Fragen ohne Antworten: „A Serious Man“ von den Coen-Brüdern

von Harald Mühlbeyer

„A Serious Man“
USA 2009. Regie, Drehbuch, Produktion: Joel und Ethan Coen. Kamera: Roger Deakins. Musik: Carter Burwell.
Darsteller: Michael Stuhlbarg (Larry Gopnik), Sari Lennick (Judith Gobnik), Richard Kind (Onkel Arthur), Fred Melamed (Sy Ableman). Aaron Wolff (Danny Gopnik), Jessica McManus (Sarah Gobnik).
Verleih: Tobis.
Länge: 105 Minuten.
Kinostart: 21.01.2010



Reinstes Jiddisch reden sie, das Ehepaar im kleinen Häuschen irgendwo in Osteuropa, der Mann war mit dem Pferdewagen unterwegs, hat einen mitgebracht, Traitel Groschkower, ein entfernter Bekannter seiner Frau. Doch die weiß: Traitel Groschkower ist tot. Und sie weiß, wie man mit einem Dibbuk, einem bösen Geist, umgehen muss.
Dann folgt der Vorspann.

Hat diese Vorgeschichte irgendwas mit dem Rest des Films zu tun? Gut, dass Sie fragen. Erwarten Sie eine Antwort?

Es hat genausoviel damit zu tun wie der Parkplatz vor dem Büro des Hilfsrabbiners, große Fläche, ein paar Autos. Aber manchmal hilft es, ihn aus anderer, neuer Perspektive zu sehen. Wem der neue Blickwinkel auf das Gewohnte hilft? Auf jeden Fall dem Hilfsrabbi, dem der Parkplatz so schön als Gleichnis dienen kann, aus dem er Befriedigung zieht. Hat aber eher weniger zu tun mit den Problemen von Larry Gopnik.

Oder die Sache mit den Zähnen: Einem Goj sind auf seine Zähne, hintendran, hebräische Schriftzeichen eingraviert, der Zahnarzt stutzt: „Hilf mir!“ steht da, aber das wirft zu viele Fragen auf, Tora, Kabbala können nicht helfen, der Rabbi auch nicht; aber der hat eine Story für seine Seelsorgestunde. Und Larry ist wieder um einen guten Rat reicher. Und noch immer ratlos.

Denn irgendwas stimmt nicht mit seinem Leben, er versteht nicht, was los ist: Plötzlich steht die Ehe vor dem Aus, einer seiner Studenten will ihn bestechen, während dessen Vater ihm mit Rufmordklage droht, der Nachbar will ein Stück von seinem Grundstück abzwacken, und just jetzt, kurz vor seiner Verbeamtung, erreichen verleumderische anonyme Briefe die zuständige Kommission; überhaupt geht alles keinen geordneten Gang mehr. Warum nur?

Als Jude hat man’s eigentlich gut: Man ist mit Sorgen und Problemen nicht auf sich allein gestellt, weil man in langer Tradition steht, weil es viele Geschichten gibt von anderen, die ähnliches durchlitten haben, deren Schicksale eine Art Ratgeber fürs eigene Leben sind. Das bekommt Larry mal gesagt, und er tut auch alles, um Hilfe zu finden. Aber leider, da trifft dann Hiob auf Kafka, kommt er nie an den großen weisen Rabbi Marshak ran.

Immerhin weiß er eines, an das er sich halten kann; nein, nicht die Physik, die er als Professor lehrt, die sich verliert in Unschärferelation und Schrödinger-Katzen – aber die Mathematik, die gibt exakte, beweisbare Grundlagen. Oder ist sie vielleicht doch nur eine Manifestation der Wahrscheinlichkeiten? Larrys hat’s nicht leicht, doch warum nur! Er hat doch nichts getan.

Hat überhaupt jemand irgendetwas getan? Kurz: Gibt es einen Gott? Und will der ihm etwas antun?

Beziehungsweise anders gefragt: Wenn die Wahrheit sich als Lüge herausstellt, und wenn alle Freude stirbt, was dann? Dann braucht man, das weiß Jefferson-Airplane-Frontphilosophin Grace Slick in ihrem surrealistischen Kissen, somebody to love. Ist das der Weisheit letzter Schluss? Und wo liegt das Olam Haba, der Ort jenseits des Lebens? In Kanada wohl kaum.

Sohn Danny will „F-Troop“ sehen, aber die Fernsehantenne ist falsch eingestellt. Tochter Sarah will allabendlich ins „Hole“, muss sich vorher die Haare waschen, aber Onkel Arthur blockiert das Badezimmer. Klar: Er muss ja seine Talgzyste entleeren.

Hätte man je gedacht, einmal diesen Satz in einem Film zu hören: Er muss seine Talgzyste entleeren?

Larrys Frau jedenfalls will die Scheidung, noch besser: eine Gett, den jüdischen Eheauflösungsritus, um danach im Glauben nochmals eine Ehe schließen zu können. Sy Ableman ist halt in ihr Leben getreten, und die Ehe mit Larry lief ohnehin nicht so gut, sagt sie, und Sy kann Larry so gut trösten, was soll man machen, am besten sollte Larry ins „Jolly Roger“ ziehen, bis alles ausgestanden ist.

Im übrigen ist da auch noch der Schallplattenclub, dem Larry nicht entkommt; da werden monatlich die neuesten Platten geschickt, und er hat Santanas „Abraxas“ noch nicht mal angehört; soll aber trotzdem bezahlen. Naja: die können ihn ja nicht zwingen, Probe zu hören, aber ganz klar ist: wenn man nichts tut, bekommt man die Platte des Monats, als nächstes wird es „Cosmo’s Factory“ sein; die Rechnung wird einem trotzdem serviert. Und Larry hat nun mal nichts getan, also ist er was schuldig.

Keine Chance, rauszukommen aus dem Leben. Funktioniert das eigentlich, das Mentaculus, an dem Onkel Arthur arbeitet, dieses wirre Gekritzel, das eine universale Landkarte der Wahrscheinlichkeit darstellen soll?
Hat die Handlung eigentlich irgendwas mit dem Film zu tun?
Und diese Kritik: Wovon handelt sie? Doch nicht etwa vom besten Film der Coen-Brüder seit Menschengedenken?