Das ganze Geld mit Quatsch verdient - Wie Helge Schneider komisch ist (Screenshot-Klassiker von 2004)
von Harald Mühlbeyer
I.
Der Regisseur steht hinter einem Tisch. Aus einem Karton nimmt er eine Schiefe Ebene, stellt sie auf. Auf deren Oberfläche befestigt er Pappbäume: Tannen, schön ausgeschnitten, mit den Tannenzäpfchen in der Reih’. Er stellt ein Häuschen auf, in das Haus setzt er eine Mannpuppe und eine Fraupuppe. Die Kamera fährt auf die Miniaturlandschaft zu, ein kaum merklicher Schnitt, und aus dem Haus, das nun offensichtlich kein Modell mehr ist, kommen die Frau und der Mann, ihr Sohn – tatsächliche Schauspieler. Sie laufen den Berg hinab, vorbei an den Papptanne mit den wohlgeordneten Zapfen, die jetzt maßstabsgetreu vergrößert sind. Der Sohn rutscht aus und fällt in einen rechteckigen See. Nass steigt er heraus und fängt an zu weinen. Mutter und Sohn beten nun kniend: Liebe Sonne, bitte scheine doch, dass ich keinen Schnupfen bekomme! Die Pappsonne schaut freundlich hinter Pappwolken hervor, und dank ihrer Strahlen fängt der Sohn dampfend an zu trocknen.
Die Bürger des Westernstädtchens sind aufgebracht. Wütend verlassen sie den Saloon, der Bürgermeister, der Wirt, die Einwohner, auch einer mit einem Fahrrad. Sie wollen einen bö-sen Verbrecher lynchen. Der steht auf einem Hügel und blickt auf die Stadt runter. Ein bärti-ger Mann in USA-T-Shirt ruft ihn. He, weißte, wer ich bin? Hmmm, glaub schon. Ja, ich bin der liebe Gott, ne. Du, pass auf, die wolln dir an den Kragen! Der liebe Gott zeigt Doc Sny-der einen Koffer, und in dem Koffer befindet sich ein Modell der Westernstadt, mitsamt den Bewohnern, die sich auf dem Dorfplatz versammeln, um Doc zu lynchen – inklusive dem Fahrrad. Doc nimmt den Koffer mit der Modellstadt, schüttelt ihn, und in der realen Stadt gibt es ein schlimmes Erdbeben, das die Bürger umwirft. Wer sich noch regt, wird von Doc und Gott vollends K.O. geschlagen.
Der eine Film aus dem Jahr 1919, „Die Puppe“, ist von Ernst Lubitsch. Der andere Film von 1993, “Ttexas – Doc Snyder hält die Welt in Atem“, stammt von Helge Schneider, dem Viel-geschmähten.
II.
Helge Schneider ist ein Alberner. Er blödelt und macht Quatsch und redet Unsinn, und das schon seit vielen Jahren. Seinen exzentrischen und bizarren Stil hat er in all den Jahren bei-behalten, und er ist gut damit gefahren, nachdem er spätestens 1993 mit „Katzeklo“, dem „Es gibt Reis“-Doppelalbum und dem Film „Texas“ einer breiten Masse bekannt wurde. Gele-gentliche Ausbrüche aus seinem Schema zum Beispiel in den Jazz- oder Rockbereich bleiben gelegentlich, und er kehrt schnell wieder zurück zu seinem Stil, den er beherrscht, von dem er weiß, dass er ankommt und den er vermutlich auch selbst komisch findet. Wegen seiner Albernheit wird er abgetan als einer der üblichen sogenannten Comedians, die im Fernsehen versuchen, witzig zu sein. Wer aber einmal ein Interview mit ihm gesehen hat, bei Raab oder bei Schmidt selig zum Beispiel, der erkennt, dass es einen großen Unterschied gibt: Helge Schneider prostituiert sich nicht. Er hat keine Lust darauf, seine neue Platte, seine neue Tour zu promoten, auch wenn er muss. Er schweigt. Er hört nicht zu. Er bringt den Gesprächspart-ner aus dem Trott. Er verweigert sich. Diese Haltung scheint ihm durchaus ernst zu sein, auch wenn er sie unter einem Mantel von Blödsinn versteckt.
