Witze über Witze - Auf DVD: „Voll daneben – Gags mit Diether Krebs“
Von Harald Mühlbeyer
„Voll daneben – Gags mit Diether Krebs“ – Die komplette Serie
TV-Serie 1990-1991. Sechs Folgen á ca. 30 Minuten. Regie: Ulrich Stark.
Darsteller: Diether Krebs, Tilo Brückner, Werner Kreindl, Karin Heym, Dominique Horwitz, Peter Bongartz, Dieter Pfaff, Anja Schiller, Klaus Wennemann.
Label: ARD Video, Vertrieb: SHDM/Al!ve
Verkaufsstart: 15. 10. 2007
Dass der deutsche Humor zur Gemütlichkeit hinstrebe: Da muss was dran sein, wenn sowohl Thomas Koebner (in einem Aufsatz in „Über das Lachen“, herausgegeben von Wolfgang Hansen) als auch Hans-Dieter Gelfert (dessen Buch „Max und Monty. Kleine Geschichte des deutschen und englischen Humors“ sich sowieso jeder Komikaffine zu Gemüte führen sollte) diese These konstatieren. Komik in ihrer deutschen Ausprägung will vereinen zu einer großen (Volks?)Gemeinschaft, zumal in der massenmedialen Nachkriegs-BRD. Deren Beginn wir getrost auf den Rosenmontag 1948 festsetzen können, den Todestag Karl Valentins, der eine der Ausnahmen ist, die die Regel bestätigen.
Der Witz, der aus deutschen Landen kommt, ist nicht zersetzend, nicht subversiv, nicht einmal selbstironisch; er ist auch nicht makaber und schwarz, sondern er affirmiert, er versöhnt, er will Einheit herstellen. Wenn er satirisch oder ironisch spottet, dann so, dass es niemandem (auch nicht dem Angegriffenen) weh tut, und wenn er doch ein Opfer braucht, dann eines von außerhalb der Gemeinschaft. Deutscher Humor: das ist sanfte Heiterkeit, die lustig beschwingt daherkommen mag wie bei Heinz Erhardt oder deppert-doof wie bei den Lümmeln von der ersten Bank, die so angestrengt witzig sein wollen und doch nur schwitzig bleiben.
Interessanterweise finden sich andere Muster in der deutschen Komikrezeption, die schon immer den ungleich subversiveren, respektlosen britischen oder vor ’33 auch den selbstironischen jüdischen Humor schätzte. Was sich freilich auf der Produktionsseite kaum auswirkte, zu tief war der Einschnitt durch die Nazizeit, zu sehr strebte man in den Wirtschaftswunder-50ern nach biedermeierlicher Harmlosigkeit. Wo doch in den 20ern im Kabarett wie im Film (in der heute fast unbekannten und weit unterschätzten Tonfilmoperette der letzten Weimarer Jahre etwa) eine ganz andere, weitaus spitzig-spritzigere Spaßkultur zu blühen begann, die dann untergepflügt wurde.
Erst in den 70ern (und sicherlich unter dem Einfluss der jetzt gerade 40 Jahre alt gewordenen 68er-Generation) weichte die verhärtete Einkapselung in die etablierte Stammtischgemütlichkeit auf. Alfred Biolek produzierte zwei deutsche Monty-Python-Specials (die bezeichnenderweise heute gar nicht in Deutschland erhältlich sind), die Neue Frankfurter Schule um die Zeitschriften Pardon und später Titanic übte sich in Nonsens-Satire, Loriot persiflierte mit Noblesse sein eigenes TV-Medium (und entwickelte – Zufall oder nicht – einige Parallelen zum Monty-Python-Quatsch).
Ach ja, und gleichzeitig die vielen weiteren Versuche, eine neue Art von Humor zu schaffen, der dann aber doch immer eher in die schlüpfrige Zotenecke ging, bei den schweinigelnden „Insterburg & Co.“-Texten oder im WDR-„Klimbim“, der alte Witze neu auflegte und mit Ingrid-Steeger-Tittenschau vermengte. Statt sich in die Höhen der Metaebene zu wagen, stieg man hinab in die tiefsten Zonen der Zote. Und diese völlig unironisch gekaulauerten Anspielungen auf, huhu: Sex waren eben doch oft genug nur Ausdruck einer tief verwurzelten Verklemmtheit und gingen nicht einmal weit genug, um wirklich Wirkung zu zeigen. Im Karnevals-Hit (oder gar: Karneval-Shit, hihi) packt man die Heidi von hinten an den Schultern, denn da geht’s ja los mit ganz großen Schritten – aber eben, und das ist der Punkt: nicht mit ganz viel Getöse.
Und gleichzeitig bis in die 80er Jahre hinein: der gespielte Witz von Didi, Harald und Eddi, die doof in die Kamera gucken mussten, damit man überhaupt merkt, wann der Sketch seine Pointe erreicht hat, und noch bis heute kalauert sich Otto (das Gernhardt-Eilert-Knorr-Produkt) mit immergleichen Scherzen durch die Republik.
Und: Diether Krebs mit Beatrice Richter, später mit Iris Berben in „Sketchup“, einer Klamotten-Serie im wahren Wortsinn, ging es doch eigentlich nur um die ständig neuen Verkleidungen der Protagonisten – und (auch hier) um möglichst schiefzähnige Grimassen am Ende der Sketche.
