Max Ophüls Preis 2010
Für Sie berichtet unser Redakteur Bernd Zywietz mitten- und "zwischendrin" vom 31. Filmfest Max Ophüls Preis in Saarbrücken.
Zum 31. Mal präsentiert sich das Filmfest Max Ophüls Preis wie stets: Grau in Grau. Wettertechnisch. Ansonsten gibt es eine großartige Neuerung: eine Presselounge direkt im Cinestar, wo es Platz zum Sitzen und W-Lan zum Blog-Schreiben gibt. Und auch das Programm entspricht gar nicht dem triste Saarland-Winter, vor dem die blauen MOP-Herzen freilich umso schöner leuchten.
Da kommen Filme (oder ihre Macher) aus der Türkei, aus Israel und Griechenland, sogar aus der Schweiz, aus Ostdeutschland und Bayern! Aber auch qualitativ gerät das spannend, sogar das Mittelmaß bietet immer noch etwas Interessanten, auch wenn sich einige Schwächen wiederholen?
Da ist neben dem penetranten Abschrecken der Zuschauer (als wären sie gekochte Eier) durch jammernde Singersongwriterindependent-Lieder zum Abspann das ausufernde Off-Erzählen. Natürlich ist der Drehbuchratgeber-Tipp Quatsch, Zeigen käme immer und ewig vor Reden; wenn man es szenisch darstellen könne, sei auf Geschwätz zu verzichten.
Doch in Saarbrücken hätten bei all diesen Premieren dem Rat mehr Beachtung geschenkt werden sollen - der episierende „Bogen“ wird leider in diversen Filmen strapaziert – einfach weil viel zu oft dabei seichte Besinnungsdenkerei und Kalendersprüche herauskommen und den Zuschauer davon abhalten, sich selbst und ohne Bevormundung dem Film, seinen Figuren und der Geschichte anzunehmen.
Da ist der ansonsten vorzügliche Kurzfilm (im Wettbewerb) VORHER/NACHHER von Sonja Marie Krajewski über eine Sportlerin (Pauline Knopf), eine wirklich üble Vergewaltigungsszene und die Frage, wie das Leben danach weitergehen soll, kann und darf. Die Selbstreflexiviererei der Hauptfigur ist bisweilen klug, stört aber manches Mal auch den Film, dessen Qualität neben den Darstellern und ihrer Führung gerade in der Kamera liegt, die eben ohne Worte eindringlich vieles die Gefühle, Gedanken und Stimmungen einfängt, die nun auch noch verbalisiert werden.
Auch SUICIDE CLUB von Olaf Saumer krankt bisweilen (nicht nur) an dem rahmenden Voice-Over-Sinnieren des Schülers, der sich zusammen mit einem Staubsaugervertreter in den mittleren Jahren, einem kiffenden Skater, einer Öko-Mama und einem wilden Mädchen auf einem Hochhausdach trifft, um sich dort gemeinsam in den Tod zu stürzen. Der BREAKFAST CLUB lässt – der Titel kündet es - grüßen. Natürlich tun sie es doch nicht; unten kommen zu viel Leute vorbei, hinein ins Haus können sie wieder nicht, sie spielen Flaschendrehen und brechen durchs Dach in eine Wohnlounge...
Während das skurrile Chaos mal mehr, mal weniger (aber nie so recht genug) um sich greift, kommt man nicht umhin, die gewitzte Grundidee zu bewundern – ein zweiter IMMER NIE AM MEER hätte das werden können. Aber zu gespreizt sind Buch und Regie, zu hölzern und gebraucht die Dialoge, wenn es um Lebensverzweiflung, der Ärger aneinander und den Grund für den jeweiligen Selbstmord (=,gespiegelt, Sinn und Qualität des Lebens) geht, zu theaterhaft überbetonend und hüftsteif die Schauspieler. Positiv zu vermerken ist, dass der Film mit lächerlichem Budget gedreht wurde; Kunsthochschule Kassel; HD Cam. Was leider auch die schäbige pixelige Bildqualität begründet, die einem doch schon auf die Nerven geht. Ob da was wie am Workflow oder der Projektion nicht stimmte; dass und wie kein Geld da war - beim Sehen auf großer Leinwand entschädigt all das leider nicht.