Helge Schneider macht durchaus auch mainstreamkonforme Witze. Geschichten ohne Pointe, alberne Assoziationen, Zoten, Imitationen, Fratzen, verzerrte Stimme, verrückte Kleidung sind seine Markenzeichen. Diese vordergründige Witzischkeit ist ein wichtiger Teil der Bühnenpersönlichkeit namens Helge, sie taucht in Schneiders Bühnenshows ebenso auf wie in Musik, Filmen, Büchern. Dieser Schneidersche Humor ist es, der ihm viele Fans, viele Besucher seiner Konzerte, viele Käufer seiner Alben beschert, der ihn zu einer „Kult“-Figur macht. Doch im Gegensatz zu anderen Komikern, Hoffmann, Appelt, Raab oder Herbig, belässt er es nicht dabei. Ein breites Allgemeinwissen, blitzschnelles Denkvermögen, spontane Improvisationsfähigkeit und genaue Beobachtungsgabe geben seinem Humor ohnehin eine besondere Qualität. Doch hinter der Fassade ist Schneider äußerst treffend in seinen Parodien und genauen Charakterstudien.
III.
Großartig seine Parodien, vor allem auf den deutschen Schlager mit seiner Heile-Welt-Attitüde, seinen Klischees, seinen ausgelutschten Metaphern: „Warte auf mich, ich werd dich begleiten, wir werden gemeinsam auf schneeweißen Pferdchen durch den Himmel der Liebe Hand in Hand durch das Land der Zufrieeedenheit reiten, reiten, auf den schönen weißen Pferdchen durch den gepflegten Wald.“ (Aus „Bitte geh nicht vorbei“). Auch wenn er den Jazz pastichiert, oder wenn er Rockmusik macht wie auf dem Album „Eiersalat in Rock“, immer in einer unernsten Helge-Haltung, immer aber auch seine Idole würdigend, zeigt sich seine Fähigkeit, genau zu beobachten und das Beobachtete dann in der ihm eigenen Art zu repetieren. Diese Parodien verbleiben nicht nur auf einer Ebene wie bei vielen anderen Komikern. Da kann es sein, dass sich in einer Schlagerparodie Derrick, Westernhagen und Jauch ein Stelldichein geben und dann auch noch Elvis und Beethoven vorbeischauen.
Schneiders Qualitäten verbleiben nicht nur im Formalen. „Telefonmann“, vom „Es gibt Reis“-Album, ist nicht einfach nur ein albernes Liedchen. Es ist ein genaues Porträt eines vereinsamten Mannes, der, um seinen letzten Rest von Selbstachtung nicht zu verlieren, sich ständig selbst hochtrabende Titel gibt. Wenn das Telefon schellt, ist er der Telefonmann, wenn es an der Türe klingelt, ist er der Türenmann. Mit diesen Selbstadelungen erhöht er sein Selbstbewusstsein und fühlt sich offensichtlich nicht mehr so klein und einsam. Das alles wird in Helges üblichem albernen Tonfall vorgetragen, der das eigentliche Drama verdeckt und daraus ein Quatschlied macht, das durchaus massenkonform ist – der unaufmerksame Zuhörer bemerkt die menschliche Tragödie, die das Lied beschreibt, gar nicht.
Ein ähnliches Charakterporträt zeichnet Schneider im zweiten „richtigen“ Helge-Schneider-Film „00Schneider – Jagd auf Nihil Baxter“ (1994). Nihil Baxter ist ein reicher Mann, der, vom Arzt gegen Einsamkeit und Langeweile verordnet, Kunst aller Art sammelt, Kunst, die ihm aber auch nicht helfen kann in seiner Isolation, ebenso wenig wie das Fernsehen oder sein Sportwagen, dessentwegen er einen Mord beging.
Wie Baxter, dicker Bauch, zottelige Lockenhaarperücke, in seinem Haus umherschlendert, wie er sich inmitten seiner Kunstschätzen langweit, sich zu zerstreuen versucht und mit einem ausgestopften Flamingo, dann mit seinem Spiegelbild Zwiegespräche führt, den Fernseher anmacht und eine Personality-Show namens „Ich schäme mich“ anschaut, wie ihm später seine Lieblingsstatue herunterfällt und er sich vor sich selbst wie vor den anderen keine Blöße geben will: „Skulptur kaputt, Skulptur kaputt, macht mir gar nichts aus!“, das zeugt von Schneiders wirklich feinem Gespür für seine Charaktere.
IV.
