Bruce in the Shell: Rebellion der Menschen - „Surrogates – Mein zweites Ich“
von Maximilian Miguletz
„Surrogates – Mein zweites Ich“ („Surrogates“)
USA 2009, Regie: Jonathan Mostow; Buch: Michael Ferris, John D. Brancato (Graphic Novel: Robert Venditti, Brett Weldele); Kamera: Oliver Wood; Musik: Richard Marvin; Produktion: Max Handelman, David Hoberman, Todd Lieberman.
Darsteller: Bruce Willis (Greer), Radha Mitchell (Peters), Rosamund Pike (Maggie), Boris Kodjoe (Stone), James Francis Ginty (Canter), James Cromwell (Canter, älter), Ving Rhames (Prophet), Jack Noseworthy (Strickland).
Verleih: Walt Disney
Laufzeit: 88 Minuten
Kinostart Dtl.: 21.01.2010
Zeit für ein Geständnis. Die Screenshot-Redaktion besteht aus einer einzigen Person – mir, einem 12-jährigen peruanischen Wunderkind, das sich hoch oben in den Anden an seinem 486er-PC wirre Texte über Film ausdenkt. Wie bitte? Klingt unglaubwürdig? Wer weiß das schon? In Zeiten von Internetanonymität und beliebig wählbaren Stellvertreteridentitäten! Hollywood scheint zur Zeit ganz vernarrt in dieses Phänomen und kreiert eine Allegorie nach der anderen. Erst die blauen „Avatare“ auf Pandora, dann die willenlose Sträflingsgladiatoren in „Gamer“, und jetzt folgen die „Surrogates“: Androiden, die von ihren Besitzern ferngesteuert werden.
Die virtuelle Realität ist in der realen Welt angekommen. Menschen verlassen ihre Wohnungen nur noch mithilfe von Surrogates. Über einen speziellen Sessel steuert man den Roboter-Avatar allein durch Gedankenkraft, geht mit ihm den Alltag an, zur Arbeit, zum Einkauf, in den Club, wird dabei stimuliert, empfindet jedoch keinen Schmerz und setzt sich keinerlei körperlicher Gefahr aus. Virtual Self Industries – hier Name des aus zahlreichen SciFi-Filmen bekannten zwielichtigen Großkonzerns – haben inzwischen über 98% der Weltbevölkerung mit Surrogates beliefert, machen aber trotzdem fleißig Dauerwerbung für ihre künstlichen Menschen; soll wohl das Vertrauen der Kunden in das bereits erstandene Produkt stärken.
Ist ja auch eine tolle Erfindung. Dazu eine famose Prämisse für einen Science-Fiction-Film. Wenn jeder über maschinelle Platzhalter lebt, wie kann ich dann sicher sein, wen ich vor mir habe? Zu Beginn des Films wird ein attraktiver, blonder, weiblicher Surrogate gezeigt. Gesteuert wird er von, sagen wir, Jabba the Hutt. Ein Ansatz, der ähnliche Phänomene im Internet widerspiegelt, und herrlich neugierig macht. Zumal sich der dicke Mann „im“ Blondinenroboter mit einem jungen Mann vergnügt. Ist er jetzt schwul? Oder labt er sich an dem Verwirrspiel, das er treibt? Wäre dem jungen Mann die Wahrheit egal?
Die Grundidee des Films wirft viele solcher interessanter Fragen auf. Wie funktioniert die Arbeitswelt, wenn jeder dank Surrogate die gleichen physischen Leistungen einbringen kann? In der Anfangsmontage wird ein Liebespaar im Bett gezeigt: Wie funktioniert Liebe, sowohl körperlich als auch emotional, wenn sich in der Welt da draußen nur perfekt aussehende Stellvertretermaschinen begegnen? Sind die Menschen, die den ganzen Tag im Surrogate-Stuhl verbringen, fett und kaum noch zu Bewegung möglich? Die Surrogates haben für das Verschwinden von Kriminalität gesorgt, heißt es. Könnten Unverletzlichkeit und Anonymität des Avatars nicht eher für mehr unrechte Taten sorgen, zumal weiterhin sozial interagiert wird? Wird Gewalt gegen Surrogates nicht als Verbrechen gewertet? Was ist mit armen Menschen, die sich keine oder nur unzureichende Androiden leisten können? Und wenn es keine Verbrechen gibt, warum gibt es ein gut besetztes Morddezernat? Wohl damit Bruce Willis‘ Rolle einen Arbeitsplatz hat.
15 Jahre lang kein Mord und dann sowas: Mit einer speziellen Waffe wird der Sohn des Surrogate-Erfinders Canter (James Cromwell) angegriffen. Dabei schmort seine Robo-Puppe durch – und dem Jungen zuhause kocht das Hirn über. Die Agenten Greer (Willis) und Peters (Radha Mitchell) nehmen sich des skandalösen Falls an, der sie einer komplexen Intrige auf die Schliche und an die eigenen Grenzen führt. Als Greers Surrogate zerstört wird, wagt er das Undenkbare. Er geht selbst, in Fleisch und Blut, auf die Straße und ermittelt...
Was für ein toller Moment hätte das sein können. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten benutzt der Protagonist seinen leiblichen Körper, aber sein Erstaunen, das Wunder dieser Erfahrung, wird ausgespart. Schade. Das ist überhaupt das Schlagwort: schade. Denn es gibt Gutes: Jonathan Mostow weiß, wie er Action zu inszenieren hat. Dass er Maschinen aufeinander prallen lassen kann, hat er schon in „Terminator 3 – Rebellion der Maschinen“ gezeigt. Die etablierte Stimmung ist ansprechend. Insbesondere das Verhältnis von Greer zu seiner traumatisierten Frau (Rosamund Pike) erhält viel Raum und sorgt für mehrere atmosphärisch dichte Szenen. Einige Ideen, wie der Schönheitssalon für Surrogates, sind toll. Aber es bleibt bei Ideen und Ansätzen. Schade. Der Wunsch nach mehr Tiefe und Aspekten des faszinierenden Zukunftsszenarios hält sich bis zum Ende des Films. Fragen wie die obigen spielen keine Rolle im Skript von Michael Ferris und John D. Brancato, das auf dem gleichnamigen Comic basiert. Die Handlung beschränkt sich auf ein fades Whodunnit. Schade. Obendrein kann der Fall nur wenig Interesse wecken. Zu oberflächlich werden die Figuren skizziert, zu nebulös bleiben Hintergrund, Drahtzieher und potentielle Folgen der Intrige. Schade. Irgendwo war da mehr als solide SciFi-Action versteckt, aber die Macher haben nichts gefunden.