Filmfest München - vor dem Anfang

Nein. Für mich hat das Münchner Filmfest noch nicht begonnen. Denn die Eröffnungsveranstaltung gestern Abend war nur für geladene Gäste zugänglich; CSU wahrscheinlich und ähnliches.
Für Journalisten geht es heute los, genauer: in einer starken Stunde, um 10 Uhr morgens, mit der ersten Pressevorführung.
Nein: gestern habe ich etwas ganz anderes erlebt. Eine Nacht im Grusel-Schloss sozusagen: Im Filmmuseum wurden drei Filme von William Castle gezeigt, der bekannt dafür ist, dass seine Filme von der Leinwand herunter direkt in den Kinosaal steigen. Mit einfallsreichen Gimmicks inszenierte er nicht nur seine Filme, sondern auch deren Vorführungen - und mit viel Spaß hat Bruce Goldstein diese Kinospäßchen nach inszeniert. Vor der Vorführung konnte man eine Versicherungspolice abschließen, für den Todesfall vor Angst im Kinosaal; Blutdruckmessen inklusive. Und während "The Tingler" flog ein Skelett durch den Kinosaal, Stühle vibrierten, und vor allem griff der Tingler persönlich die Kinozuschauer an... Und: so einen schönen LSD-Rausch habe ich selten auf der Leinwand erlebt - weniger, weil sie dabei mit bunten Taschenlampenstrahlen beleuchtet wurde, eher, weil hier Vincent Price mal wirklich so etwas wie Ausdruck im Gesicht hatte... "The Tingler" ist an sich ein totaler Mistfilm, in dem so etwas wie Affekte und Emotionen (zum Beispiel beim Tod einer nahestehenden Person) nicht vorkommen, der in der Tat nicht auf der Leinwand funktioniert, sondern nur als Vehikel für die Gimmicks.

Mit Gimmicks zurückgehalten hat sich Goldstein bei den beiden anderen Filme: "The Straightjacket" und "The Nightwalker", beide geschrieben von "Psycho"-Autor Robert Bloch. Ersterer ist tatsächlich eine Art "Psycho"-Remake, letzterer führt uns in die Alpträume einer Witwe - beide sind höchst effektvoll inszeniert, gerade wegen Castles altmodischer Herangehensweise. Er spielt mit den Bildern, erzeugt per Überblendungen Verbindungen, lässt über Blicke erzählen, über Körperhaltungen; das alles natürlich auf B-Movie-Standart, aber wirkungsvoll. Man merkt, dass Castle an Stummfilmen geschult ist (im "Tingler" ist ein Stummfilmkino ein wichtiger Handlungsort). Und er weiß, wie er kleine Details einsetzen muss, damit der Zuschauer hineingezogen wird in seine Geschichten von Täuschungen und Intrigen, von Einsamkeit und Besessenheit. Joan Crawford und Barbara Stanwyck spielen hier Altersrollen - und wie sie ihre Stärke ausspielen inmitten von existentiellen Notlagen, das ist großartig. Die Crawford, die gegenüber einem Doktor beweisen will, dass sie nicht verrückt ist und gerade durch ihre hyperaktive Nervosität auffällt; wie sie ein Streichholz auf einer Jazzplatte auf dem Plattenspieler anzündet...

Harald Mühlbeyer