Schneider pflückt mal hier und mal da, Bruchstücke von diesem und von jenem fügen sich in seinen Liedern, Geschichten und Filmen zu einem seltsamen Universum zusammen. Freie Assoziation und spontane Improvisation führen ihn immer weiter ins Absurde, Surreale. Alles wird in einem blödelnden Ton ins Alberne gezogen, selbst das Anything Goes der Post-moderne.
In der Chemie gibt es das Phänomen der Freien Radikalen. Das sind extrem reaktionsfreudige Teilchen, die sich mit (beinahe) allem zu etwas Neuem verbinden können. Schneiders Gedankenwelt besteht aus lauter solcher Freien Radikalen – und Schneider ist der Mad Scientist, der alles auf unsinnigste Weise zusammenfügt.
V.
Dieser Schneider-Stil ist noch nicht alles, was ihn abhebt von anderen, die in der Liga der Comedians mitspielen. Natürlich beherrscht Schneider die Comedy-Standards aus dem Effeff. Was ihn unterscheidet von den anderen, ist sein offensichtlicher freier Wille. Wenn er keine Lust hat, hat er keine Lust. Er verfällt nicht in den Automatismus der Gefälligkeit, wenn er vor Publikum steht. Da kann es schon mal sein, dass er bei einem seiner Konzerte einen Sketch beginnt, dann mit der Pause unterbricht, nach 20 Minuten erst mal ein Lied spielt, den Sketch relativ lustlos wieder aufnimmt und dann abbricht, ohne ihn zu beenden (so geschehen am 20.10.2001 in Mainz).
Wenn er keine Lust hat, ist er immer noch überaus witzig. Wenn er aber voll dabei ist, ist er genial. Er tritt auf und weiß, dass das Publikum ihn will und nicht umgekehrt. Der Unter-schied zwischen Schneider und den üblichen Comedians besteht nicht in der albernen Büh-nenfigur Helge, sondern im Autor und Performer Schneider, der das tut, was er für richtig hält.
Diese bewusste Unabhängigkeit vom Publikum macht einen großen Teil seiner Qualität aus, denn sie bewirkt eine gewisse gesunde Publikumsverachtung. Schneider weiß, dass ein Großteil seines Publikums in ihm nur den kultigen Blödelclown sieht (der er auf einer ersten Ebene auch ist), und dass viele seiner intelligenten Witze, die auf assoziativer Gedankenakrobatik fußen, von der Masse gar nicht wahrgenommen werden. Das bewirkt eine merkwürdige Spannung: Einerseits, auf der Oberfläche, macht Schneider seine Witze, die in ihrer unsinnigen Albernheit jedem verständlich sind. Andererseits, auf einer zweiten Ebene, macht sich Schneider selbst über seine Witze lustig. Er eröffnet eine Ebene von Metahumor, die sich nicht jedem erschließt. Es entsteht ein Subtext von Dekonstruktion, in dem die Witze der ers-ten Ebene aufgelöst, in dem die Erzählebenen durchschlagen, in dem Erwartungen verachtet und Konventionen entstellt werden.
In „Texas“, Schneiders Regiedebüt, bricht er geradezu lynchesk die Erzählebenen auf, indem immer wieder ein überhaupt nicht in die Westernwelt gehörender Kommissar Schneider auf-taucht, der nach eigenen Angaben aus der „Twilight-Zone“ stammt. Und Praxis Dr. Hasenbein“ (1996) ist ganz dezidiert ein Antifilm, der unter Vermeidung jeglicher Dramaturgie zwar ein paar Helge-Späße enthält, vor allem aber eine der großen deutschen Filmgrotesken ist, vergleichbar vielleicht mit Lubitsch, Valentin und Achternbusch. In dem Film wird jeder Ansatz einer konventionellen Handlung konsequent im Keim erstickt, und wenn das Lexikon des Internationalen Films ihn als „ein Experiment, das in seiner bewusst dilettantischen Machart die Geduld des Zuschauers herausfordert“ bezeichnet, sollte dies als Kompliment gewertet werden.
VI.
Helge Schneiders Bücher sind in Form gegossene Improvisation. Sie sind flott herunterge-schrieben, scheinbar ohne dass der Autor auch nur einen seiner hingeschriebenen Sätze noch einmal durchliest. Und dabei erscheinen seine Romane um den Kommissar Schneider, Vor-name Helge, nie hingefleddert; im schneiderschen multimedialen Universum ist es nun einmal so, dass alles improvisiert wirkt, auch mal dilettantisch, dass die einzelnen Motive und Elemente aber eben doch aufeinander aufbauen und einen merkwürdigen Rhythmus, eine kakophonische Melodie ergeben. Darin sind seine Werke mit dem Jazz verwandt.
