Berlinale Retrospektive 2022: Rosalind Russell: „Four's a Crowd“

Four's a Crowd

USA 1938. Regie: Michael Curtiz, mit Errol Flynn, Olivia de Havilland, Rosalind Russell

  

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro


Ihr gehört die erste Szene: Auftritt Rosalind Russell, die frohgemut ins Bürogebäude stürmt, sich von der Einsilbigkeit des Fahrstuhlführers nicht stören lässt, durch den Flur, durch die Tür an ihren Arbeitsplatz, zügig Papier in die Schreibmaschine gespannt, sie brennt darauf, ihre Story aufzuschreiben – sie ist Reporterin, jetzt hat sie ihren Artikel im Kopf, er muss nur noch in die Zeitung. Doch dann merkt sie, dass etwas nicht stimmt, sie blickt sich um, immer verstörter, dann wütend: Die Redaktion wird gerade abgewickelt. Ihre Zeitung ist Geschichte. Und sie stürmt hinein ins Büro; naja: in den Salon des Herausgebers Mr. Buckley, dem sie gehörig die Meinung geigt. Er steht am Spiegel, wird von ihr verbal überfahren, und sie ist überhaupt nicht irritiert von ihm – obwohl sie schon die ganze Zeit sehen muss, was uns Zuschauern erst gegen Ende ihrer Gardinenpredigt offenbart wird, nämlich, dass Buckley gerade am Anziehen ist und keine Hose anhat. Das hält Ms. Christie nicht auf, sie hilft pragmatisch beim Anziehen, während sie eifrig erörtert, wie denn die Zeitung gerettet werden kann.

Errol Flynn als Bob Landsford war der Starjournalist, der jetzt als PR-Manager eine zweiter Karriere aufgebaut hat. Er ist im Clinch mit dem Millionär Mr. Dillingwell, als Jean Christie ihn zu überreden versucht, zurückzukehren als Chefredakteur – er will nicht, und Rosalind Russell hat eine Idee. Wenn Rosalind Russell eine Idee hat, dann sieht man das, sie blickt verschmitzt hin und her, rollt die Zunge – klug gesetztes Overacting macht hier die Komödie aus, ein Spiel mit dem Schauspiel und eine Verbrüderung mit dem Publikum über den Film, über die Filmfiguren hinweg: Wie sie da sitzt in Landsfords Büro und diese Idee hat, das ist der Schlüsselmoment des Films, der die komplizierten Wirrungen zur Folge hat. Denn hier nun wird sie beginnen, das Professionelle mit dem Privaten zu mischen, indem sie Landsford auf Dillingwells Enkelin anheizt, die wiederum nämlich mit Herausgeber Buckley so gut wie verlobt ist.

Landsford ist die Hauptfigur, Errol Flynn, diesmal nicht als Abenteurer, macht eine flott komische Figur, er ist ein PR-Hallodri, wie er im Buche steht, hier ein Spin, dort eine kleine Lüge, dann wieder rückwärts und ein bisschen hintenrum. Jean Christie ist ihm ebenbürtig, obwohl sie eine Frau ist – das ist bemerkenswert; während Olivia de Havilland als Lorri Dillingwell vor allem romantische Interessen hat, ist Jean Christie darauf aus, die Zeitung zu retten, und dafür auch ihr Liebesleben zu opfern.

 

Was abseits von Russells Performance bemerkenswert ist: Der alte Dillingwell ist superreich, aber vor allem ist er ein Kind, mit einem besonderen Hobby. Im Garten hat er eine enorme Spielzeugeisenbahn aufgebaut, eine bestimmt 15 Meter breite Anlage, mit seinem Butler zusammen nimmt er das sehr ernst – auch ihm geht das Private vor das Berufliche, das betreibt er nebenbei und scheffelt so Millionen; Landsford hat eine lange, komische Sequenz, wie er den Alten zu einem Miniatureisenbahnrennen herausfordert, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen, wie er deshalb aus der Küche Butter stiehlt, um die Gleise zu präparieren, dabei Wachmännern ausweichen muss und ins Gemach von Lorri gerät, der er Liebe vorspielen muss – auch bei ihm ist für den Zuschauer immer offensichtlich, wenn er anderen etwas vormacht, genau wie bei Russells Jean Christie-Figur.

