Der mit der CGI tanzt: "Avatar - Aufbruch nach Pandora"
von Sascha Koebner
"Avatar – Aufbruch nach Pandora"
USA 2009. Regie, Buch: James Cameron. Kamera: Mauro Fiore. Musik: James Horner. Produktion: James Cameron, Jon Landau.
Mit: Sam Worthington (Jake Sully), Zoë Saldana (Neytiri), Sigourney Weaver (Grace), Stephen Lang (Colonel Miles Quaritch), Michelle Rodriguez (Trudy Chacon), Giovanni Ribisi (Parker Selfridge).
Länge: 161 Minuten.
Verleih: Twentieth Century Fox.
Kinostart: 17.12.2009
Skepsis machte sich unter den Kritikern breit, als nach der Veröffentlichung von Standbildern ein rund dreißigminütiger Zusammenschnitt vom ersten Spielfilmprojekt James Camerons nach zwölf Jahren kündete. Kann ein Film funktionieren, der oberflächlich den Eindruck erweckt, einem Computerspieltrailer zu entstammen? Bevölkert von grell-blauen Phantasiefiguren mit großen gelben Kulleraugen, die aussehen als seien sie die unehelichen Kinder von Disney und Weta? Doch - das Misstrauen des Publikums ist die vielleicht letzte große Hürde nach einem langwierigen Herstellungsprozesses, die es zu überwinden gilt: zu künstlich wirkten die computergenerierten Bilder, zu effekthascherisch Camerons Erklärung, neben filmspezifischer 3D-Technologie auch das hinlänglich bekannte Motion-Capturing-Verfahren revolutioniert haben zu wollen. Skepsis, die sich jedoch mit dem fertigen Film nicht bestätigt - soviel lässt sich gewiss vorwegnehmen.
Der Film spielt knapp 150 Jahre in der Zukunft. Die Menschheit schröpft in Form einer Firma die Bodenschätze des um Lichtjahre entfernten Planeten Pandora. Soldaten der US-Armee verdingen sich hier als bereitwillige Söldner, die die Operation von den Untieren des Dschungelsterns und seinen Ureinwohnern zu schützen versucht. Diese blauhäutigen, hochgewachsenen Humanoiden nennen sich Na‘vi, sind eins mit ihrer Natur und in ihren Sitten und Gebräuchen scheinbar verwandt zu irdischen Urvölkern. Sie sollten zuerst „missioniert“ werden - mit dem „Avatar“-Programm, das einen menschlichen Geist in einen genetisch gezüchteten Na’vi-Körper, den Avatar, herunter lädt. Doch sind die Lenker der Avatare bislang nur Wissenschaftler, bis Jake Sullys Zwillingsbruder jäh verstirbt. Jake, ein Marine, der nunmehr an den Rollstuhl gefesselt ist, nimmt seinen Platz ein und fungiert als Botschafter der Wissenschaftler unter Leitung von Dr. Augustine (Sigourney Weaver) und als Spion für die Militärpräsenz, die von dem vernarbten, grauhaarigen Haudegen Colonel Quaritch angeführt wird.
Das Treatment zu dem Film wurde bereits 1995 geschrieben, zu einer Zeit also, in der der Begriff „Virtual Reality“ in den Köpfen der Drehbuchautoren noch ein phantastischer Ort war, ein paralleles Universum voller Möglichkeiten und eben nicht die schnöde Feierabendbeschäftigung von Journalisten („Second Life“) oder Singles („World of Warcraft“). In dem Science-Fiction-Film „Strange Days“, 1996 geschrieben von Cameron und inszeniert von seiner damaliger Ehefrau Kathryn Bigelow, verkauft die Hauptfigur Lenny aufgezeichnete Erinnerungen, die man mittels Kopfapparatur als seine eigenen erlebt. In einer Szene schenkt Lenny die Erinnerung einer jungen Frau, die morgens einen Strand entlang joggt, einem Freund, dessen Beine amputiert wurden – im Kern ist Jake Sully eben jene Figur. Erstmal in den Körper seines Na’vi herunter geladen, rennt er aus dem Labor und vergräbt seine großen blauen Zehen tief in der braunen Erde eines Feldes, in dem die Menschen Essbares pflanzen.