In Schneiders neuem Roman „Aprikose, Banane, Erdbeer. Kommissar Schneider und die Satanskralle von Singapur“ sind zwei Erzählstränge parallel beschrieben: Die Gefangenschaft und Flucht eines chinesischen Mörders mit Spezialausbildung und einer Hakenkralle anstatt seiner rechten Hand und das geruhsame und langweilige Rentnerleben des Kommissars a.D. Schneider, der gerade Strohwitwer ist und immer Hunger hat und sich dazu auch noch mit den Widrigkeiten von Dimensionsverschiebungen herumschlagen muss. Kurze Absätze folgen scheinbar ohne Zusammenhang aufeinander, und einige Episoden werden angesprochen und dann offensichtlich wieder vergessen, als Kommissar Schneider beispielsweise die Todeskralle des Mörders findet und diese dann aus dessen Schrank wie von ganz selber ent-weicht; sie taucht nie wieder in der Geschichte auf. Der chinesische Mörder stammt, so wird zu Anfang geschrieben, aus Singapur, und erst nach zwei Dritteln der Romans lässt der Autor Schneider seine Figur Schneider sich erinnern, dass Singapur ja gar nicht in China liegt; offenbar ist der Autor selbst hier einem Irrtum aufgesessen und lässt diesen nun von seiner Figur ausbügeln. Dass dies aber so sein muss, dass diese Unstimmigkeiten keine Fehler sind, dass sie vielmehr Teil sind einer völligen Dekonstruktion nicht nur des Kriminalromans, son-dern der Literatur überhaupt, zeigt sich auch im Titel, der sich lediglich auf die dreimalige nebensächliche Erwähnung von Aprikose-, Banane- und Erdbeereis bezieht. Oder in der wunderbaren Erfindung der Dimensionsverschiebungen, die es dem Autor Schneider erlauben, Ritter, Dinosaurier, Abrecht Dürer und andere fantastische Gestalten aus längst vergan-genen Zeiten neben seine Figuren zu stellen. Oder der schöne, gänzlich unvermittelt auftauchende Absatz mit völlig unsinnig aneinandergereihten Wörtern: „Brutux war ein eigentlich sehr einfaches Konzept zur Marketingstrategie für Lebensmittel. Ein einziges Gesamtvolu-men bezog sich auf den Großteil der Ernte des letzten Jahrzehnts“ usw. usw.
Wie bei allem von Schneider, das improvisiert wirkt, manifestiert sich auch in seinen Romanen der Produktionsprozess selbst. Man kann aus seinen Texten ziemlich genau herauslesen, wie groß die Lust beim Autor war, sie zu schreiben. Das ist bei „Aprikose, Banane, Erdbeer“ nicht anders, auch hier lässt in der zweiten Hälfte die Intensität und Dichte, in der die Absur-ditäten aufeinanderfolgen, nach und machen einer Routine des Grotesken Platz. Teilweise eher mechanisch folgt Seltsames auf Merkwürdiges, um dann aber doch wieder Platz zu machen für einen in seiner Blödheit schlichtweg genialen Einfall, wie beispielsweise die Geschichte der Entstehung des Lebens auf dem Planeten Erde. Auch das Einbinden des (Des-)Interesses des Autors in sein Werk gehört zum Schneider-Kosmos und lässt sein Œuvre lebendig und gewissermaßen privat wirken, wie man es sonst in der Literatur nicht findet. Denn der Leser fühlt sich unmittelbar an der Herstellung des Buches beteiligt.
VII.
