“#9” - Postapokalypse now
„#9“ / „9 “ - Nicht zu verwechseln mit Rob Marshalls Star-Musical "Nine"!
Die Welt gleicht einem Trümmerfeld. Die menschliche Rasse ist nur noch in Form von Leichnamen präsent. Ohne die vereinzelt zwischen den Schuttbergen emporragenden verkohlten Baumgerippe würde man glatt daran zweifeln, dass es an diesem Ort überhaupt einmal eine Natur gegeben hat. Der Himmel ist bedeckt von dunklen Wolken, einzig erhellt vom Feuerschein brennender Ruinen und dem schwach durchdringenden Abendrot, was der postapokalyptischen Landschaft eine schrecklich-schöne Morbidität verleiht.
Hoch über diesem Endzeit-Szenario steht ein kleines puppenartiges Wesen an einem Fenster und wirft einen vorsichtigen Blick hinaus in die düstere Fremde. Kurz zuvor wurde das aus Jutestoff, Reißverschluss und allerlei mechanischen Bauteilen bestehende Männchen von einem Wissenschaftler zum Leben erweckt – als neunter Teil eines Schlüssels, mit dem man das Erbe der Menschheit – nämlich die menschliche Seele – retten könnte. Doch „9“ weiß nichts von seiner immensen Bedeutung, denn sein Schöpfer starb just in dem Moment, als der Winzling zum ersten Mal seine irisblendenartigen Augen öffnete.
In der Hoffnung, draußen auf Artgenossen zu treffen, wagt sich das Geschöpf ängstlich ins Freie – und hat Glück, denn es begegnet tatsächlich einer ihm ähnelnden Kreatur. Doch die Zweisamkeit währt nur kurz, denn sie werden von einem skelettartigen Maschinenraubtier angegriffen, das den Gefährten verschleppt. Schwer verletzt, oder besser: beschädigt, bricht „9“ zusammen, wird jedoch von dem technisch versierten Tüftler „5“ aufgelesen und wieder zusammengeflickt. In der Folge macht der Neuling mit weiteren Figuren Bekanntschaft: mit „1“, dem unberechenbaren Anführer der Gruppe, und dessen hünenhaftem Beschützer „8“; mit der geschickten Kämpferin „7“; dem Archivaren-Zwillingspaar „3“ und „4“; und dem traumatisiert wirkenden „6“, der stets ein geheimnisvolles Objekt zeichnet. Von ihnen erfährt „9“, was die Zivilisation zerstörte: Die von den Menschen kreierten Maschinen wandten sich eines Tages gegen ihre Macher und rotteten sie in einem erbitterten Krieg aus.
Leider treiben die mutierten Roboter weiter ihr Unwesen und trachten auch den Minipuppen nach dem Leben. Zwar können sie ihr entführtes Gruppenmitglied „2“ befreien, doch während der gefährlichen Rettungsmission entfesselt „9“ versehentlich eine kolossale Maschinenbestie, die nun gezielt Jagd auf die Zweibeiner macht, um diese letzten Überbleibsel der Menschen zu vernichten. Die Winzling-Truppe wird in ein nervenaufreibendes Abenteuer gestürzt, in dessen Verlauf sie nicht nur um die eigene Existenz bangen muss, sondern auch das von ihrem ‛Wissenschaftler-Vater’ erdachte Rettung verheißende Rätsel lösen muss.
Die Geschichte dieses Animationsfilms, der auf Shane Ackers 2006 für den Academy Award nominiertem Kurzfilm „9“ basiert, signalisiert sofort, dass der Faktor ‛Unterhaltung’ wohl nicht den Ausschlag zur Produktion des Films gegeben haben dürfte.(Zum Kreis der Produzenten gehört übrigens auch Tim Burton, der schon vielfach durch die Kreation düster-bizarrer Filmwelten in Erscheinung trat, und dessen neueste Arbeit „Alice im Wunderland“ demnächst in den deutschen Kinos anlaufen wird.) Vielmehr handelt es sich bei „#9“ um ein ambitioniertes Projekt, das sowohl durch seine bittere Thematik als auch deren adäquate ästhetische Umsetzung einen nachdenklich gestimmten Zuschauer hinterlässt. Leider wird es Ackers Film dadurch schwer haben, ein Publikum zu finden. Kinder scheiden ob der Drastik der Darstellung von vornherein als Zielgruppe aus, und Erwachsene werden bei ihrem Kinobesuch eher zu Blockbuster-Spektakeln wie „Avatar“ (Regie: James Cameron) tendieren als einen Film zu wählen, der ihnen den Spiegel vorhält.
Dabei kann sich „#9“ wirklich sehen lassen. Die ungewöhnliche visuelle Gestaltung dieser Animation entfaltet von Anfang an seine Wirkung. Besonders stark wirkt der Kontrast zwischen der verbrannten Ruinenwelt und den fast schon kitschig anmutenden warmen Lichtstimmungen, in die das Grauen getaucht wird. Unschöne Braun- und Grautöne stehen angenehm leuchtenden Rot- und Gelbtönen gegenüber – doch selbst diese entstehen oft nur als Beiwerk zerstörerischer Kräfte wie z.B. Feuer.
Und stets entdeckt man neue interessante optische Details. So legt Regisseur Acker sichtlich großen Wert darauf, den Objekten seines computergenerierten Kosmos eine beeindruckende Stofflichkeit zu verleihen. Das geschickte Sounddesign spielt hierbei eine entscheidende Rolle: das metallische Quietschen aufeinanderprallenden Stahls kündigt das herannahende Maschinenmonster an; das Rascheln des Jutestoffs verrät, an welchen Stellen sich die Puppenwesen in der schützenden Dunkelheit verbergen; das dumpfe Klacken des hölzernen Bischofsstabs lässt erahnen, dass sich Anführer „1“ in der Nähe befindet.
Im Gegensatz zu anderen Filmen versteckt „#9“ seine Botschaft nicht in subtilen Andeutungen und Metaphern, sondern findet klare, ausdrucksstarke Bilder und Worte dafür. Dies ist auch notwendig, denn in der Tat können gewissenlose Wissenschaftler, wenn sie ihre Fähigkeiten für die falschen Zwecke einsetzen, schlimme Dinge anrichten. Es bleibt zu hoffen, dass die Forscher unserer Tage und die der Zukunft bei ihrer Arbeit nicht aus lauter Macht- und Profitstreben ihre Seele vergessen, denn sonst droht der Menschheit womöglich das gleiche Schicksal wie der Zivilisation in diesem Film – und dann werden vermutlich keine kleinen Stoffwesen zur Tat schreiten, um unser geistiges Erbe zu retten.
Claudia Bosch
USA 2009. Regie: Shane Acker. Buch: Pamela Pettler. Musik: Deborah Lurie . Produzenten: Timur Bekmambetow; Tim Burton, Dana Ginsburg, Jinko Gotoh, Jim Lemley.
Laufzeit: 79 Min.
Verleih: Universal.
Kinostart: 25.02.2010.