 

Deshalb passen die beiden auch gut zusammen, so gut ein Screwball-Couple eben zusammenpassen kann. Am Ende gibt es eine Doppelhochzeit, und diese Doppelhochzeit ist ganz besonders – denn wer wen genau heiratet, ob aus Liebe oder nur um den anderen auszustechen oder vielleicht auch, um jemand anderes zu besitzen, das ist in diesem Chaos letztendlich so egal, wie wer nun genau mit wem getraut wird. Noch bei der gemeinsamen Fahrt vom Amt des Friedensrichters kommen die Brautpaare geradezu polyamourös durcheinander.

 

Harald Mühlbeyer


Bilder (c) Turner Entertainment

Berlinale Retrospektive 2022: Mae West: „My Little Chickadee“

My Little Chickadee

USA 1940. Regie. Edward F. Cline. Mit Mae West, W. C. Fields, Joseph Calleia, Dick Foran

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.

 

Zwei ganz Große treffen aufeinander. Mae West und W. C. Fields in einem Film, mit geteiltem Drehbuchcredit – offenbar sind beide gar nicht gut miteinander ausgekommen, was damit anfängt, dass Mae West wohl die ganze Filmstruktur geliefert, Fields dann seine Szenen und Dialoge ausgearbeitet hat – und beide gleichwertig genannt wurden. Und was, angeblich, damit endete, dass Fields die besseren Kritiken für seinen Auftritt erhielt, weshalb West nie mehr mit ihm geredet hat. Zeichen wohl auch dafür, dass die Zeit von Mae West nach neun Filmauftritten vorbei war – aber was für Auftritte, und welches Finale legt sie hier nochmal hin!


Sie trägt den ultimativen Mae West-Namen „Flower Belle“, es ist nach all den urbanen 1890er-Filmen ein Western, der natürlich mit dem Überfall auf eine Postkutsche beginnt. Flower Belle ist Passagierin, die männlichen Mitreisenden starren sie nicht an – dafür nimmt sie der maskierte Bandit mit. In der Stadt helle Aufregung: Das Geld ist gestohlen, und auch noch Flower Belle, eine der ihren – offenbar hat sie hier zur Abwechslung keinen verruchten Ruf. Den erhält sie erst, als sie anderntags wiederkehrt: „Ich war in die Enge getrieben, konnte mich aber rauswinden“: den schlagfertig-(un)zweideutigen Spruch hat sie natürlich drauf. Der Bandit hat ihr zudem einen Beutel mit Gold geschenkt, als Dank, zusätzlich zur Freilassung. Und er besucht sie des nachts, noch immer maskiert, was das Klatschmaul der Stadt, eine dieser hochanständigen Tanten, die West auf dem Kieker hat, gleich sieht. Anklage, Prozess, Urteil: Sie muss die Stadt verlassen, bis sie Respektabilität erlangt hat und verheiratet ist.

 

Im Zug dann Auftritt – eines Indianers, der vor den Gleisen steht. Hinten in der Gepäckrutsche: Cuthbert J. Twillie, der W. C. Fields-Charakter in diesem Film, und nun können die beiden ihre bewährten Kunstfiguren aufeinander loslassen. Fields ist der Schaumschläger, der Dampfplauderer, der Großmotz, voll von Trieben, gegenüber Frauen, mehr noch gegenüber Geld, vor allem gegenüber Schnaps. Er macht sich natürlich gleich an Flower Belle ran, schon der Name schmeichelt dem Auge. Sie sieht, dass er eine Tasche voll Geld bei sich hat – kurzerhand wird geheiratet im Zug, durch einen Priester, der freilich nur wie ein solcher aussieht, eigentlich Falschspieler ist. In aller Augen aber sind die beiden nun getraut. Und landen im verruchten Greasewood. Dort ist Jeff Badger Chef der Stadt, der tapfere, gutaussehende Wayne Carter ist der Zeitungsredakteur, der das Übel der Stadt im Auge hat. Zwischen diesen Männern wird Mae West stehen, den ganzen Film über; dazu der geile Ehemann, den sie nicht an sich ranlässt, und der geheimnisvolle Bandit, der sie zum nächtlichen Stelldichein einlädt.