Schneiders jüngster Film „Jazzclub – Der frühe Vogel fängt den Wurm“ ist sein bisher ernst-haftester. Getragen von Jazz erforscht er die Tiefen des tristen Alltages in einer Stadt wie Mülheim an der Ruhr. Lange blickt die Kamera auf zugemüllte Straßenbahnen, auf leere nächtliche Straßen, auf Wohnplätze unter Brücken. Die Kamera geht zu den Wohnsilos der einfachen Leute, in die Gegenden, in denen sowenig Kaufkraft vorhanden ist, dass die Plakatwände leer bleiben, da, wo die Rentner, deren Bierbauch von einem zerschlissenen Unterhemd umspannt wird, das Leben nur mit Hilfe von Schnaps und Türspion ertragen können. Den Pflasterverkäufer, den im Film Peter Thoms spielt, hat es tatsächlich gegeben, jahrelang ist er durch die Straßen der Stadt gezogen und hat seine Ware verkauft, „zwei Meter zwei Mark“. Die einfache Sprache der unbeholfenen Figuren, die Schneider erschafft, korrespondiert mit der Ungehobeltheit des Filmschnitts. Szenen in der Fußgängerzone sind offensichtlich stark improvisiert, und die Passanten wundern sich, was da passiert. Dann aber wieder findet man ganz ausgefeilte Bildkompositionen, wenn Teddy Schu (Helge Schneider) und seine Freunde Steinberg und Howard (die Jazzmusiker Jimmy Woode und Pete York) im Jazzklub ihre Musik spielen, ohne Zuhörer, aber mit viel Liebe und Gemeinschaftsgefühl. Der frühe Vogel fängt den Wurm, doch es ist klar, dass die Filmfiguren, alle, wie sie da sitzen, zum ganz späten Federvieh gehören.
Szenen voller Witz wie die Schäferstündchen des Rodriguez Fazanatas von der Agentur Se-nora Fuck oder die Lektion des Prof. Henry über das menschliche Gehirn wechseln sich ab mit ganz planen Szenen, in denen Teddy Schu einfach nur Fische verkauft, die einen ganz ehrlichen Blick auf das normale Leben werfen, so ehrlich, dass auch sie zu einem erkennenden und fast beklemmten Lachen reizen.
Schneider verlagert seinen progressiven Humor in eine Atmosphäre von authentischem Sozi-alrealismus. Vor dem Hintergrund trostloser Leben spielen sich die albernen Kleinigkeiten und Spinnereien ab, die Schneider natürlich auch in seinem sozialkritischen, fast resignierten Werk verwendet und auch nicht lassen will. Der Trost im Film ist der Jazz und die Komik, und es ist Schneiders Verdienst, dass sich der Realismus und der abgedrehte Blödsinn nicht beißen, sondern ergänzen zu einer sehr treffenden, wenn auch überhöhten Studie des Lebens.
Dieser Film ist sicherlich eine Weiterentwicklung innerhalb von Schneiders Oeuvre, denn erstmals ist ein ernstgemeintes Anliegen erkennbar. Die kleinen Leute, die im Irdischen keine Hoffnung mehr haben, nehmen Zuflucht im Jazz und im Unsinn, in den schneiderschen Obsessionen also. Zuvor war in Schneiders Werk zwar ein ernsthafter Umgang mit der hand-werklichen Herstellung von Komik zu erkennen gewesen, über das Produkt selbst, also über seine Witze und Albernheiten, hat sich Schneider dann aber wieder lustig gemacht. Nun wird die Komik benutzt, um die Melancholie des Films zu verstärken, in der Art (wenn auch nicht in den Mitteln) einigen Filmen Woody Allens nicht unähnlich, in denen ja auch Jazzmusik vorherrscht.
Schneiders Humor war immer ohne jeden Sinn gewesen, hat aber auf einer abstrakten Ebene seine Bedeutung, die sich gerade aus der Sinnlosigkeit speist. Versatzstücke kulturellen Ausschusses fügt Schneider neu zusammen, scheinbar wahllos und willkürlich, und die so ent-standene alberne Mischung enthält die Weltsicht des Komik-Auteurs Helge Schneider. In „Jazzclub“ fügt er dieser abstrakten Ebene einen konkreten Bezugsrahmen hinzu, und beide Ebenen, die Konkrete des Sozialrealismus und die Abstrakte der Schneider-Spinnereien, treten miteinander in Dialog. Trotz dieser Erweiterung des Schneider-Horizontes ist es noch immer die gleiche Welt, auch wenn „Jazzclub“ mit seinen authentischen Außenaufnahmen völlig anders aussieht als „Praxis Dr. Hasenbein“, wo alles innerhalb derselben künstlichen Kulissen mit aufgemaltem Tunnel an der Mauer spielte. In seinem Wechselspiel zwischen grotesker Absurdität und genauem Blick auf die Realität deutscher Stadtlandschaften ist „Jazzclub“ ein Meisterwerk. Auch wenn der Film wohl kaum das große Publikum des gag-reichen schneiderschen Frühwerkes anziehen und von der seriösen Kritik weitgehend ignoriert werden wird.
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