Filmfest München: Comeback einer Action-Autorenfilmerin - Kathryn Bigelows "Hurt Locker"
Nicht nur auf Grund der Erfindung nicht vorhandener Massenvernichtungswaffen und gröbster Verstöße gegen jene Menschenrechte, die man laut neokonservativer Propaganda für die Zivilbevölkerung wieder herstellen wollte, zählt der Irakkrieg zu den dunkelsten Kapiteln der amerikanischen Geschichte seit Vietnam.
Die bisherigen filmischen Auseinandersetzungen mit der Thematik versuchten aus nahe liegenden Gründen an die kritischen Traditionen der 1970er Jahre anzuschließen, scheiterten jedoch meistens würdevoll, da sie es nicht vermochten an das Stilbewusstsein und die Konsequenz des New Hollywood anzuschließen. Lediglich Brian De Palma verstand es, die Veränderungen in der medialen Wahrnehmung durch Video-Blogs und You Tube im Kontrast zu Essay-Filmen und klassischer Nachrichtenästhetik in dem wieder einmal von der deutschen Rezeption weitgehend verschlafenen Alterswerk „Redacted“ (USA 2007) zu thematisieren.
Eine weitere, beachtliche Lösung, die Missstände auf die Leinwand zu bringen, fand auch die Action-Autorenfilmerin Kathryn Bigelow mit dem gleichermaßen dynamischen und verstörenden Kriegsdrama „The Hurt Locker“, das effektvoll die formalen Innovationen des Actionkinos der 1980er und 1990er Jahre mit dem kritischen Bewusstsein der 1970er Jahre vereint. Der häufige Einsatz von Handkameras erzeugt über weite Strecken eine semi-dokumentarische Atmosphäre, die beinahe realistischer als die echten, manipulierten Bilder des „embedded journalism“ erscheint.
Der Hektik der verwackelten Aufnahmen steht die quälende Dauer der Einsätze und die trotz avancierter technischer Hilfsmittel ständig präsente Ungewissheit über die eigene Lage gegenüber, die in der großartigen Exposition zum Ausdruck kommen. Bei jedem Einsatz könnte irgendwo in der Nähe noch ein Sprengsatz gezündet werden oder sich ein Scharfschütze verstecken. Eine derart intensive Vermittlung beklemmender Patt-Situationen fand sich bisher nur in First-Person-Shootern. Im Unterschied zu diesen spart Bigelow jedoch auch die Ausfälle gegenüber den Zivilisten und die schnell auf die Nerven gehende Selbststilisierung einiger Soldaten nicht aus.
Hinsichtlich der Typologie der Charaktere scheint „The Hurt Locker“ auf den ersten Blick die Standards eines handlungsbetonten Kriegsfilms zu erfüllen. Bei genauerer Betrachtung werden diese durch die Mise-en-Scène und die Dramaturgie jedoch gezielt unterlaufen. Nachdem ein irakischer Junge dem Bombenterror zum Opfer gefallen ist, kann sich einer der Soldaten nicht beherrschen. Er ergreift die Initiative und begibt sich mit gezogener Waffe in der näheren Umgebung auf die Suche nach den potentiellen Mördern. Ganz im Gegensatz zu den Formeln des reaktionären Actionfilms verläuft sich die Spur innerhalb kürzester Zeit und er stößt lediglich auf unscheinbare Zivilisten, wie einen irakischen Professor, der ihn freundlich in seinem Haus willkommen heißt, während dessen Frau ihn als Mörder beschimpft.
Bigelows Film entstand nach einem Drehbuch von Mark Boal, der sich in „The Valley of Elah“ bereits mit den Auswirkungen der Kriegstraumata auf die Angehörigen der Soldaten auseinandergesetzt hat. Auf eindrucksvolle Weise gelang ihnen ein engagierter Film, der anstelle von „Preaching to the Converted“-Strategien auf das Reflexionsvermögen des Publikums setzt.
Sowohl der Verzicht auf falsche Eindeutigkeiten, als auch der am Ende des Films akzentuierte, endlose und zermürbende Kreislauf der Einsätze, der eine fragwürdige Sisyphos-Aufgabe im Dienste verlogener und selbstgerechter Ideologien andeutet, brechen mit den Manierismen des gegenwärtigen US-Mainstreams. Bigelow vermeidet den schnellen und leichten Weg, den die meisten Politdramen der Bush-Ära eingeschlagen haben. Stattdessen erinnert sie an das kritische Potential des Actionfilms und reklamiert in einem der besten Filme diesen Jahres ihre Position als emanzipatorische Ausnahme-Filmkünstlerin, die bewusst mit Genretraditionen arbeitet, ohne diese lediglich sinnlos hin und her zu transformieren.
„The Hurt Locker“ vermittelt mit einer fesselnden und zugleich beklemmenden Direktheit die Ausweglosigkeit der Situation, ohne dass man sich das deutlich vorhandene kritische Potential des Films mit Hilfe der poststrukturalistischen Trickkiste zurecht schwurbeln müsste.
- Andreas Rauscher