Ein bisschen enervierend auch die Gedankenpoesie in SOUTH (R: Gerhard Fillei, Joachim Krenn). „Das Leben schaut die an“ oder so; oder: „Sie hat die Postkarte nicht abgeschickt“ - sagt sich Bruce, der eben diese Postkarte in der Hand hält. Diese Karte stammt aus einem Sammelsuriumsbuch, das nicht seines ist und, in mehrerer Hinsicht, dann doch.
Es ist aber nur die Masse der Introspektion, für die man Gedult braucht, auch für das stete Zirkeln der Bilder und Erinnerungen, der Erinnerungsbilder, immer dieselben. Das fordert, aber auf eine positive Weise. SOUTH ist ein Film, den man zweimal schauen sollte und möchte, ein Ausnahmewerk, hier in Saarbrücken, aber nicht nur hier. SOUTH ist körniges Schwarzweiß und ist in New York gedreht, in Englisch, ein film noir, BLAST OF SLENCE, irgendwie. SOUTH erinnert dazu an Nolans FOLLOWING auch an Lynchs LOST HIGHWAY. Von Letzterem hat er ein Musikstück „geklaut“, nicht aber um den Sonnenuntergang in Los Angeles zu vertonen, sondern die farblose Calvin-Kleine-Werbeästhetik, die konsequent und erfolgreich durchgehalten wird: Regen in New York. Wie in LOST HIGHWAY sucht hier ein Mann sich selbst, auch wenn das selbst schon wieder nicht ganz klar erscheint. Bruce hat an einem Bankraub teilgenommen, flüchtet nach Oregon – das FBI ist ihm auf der Spur -, von da in die Ostküstenmetropole. Er träumt von einer Frau in Mexiko, versucht eine andere (oder dieselbe?) in Texas zu erreichen; aber irgendwas stimmt hier nicht, das Irisierende, Selbstgemurmel ist weit mehr als Ästhetik und Poesie. Es dient der Selbstbestimmung der Figur, ist auch manchmal etwas dick und ermüdend, dafür jedoch gibt es die Berichtskommentare des FBI-Agenten, die dem ganzen einen spooky touch gibt: Wer oder was ist dieser Bruce überhaupt?
Noch zwei Nebenhandlungen hat der Film, sie sind ineinander verwoben: eine junge Frau, die Ärger mit ihrem Freund hat und arbeitet für: einen alternden Pianohändler, der sie heimlich liebt. Was sie mit Bruce zu tun haben, erscheint zunächst unklar und auch zum Schluss, der gottlob sein „Trauma“ nicht gänzlich ausformuliert, ist immer noch offen, ob da nicht mehr ist, ein kleiner Hinweis, ein Querverbindung, die einem entgangen oder entglitten ist. Selbst wenn man SOUTH nur als kompliziert und überstilisiert erzähltes Krimi-Drama betrachten will, bekommt man so aber eine leichte Story, von der mehr zu sehen man sich gewünscht hätte: Die eines älteren Mannes, der im letzten Moment die Frau, die er heimlich liebt, gehen und damit seinen Lebenssinn davonziehen lässt.
Die Story von Fillei, Krenn und ihrem Film selbst ist spannend für sich. Mit Anfang 30 wollten sie es nochmal wissen, reisten nach New York, kamen nicht in die Filmschule und drehten doch ihren Film, was, in Phasen, zwölf Jahr gedauert hat. Was auch – eine ebenso unheimliches Momento – die Twin Towers im Film erklärt, die da (noch) stehen. Zwischendrin verkauften sie die Rechte, an eine windige Firma, arbeiteten trotzdem weiter, bekamen den Film schließlich zurück. Ein Glück. Hoffen wir, dass wir ihn noch oft und auf der Leinwand zu sehen bekommen!