Freilich: Ende der 80er setzte sich der Wandel allmählich durch; Helge Schneider wurde populär, und in „Schmidteinander“ war Harald Schmidt so gut wie nie mehr – nicht einmal in seinen späten Sat.1-Jahren konnte Schmidt je wieder an den höheren Blödsinn heranreichen, den er mit Herbert Feuerstein (der ja langjähriger Mad-Herausgeber war) schuf. Soll man hier das Stichwort von der Postmoderne einwerfen? Oder einfach konstatieren, dass sich der Witz nun auf eine andere Ebene verlagerte, weil er sich nicht nur dem Nonsens verpflichtet sah, sondern sich zudem der eigenen Grundlagen bewusst war? Was zu Antiwitzen führt, oder dazu, sich über die eigenen Witze vor Lachen auszuschütten, oder sich über die Witze selbst lustig zu machen, oder grundsätzlich mal jede Erwartung auf Unterhaltung zu unterlaufen. Vieles davon übrigens altbewährte Metatechniken, die schon Sigmund Freud (wenn auch nur in einer Fußnote) beschrieb und die ja auch für Monty Python grundsätzlich waren (die also auch in diesem Fall als Trendsetter – oder gar Zeitenwende – gelten dürfen).
Diether Krebs nun sitzt in „Voll daneben“, der Nachfolgeserie zu „Sketchup“ aus den Jahren 1990/1991, genau zwischen den Stühlen. Viele der darin enthaltenen Sketche (etwa die ostschleswigholsteinische Wildflugente) werden alljährlich im großen Silvester-Sketchfeuerwerk wiederholt, sie bedienen sich genau der traditionellen Muster, die einen heiteren Neuanfang zum Jahreswechsel (der natürlich möglichst alles beim Alten lässt) ermöglichen sollen. Schließlich müssen die deutschen Witzspiele den Zuschauer ja auch wieder besänftigen nach den Ausbünden an Nekrophilie, die im „Dinner for One“ lauern.
Doch dann ist da auch noch Harry Hunger, der beste Koch, der in breitem Hessisch seinen Klumpatsch zusammenmantscht, was aber alles nur Alibifunktion hat: eigentlich geht es um das lautstarke Ausbreiten von Ressentiments gegen alles Fremdländische – und das ist ja in gewissem Sinne eine nicht unexakte Beschreibung einer der Funktionen des gemütlichen, vereinigenden (und eben damit das Störende ausgrenzende) deutschen Humors. Da ist Pit Cock, des Teufels Steuerknüppel, der von seinem Pilotensitz aus die ältesten Fliegerwitze startet, eine massierte Breitseite, die schon allen wegen der Quantität des Qualitätsmangels selbstironisch wirkt. Und natürlich die Familie Ballerstaller, die Verkörperung des billigen Lachers (Erinnerungen werden wach an die montypythonschen Cheap Laughs von nebenan, Episode 35 in der 3. Staffel). Wenn einer ein Bier in der Hand hält, wird er auf die Uhr blicken und sich vollschütten. Wenn einer aus dem Fenster sieht, zerbirst die Scheibe. Wenn Frau Ballerstaller bügelt, klingelt das Telefon und sie verbrennt sich das Ohr. Der Sohn (Dominique Horwitz) ist immer auf dem Klo, und der Nachbar (Peter Bongartz), der ungleich klüger ist als die Ballerstallers, verwechselt beim Nachhausegehen mit Sicherheit die Haustür mit dem Wandschrank. Genüsslich werden hier die Lacher der althergebrachten Billig-Comedy persifliert, so dass sie selbst dem Witz preisgegeben sind; Running Gags, die den Witz überrennen; Beknacktheit nicht nur der Ballerstaller-Familie, sondern auch der Komik – und die war sich dessen vollauf bewusst.
Hier entwickelt sich eine Doppelbödigkeit, die in harschem Kontrast steht zu den ganz straight vorgebrachten anderen Gags derselben Serie: immer wieder Kneipengespräche, die alte Witze aufwärmt, bis sie so schal und abgestanden sind wie das Bier wirkt, das Diether Krebs und (zum Beispiel immer wieder dabei:) Werner Kreindl zu trinken vorgeben. Und nach einem Schnitt zum nächsten Sketch wird ein billiger Lacher genau dieser Bauart (wie man ihn auch wöchentlich im Lukullus – wahlweise: Bäckerblume – nachlesen kann) hinterrücks persifliert. Das ergibt eine reizvolle Reibung zwischen den Primärgags und den Metagags, die irgendwie berührungslos nebeneinander stehen, so dass heftiger Funkenschlag entsteht: weil das unbestimmte Bewusstsein der „Voll daneben“-Macher vorhanden ist, dass sie hier eigentlich ständig irgendwo zwischen bieder und reaktionär agieren. Was dann in der Selbstironie zwar nicht aufgehoben, aber immerhin mit einem Gegengewicht versehen wird. (War eine ähnliche dialektische Ambivalenz nicht auch der Anfang von Krebs’ TV-Karriere als Ekel-Alfred-Schwiegersohn, der sich zwar als linker Sozi gerierte, aber eigentlich ganz ähnliche Ressentiments hegte wie Schwiegerpapa Tetzlaff, der erzreaktionäre Spießer?)
Innerhalb der simplen Sketchreihe werden die eigenen Lacher verlacht: und deshalb ist „Voll daneben“ auch heute noch genießbar, im Gegensatz zu vielen anderen Prä-Comedian-Lustigkeits-Sendungen. Weil man nun nicht mehr ein Gestrüpp alter Bärte durchqueren muss, um an den puren Witz zu gelangen, sondern weil nun der Bart selbst dem Gespött freigegeben ist.
Zeitlosigkeit – das ist ein zu großes Wort; und dabei ist es doch irgendwie bemerkenswert, wie viele der Mitwirkenden vor der „Voll daneben“-Kamera inzwischen tot sind: Neben Krebs auch Kreindl und Klaus Wennemann. Und natürlich Rex Gildo, der auch mal in einem der Sketche auftaucht.
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