Hitchcock-Ausstellung in Berlin

Wenn Perfektionisten zu Perfektionisten arbeiten -
„Casting a Shadow. Alfred Hitchcock und seine Werkstatt“ in der Deutschen Kinemathek Berlin (29.01.-14.06.2009)

Mit „Casting a Shadow. Alfred Hitchcock und seine Werkstatt“ zeigt die Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen 110 Jahre nach der Geburt des Briten den Master of Suspense und sein Werk aus erfrischend ungewohnten Blickwinkel. Hier geht es nicht um die Stars, wie man sie von der Leinwand oder von Filmplakaten kennt. Die Ausstellung wagt den ehrlich neugierigen Blick behind the scenes, zeigt statt Glamour Kreativität und Kritzeleien. Der Zuschauer hat auf seinen Weg durch die acht Ausstellungsbereiche die Aufgabe, Bekanntes zu erkennen und Vertrautes neu wahrzunehmen. So werden zum Beispiel abstrakte Skizzen der Crop Duster Szene aus North by Northwest direkt neben den entsprechenden Filmausschnitten ausgestellt. Diese extreme Verdeutlichung des Schaffensprozesses lässt den Betrachter begreifen.

Die acht Bereiche der Ausstellung durchlaufen die einzelnen Phasen des Filmemachens: Drehbuch, Production Design, Kostümbild, Studio Produktion, Kamera, Sound Design und Vermarktung.



Am Ende werden unter der Überschrift „Hitchcock und Berlin“ Fotografien einer Promotiontour zu Torn Curtain durch die Hauptstadt präsentiert. Sie zeigen Hitchcock fünf Jahre nach dem Bau der Mauer an Orten, an denen der Betrachter mit großer Wahrscheinlichkeit vor kurzem selbst gestanden hat, schlagen ein Brücke zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart, zwischen dem Künstler und seinem Zuschauer.



Thematisch zu jedem Bereich passend sind Ausschnitte aus Michael Strauvens ARD Dokumentation, die im Frühsommer ausgestrahlt werden soll, zu sehen. Hier sprechen u. a. Bruce Dern (Marnie, Family Plot) und Tippi Hedren (The Birds, Marnie) über ihre Erfahrungen mit dem Regisseur Hitchcock und unterlaufen zum Glück zuweilen die Äußerung des Meisters: Never give away your secret of how the film is made.

Wie perfektionistisch Hitchcock in den Vorbereitungen des Kostüme und der Ausstattung war, beschreibt er in seinem Interview mit François Truffaut: „Für The Birds haben wir jeden Bewohner in Bodega Bay, Männer und Frauen, Greise und Kinder, für die Kostümabteilung fotografieren lassen. Das Restaurant ist die genaue Kopie des Restaurants, das es da wirklich gibt. [...] Das Haus des Farmers, dem die Vögel die Augen aushacken, ist die getreue Kopie eines Hauses, das es wirklich gibt – der gleiche Eingang, der gleiche Flur, das gleiche Zimmer, die gleiche Küche, und hinter dem Flurfenster der Ausblick auf den Berg stimmt auch genau.“ Im Berliner Filmmuseum werden diese Worte zu Bildern: 36 Fotografien der Bodega Bay Bewohner sind ausgestellt.



Am beeindruckendsten sind auf visueller Ebene die Zeichnungen, die Hitchcock selbst zu seinen Filmen angefertigt hat. Die überraschende Schlichtheit der Skizzen erwischt den kalt, der mystische Schätze zu entdecken hoffte. Hitchcocks Zeichnungen erscheinen in der ihm gewidmeten Ausstellung neben den Entwürfen von Zeichnern wie John De Cuir, Harold Michelson oder Thomas Wright ob ihrer Schlichtheit fehl am Platz. Hitchcock konnte zeichnen, konnte grafisch Denken, wenn es gefordert war. Schließlich begann er seine Karriere beim Film mit dem Gestalten von Zwischentiteln. Sein Talent, das Wesentliche auf ein Minimum zu reduzieren, bewies er jedoch bereits 1927 mit seinem berühmten Selbstporträt. Unverkennbar stellen die 9 Striche den kreativen Kopf Hitchcocks dar. Und ebenso reichen ihm fünfzehn Jahre später wenige Striche, um die finale Szene aus Saboteur auf der Freiheitsstatue darzustellen.



Alfred Hitchcock erklärte Truffaut, dass ein Film für ihn bereits vor Beginn der Dreharbeiten fertig sei. Die ausgestellten Storyboardzeichnungen von Shadow of a Doubt und The Birds bestätigen diese Aussage. Fast eins zu eins kann man sie in den gezeigten Filmausschnitten wiederentdecken. Zeichnungen, Matts, Illustrationen, Szenenbildentwürfe, Sequenzentwürfe und Storyboards – alle sind in sich eigene Kunstwerke mit Potential zum Kultobjekt. Obwohl die Szene im Kornfeld von North by Northwest ohne Storyboard gedreht wurde, fertigte Mentor Huebner nachträglich zu Werbezwecken ein Storyboard an.

Bei der Entdeckungstour durch den Museumsraum wird der Betrachter nicht nur visuell von Hitchcock begleitet. Über Lautsprecher halt durch die Gänge die Stimme des Master of Suspense, spricht Hitchcock zu allen, die sich die Zeit nehmen, ihm zuzuhören.



Auf einer großen Leinwand laufen Ausschnitte aus dem „Frankfurter Stammtisch“ von 1966. Botho Jung, Curt Riess, Richard Kirn, Hein Heckroth und Alfred Hitchcock sprechen über das Werk des britisch-amerikanischen Filmregisseurs – in Deutsch. 1924/25 hatte Hitchcock in Deutschland gearbeitet, sich von Friedrich Wilhelm Murnaus Dreharbeiten inspirieren lassen und anscheinend die Sprache gelernt. Nur selten muss er sich im Interview mit englischen Ausdrücken behelfen.



„Manche Filme sind ein Stück Leben, meine sind ein Stück Kuchen“ sagte Hitchcock zu Truffaut. Mit der Ausstellung „Casting a Shadow“ ist dem Berliner Filmmuseum eine Sahnetorte gelungen, an der man sich nicht satt sehen kann, und bei der jede neue Schicht geheimnisvolle Überraschungen birgt.