Nicht so toll: WAFFENSTILLSTAND von Lancelot von Naso. Zunächst: Jeder deutsche Film, der sich des Themas Irakkrieg annimmt (wie auch Afghanistan) ist begrüßenswert. Viel mehr sollte es geben, die sich dem widmen, der Berichterstattung, den Soldaten dort, viel mehr gäbe es da zu erzählen, viel viel mehr, moralisch wie hinsichtlich des Stoffpotentials.
Auch WAFFENSTILLSTAND hat ein gute Idee und bisweilen eindringliche Bilder von zerstörten Häusern, einem Krisengebiet, das man über die TV-Aufnahmen nur unzureichend „bereist“ (gedreht wurde in Marokko). Um die Medien selbst geht es ein Stückweit auch: Ein Krisenreporter (Max von Pufendorf) und sein Kameramann (Hannes Jaenicke) begleiten eine Ärztin (Thekla Reuten) und ihren älteren befreundeten Kollegen (Matthias Habicht) auf ihrer Reise mit dem Minibus in die „Terroristenhochburg“ Fallutscha. Ein Waffenstillstand macht ihnen den Weg frei, um die nötigen Medikamente in die Kriegshölle hineinzubringen und seltene Bilder herauszuholen. John Fords STAGECOACH stand mit Pate, laut des Regisseur (so wurde dem Autoren zugetragen, der den Film nur in der Akkrediertenvorführung sah), und daraus ergibt sich eine dichte Situation, eine der Reise und der Belagerung.
Doch letztlich bleibt WAFFENSTILLSTAND zu nahe am Ufer der Fernsehunterhaltung: Die Botschaft, das Krieg schrecklich ist, wird zwar noch angereichert von dem Hinweis, dass und wie die US-Truppen heucherlisch sind, wenn sie Frieden und Demokratie bringen. Doch wie dies daherkommt, ist so wenig originell wie das Wissen um die Selbstaufgabe von Kriegsärzten, fast so banal wie die Botschaft, dass Zivilisten schlussendlich immer die Leittragenden sind etc. Nicht unbedingt schlecht, aber reißbrettartig sind oft die Dialoge; abgehangen die Rollen: Habicht als zynischer, gebrochener Doc, die mit seinen Kommentaren erhellt, wie beschissen sich so alles im Irak allgemein und im Speziellen entwickelt hat. Jaenicke ist einmal mehr der Taffe, der doch ein gutes Herz hat, und schließlich lässt auch sein Kollege, der engagierte Reporter das Reportieren und hilft, wenn es um die Versorgung der Kranken geht.
Iraker sind tatsächlich wie Indianer; sie dürfen den Busfahrer stellen, interviewt werden, die klagenden und blutenden Opfer geben, oder aber die Gastfreundlichen, die – man hat die Botschaft verstanden – auch böse auf die Amis sind und dafür die Kalaschnikow schwenken (fiese Indianer-Iraker gibt’s natürlich am Ende auch noch, abern nur kurz). Das ist alles ja gut gemeint, aber eben auch etwas altbacken und mit zu wenig Kanten, vor allem weil es sich aus der friedliebenden Position Dritter leicht gutmenscheln, urteilen und über alle Pein und Ungerechtigkeit grimmig die Faust ballen lässt.
Auch was die wohlfeile Medienschelte betrifft: Das Thema ist denn auch spannend, bleibt aber in/m WAFFENSTILLSTAND auf halbem Weg stecken, besonders in der Medienkritik. Dass die Kamera draufgehalten wird, wo es nur geht, dass Elend ausgenutzt wird (oder zumindest ignoriert) – all das ist schon wenig fein, und die Ethik des Fernsehen steht hier auch zwischen den Figuren hin und wieder zur Diskussion, z.B. die Geilheit auf Bombenattacken, die Bilder liefern; das Desinteresse darüberhinaus - das der Journalisten, der Zuschauer daheim. Doch indem die Mittel des Fernsehens und all ihre Unzulänglichkeiten mit denen des TV-Dramas kritisiert werden und die beiden Helden hier doch eben „nur“ solche sind, wird die eine „Verlogenheit“ nur durch eine andere ersetzt und ein klapperiges Ross der Rechtschaffenheit vor den Minibus der Schicksalsgemeinschaft gespannt.
Bernd Zywietz
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