 

Mae West ist schlagfertig wie immer; Fields ein Schwadronierer vor dem Herrn wie immer – beide sind in Hochform, gerade in der Reibung aneinander: Cuthbert wird gar Sheriff, er weiß, dass das gefährlich ist: Die Leute hier können den Sheriff nicht von einer Tontaube unterscheiden. Er drängt sich in ihr Bett, um endlich Vollzug zu melden; sie hat ihm aber eine Ziege reingelegt, er hält das erst für einen Pelzmantel. Als er vom maskierten Banditen erfährt, schneidert er sich eine schwarze Maske, um wenigstens in dieser Verkleidung den einen oder anderen Kuss von ihr zu stehlen. Aber, West weiß es: Der Kuss eines Mannes ist wie seine Signatur.

 

West hatte zuvor über zwei Jahre keinen Film mehr herausgebracht; danach würden nur noch weit fadere Auftritte von ihr folgen. Also lässt sie natürlich hier einige Sprüche vom Lager; einige sind auch gänzlich misslungen, wie sie abfällig die Indianer abfertigt, die den Zug überfallen wollen und die sie mit Sechsschüssern in beiden Händen freimütig abknallt. Wenn es aber ums andere Geschlecht geht, dann ist sie nicht zu schlagen. „Generell vermeide ich Versuchungen, außer ich kann nicht widerstehen.“ Oder in einer Schulszene: „Ah, Arithmetik! I always was good at figures.“ Am Ende dann steht sie zwischen den beiden Männern, der eine der Gute, der andere der Feurige; vielleicht entscheidet sie sich morgen, vielleicht nie, jedenfalls: „Any time you got nothing to do and have lots of time to do ist, come up“. Da ist er wieder, ihr Slogan!

 

Harald Mühlbeyer


Bilder (c) Universal Studios

Berlinale Retrospektive 2022: Mae West: „Every Day’s a Holiday“

Every Day’s a Holiday

USA 1937. Regie: A. Edward Sutherland. Mit Mae West, Edmund Lowe, Charles Butterworth, Charles Winninger

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.


In „Klondike Annie“ hat Mae West gleich zu Anfang eine tolle Performance hingelegt: In der chinesischen Nachtclubhölle spielt sie einen tollen Song, „I’m an occidental woman in an oriental mood for love“: ein Arrangement, das tiefen Blues mit leichten chinesischen Klängen verbindet. In „Every Day’s a Holiday“, ihrem übernächsten Film eineinhalb Jahre später, tritt Louis Armstrong auf: Aus ihrer Liebe zur afroamerikanischen Musik macht Mae West keinen Hehl, so gut es eben geht im Studiosystem. Armstrong tritt da als Straßenkehrer auf, das ist der Platz, der den Schwarzen im Film der 30er zugewiesen ist. Allerdings ist dies nur der Auftakt zu seinem Auftritt, er trägt einen frischen weißen Anzug, aus dem er seine Trompete holt, um loszuspielen – er ist Teil der kulturellen Revolution, die der Film feiert, reiht sich ein in die Wahlkampfparade, die Wests Figur der Peaches O’Day zugunsten von Jim McCarey anführt, der für als Bürgermeister von New York kandidiert. Sie würde sich auch selbst aufstellen, aber das ist gegen die Verfassung – allerdings ist sie Suffragette, wie sie betont.

 

Hat sich Mae West in „Klondike Annie“ noch einigermaßen ernsthaft mit den Moralwächtern beschäftigt, bleibt in „Every Day’s a Holiday“ nur noch Spott über die selbstgerechten Heuchler, die über Anstand und Sitte wachen wollen. Die hier schonungslos der Lächerlichkeit preisgegeben werden, weil sie in unterschiedlicher Hinsicht Trottel sind.

 

„Every Day’s a Holiday“ geht, wie die beiden vorherigen Filme, weit über die Farcen ihres Frühwerkes hinaus. West hat offenbar spätestens nach „Goin’ to Town“ gemerkt, dass sie mit sich selbst im Mittelpunkt, aber ohne unterstützende Dramaturgie künstlerisch nicht weiterkommt; die Abkehr in „Klondike Annie“ von der Formel und die Anwendung weiterer Unbekannter in „Go West Young Man“ waren überzeugende Weiterentwicklungen ihrer filmischen Kunst; dieser Film reiht sich nahtlos ein, denn hier lässt West nicht nur andere (auch) glänzen, sie baut auch statt reiner Dialogkomik auch visuelle Gags ein – drei Polizisten, die im synchronen Wiegeschritt auf die Kamera zugehen…