Die Geschichte des Films ist indes einfach, nicht simpel, aber wohlvertraut: der Spion, der zu Anfang nur Befehle ausführt, lernt die Lebensweise der von ihm Infiltrierten zu schätzen, verliebt sich gar in seine Lehrerin, die zudem noch die Tochter des Häuptlings ist. Ihr Habitat hat der Stamm in dem Geäst eines gewaltigen, mehrere hundert Meter hohen Baums, unter dessen Wurzelwerk sich eine große Ansammlung des begehrten Metalls befindet, wegen dem sich die Menschen überhaupt auf Pandora tummeln. So lautet auch Jakes ursprünglicher Auftrag, die Na’vi zu einem friedlichen Abzug zu bewegen, bevor sich die Bagger einen Weg zu dem Riesenbaum gepflügt haben. Es kommt anders und so, wie es kommen muss. Der Frieden aber ist der Preis am Ende des Krieges – Camerons Indianer wehren sich gegen ihre Invasoren und sie haben eine Chance den Sieg davon tragen zu können. Mit Stöcken und Speeren kämpfen die blauen Männer und Frauen gegen die roboterartigen Laufgeräte (bekannt aus Camerons „Aliens“) und einer Vielzahl von Tod bringenden Hubschraubern.
Bösartige Zeitgenossen würden von einem ‚„Der mit dem Wolf tanzt“-Light’ berichten, einer Variante von „Pocahontas“ oder besser des „Last Samurai“ mitsamt einer Hauptfigur, die weitgehend um ihre inneren Dämonen beraubt zu sein scheint. Doch stimmt dies nur zum Teil: die Welt, die Cameron erschuf, ist durchdacht und reichhaltig an Einfällen. Die Na’vi haben ihre eigene Sprache, ihre eigenen Riten und ihre ganz eigene Art mit der Natur zu leben: weißliche Tentakel züngeln aus den Quasten ihrer schwarzen Zöpfe und dienen als wortwörtliche Verbindung zu der Fauna des Planeten, denn pferdeähnliche Wesen und geflügelte Echsen haben Andockpunkte, mit denen sich die Tentakel verbinden lassen, um so eine Symbiose einzugehen – wenn auch nur die zwischen Reiter und Reittier. Der Dschungel indes ist mit einer Vielzahl von Lebewesen bevölkert, die das Resultat von Camerons Beschäftigung mit der Tiefsee sind: Fluoreszierende Pflanzen, die Korallen ähneln, sechsbeinige Wildtiere, deren Kopf einem Hammerhai entstammen zu sein scheint, zart wabernde Geschöpfe, die wie Quallen aussehen und rochenartige Flugtiere bevölkern sein Pandora – ein Planet, der erst in der Bewegung zu vollem Leben erwacht, denn kein statisches Bild kann dem Eindruck an Lebendigkeit gerecht werden.
Wie gut und geschickt Cameron seinen Film zu inszenieren weiß, offenbart sich in vollem Umfang allerdings erst in der 3D-Fassung des Films. Anders als aktuelle 3D-Produktionen wie beispielsweise „Eine Weihnachtsgeschichte“ von Robert Zemeckis versteht es Cameron in die Tiefe zu inszenieren. Hier gibt es nicht nur schnöden Vorder- und Hintergrund, er erarbeitet sich seine Szene über eine Vielzahl von Ebenen, die die Wirkung der Stereoskopie subtil betonen und „Avatar – Aufbruch nach Pandora“ zu einem der ersten Film werden lässt, der ohne die dritte Dimension viel von seiner visuellen Strahlkraft einbüßen würde.
Natürlich ist „Avatar – Aufbruch nach Pandora“ kein Autorenfilm, kein Film, der seinem Publikum zu viel Eigenleistung abverlangt – er ist ein klassischer Blockbusterfilm, der sein Publikum möglichst zahlreich in die Kinosäle locken möchte. Ein hochqualitatives, packend inszeniertes, pointiert erarbeitetes Spektakel für Augen und Ohren mit einer moralischen Wohlfühl-Botschaft passend zur Weihnachtszeit. Ein Film auch, der bereits Dagewesenes auf noch nicht gekannte Weise zeigt. „Ich wollte ein bekanntes Abenteuer in einer unbekannten Umgebung erzählen“ sagt Cameron. Die Schlichtheit und Bescheidenheit dieses Satzes verschleiert sträflich, wie nahe James Cameron der Perfektion bei der Umsetzung seines Vorhabens gekommen ist. „Avatar – Aufbruch nach Pandora“ ist ein Erlebnis!