Denkweisen zu schlüpfen. Somit kann Lawrence auch als postmoderner Charakter gesehen werden, der eben aus der ganzen Menschheitsgeschichte schöpfen kann. Dies unterstreicht die Vorgehensweise der Filmemacher, die alte Legenden, klassische Filme, neue Techniken zu einem neuen Ganzen vermischen. Verbildlicht wird dies durch die Einrichtung von Sir Johns Schloß. Dieses bietet eine Anhäufung verschiedenster Gegenstände, Kunstwerke aus allen Erdteilen, aus allen Epochen. Das Motiv wird noch einmal aufgegriffen, als Gwen Antiquitätenladen in London zu sehen ist, ebenfalls eine Sammlung aus allen Zeiten.



So orientiert sich Joe Johnston bei der visuellen Gestaltung stark an dem Design der klassischen Horror- und Monsterfilme. Er übersetzt die Stimmung durch die Computertechnik in moderne Bilder. Dies gelingt ihm ausgesprochen gut, zwar werden die Bilder dadurch nicht außergewöhnlich, doch wird durch die wolkenverhangenen Himmel, die umrankten alten Häuser, die moosbedeckten Steine und die überall wallenden Nebelschwaden eine perfekte Atmosphäre für das Horrorszenario und die Vorstellung des 19. Jahrhunderts geschaffen.

Um also zum Ausgangspunkt zurückzukommen, so läßt sich sagen, dass mit „Wolfman“ eine gelungene Übersetzung des klassischen Werwolffilm in die heutige Zeit stattgefunden hat. Die Computereffekte ermöglichen die Perfektion der schon in den alten Filmen angelegten Stimmung. Auch die Modernisierung des Originaldrehbuchs macht die alte Geschichte für das junge Publikum interessant. So bleibt also „Wolfman“, wie es auch seine Vorlage aus dem 1941 anstrebte, ein Unterhaltungsfilm, doch den Vergleich mit anderen jüngeren Wiederbelebungen alter Geschichten muss er nicht scheuen, besonders das komplett stimmige Design machen ihn sehenswert. Zu klären bleibt natürlich die Frage, weshalb überhaupt eine derart inflationäre Neuauflage der alten Geschichten stattfindet. Vielleicht hat es damit zu tun, dass wir uns in einer ähnlichen Situation befinden wie die Menschen im 19. Jahrhundert. Diese mussten aufgrund der wissenschaftlichen Entdeckungen und der gesellschaftlichen Neuerungen ihr Weltbild neu ordnen. Angesichts der Umwälzungen erfreuten sich phantastische Geschichten großer Beliebtheit, denn sie spiegelten die Unsicherheit der Menschen in der neuen Welt. Viel wird darüber geredet und geschrieben, dass wir uns ebenfalls großen Herausforderungen gegenübersehen.

Das tägliche Leben, das Wirtschaftsgefüge, die Arbeitsbedingungen sind stark beeinflußt von der weltweiten Vernetzung, der Globalisierung, des Internets. Wir haben auf alles Zugriff, aber damit das Problem der Wahl. Jeder kann mit jedem kommunizieren, dadurch wird aber vielleicht der einzelne unwichtiger. Vielleicht ist für die Menschen alles zu zergliedert, zu unsicher, zu viel, sodass sie sich gerne alten Geschichten zuwenden. Geschichten, wo das Szenario klar ist, die Regeln des Geschehens definiert sind, eine Alltagsflucht in eine womöglich komplexe, aber dennoch abgeschlossene Welt ermöglicht wird. Um dieses Bedürfnis zu befriedigen, bieten sich natürlich die großen phantastischen Geschichten der Menschheit an, eben auch die vom Werwolf.

Elisabeth Maurer


Regie: Joe Johnston
Drehbuch: Andrew Kevin Walker, David Self nach dem Originaldrehbuch von Curt Siodmak
Kamera: Shelly Johnson
Musik: Danny Elfman
Produzenten: Sean Daniel, Benicio del Toro, Scott Stuber, Rick Yorn
Darsteller: Benicio del Toro, Anthony Hopkins, Emily Blunt
Verleih: Universal
Laufzeit: 102 min
Start: 11.2.2010