 

Wieder die 1890er, allerdings das Ende: Silvesternacht 1899, alles wartet aufs neue Jahrhundert. Peaches O’Day ist notorisch kriminell, aber Polizist McCarey hat Verständnis; er weiß, dass sie nicht böse ist, hat sie dementsprechend lieb – und zwar ohne die sexuelle Konnotation, die das Begehren sonstiger Männer in sonstige Mae West-Figuren ausmachen. Sie ist gerade mal wieder dabei, die Brooklyn Bridge zu verkaufen, an einen deutschen Einwanderer mit heftigem Akzent (Herman Bing), für 200 Dollar gegen Quittung. Frrrritz Krrrausemeyer heißt er, „nau I’m se prrroprrrietorrr of Brrrucklin Brrritsch!“ Eine urkomische Szene, die eben nicht auf Wests Schlagfertigkeit beruht, sondern auf dem Aufbau einer Szene, auf dem Heraufbeschwören einer Situation. Später ein weiterer Coup: Sie stellt einen ahnungslosen, betrunkenen Helfer vor eine Schaufensterscheibe, ritzt seinen Umriss ins Glas, so dass er bequem einsteigen kann. Wie sie ihn dirigiert, um ihr die schönsten Kleidungssachen zu bringen, wie sie einen Polizisten auf Streife foppt, wie der Helfer alles einigermaßen durcheinanderbringt, aber der Raubzug dann doch gelingt, ist sehr, sehr lustig. Und fast ohne Oneliner.

 

Peaches wird aus der Stadt verbannt, doch ein Theaterproduzent hat eine Idee: Sie erscheint wieder, in französischer Verkleidung als Fifi; denn gemeinsam mit dem Produzenten hat sie einen Geldgeber aufgetan, der heißt Van Reighle Van Pelter Van Doon und ist Chef der Anständigkeitsliga. Seit 20 Jahren hat keine Frau mehr seine Villa betreten, dann ist Peaches aufgetaucht und hat ihn um 180° gedreht. Und zwar eben nicht mehr durch offensive Verführung, sondern durch ihren Charme und ihre Aussehen, dem sie keine Attacke hinzufügen muss. 250.000 Dollar für die Revue: Ein voller Erfolg – sie singt von ihrer Verführungskraft und lädt ein, doch mal zu ihr hoch zukommen. Und dem Polizeichef Quade ist das ein Dorn im Auge – denn Peaches will ihn nicht in ihrer Garderobe empfangen. Das Theater muss schließen, ist aber nicht unzüchtig genug – der Ausweg, der immer geht, ist der Brandschutz (vgl. Armin Laschet vs. Hambacher Forst). Peaches/Fifi läuft zu Hochform auf, wenn sie Quade in seinem Büro aufsucht und ihn aggressiv anmacht – geradezu die Parodie einer Mae West-Figur, in französischem Akzent und mit höchstem Temperament, wenn sie zwischendurch ausflippt, Gegenstände wirft, den Vorhang runterreißt, dann wieder schmeichelt und streichelt – das ganze Repertoire zwischen Heiliger und Hure, aber nicht mehr als grundsätzliche Charaktereigenschaft, sondern als Mittel zum Zweck.

Peaches und die Künstler der Stadt rufen McCarey zu ihrem Kandidaten aus, und wer immer irgendwas kann – Jongleure und Einradfahrer und Akrobaten und eben der trompeteblasende Straßenkehrer Louis Armstrong – stellen sich hinter die Kampagne; und Quade macht sich dazu noch von sich aus lächerlich. Denn natürlich ist der saubere Polizeichef korrupt und hat einige Halunken in petto, die dem Rivalen in die Parade fahren.

 

Mae West macht sich unverhohlen lustig über die moralinsauren Fahnenträger der Anständigkeit; Van Doon ist ja auch so einer, auch wenn er auf ihrer Seite ist – aber was der mit seinem Butler für Slapstickspäße aufführt, das hätte es in früheren West-Filmen so nicht gegeben: Hier aber kann jeder Darsteller so richtig einen draufmachen auf komischem Gebiet; und dass sich Leute zum Trottel machen, ist ja das Salz in der Suppe einer gelungenen Komödie.

 

Harald Mühlbeyer

 

Bilder (c) Universal Studios

Berlinale Retrospektive 2022: Mae West: „Go West Young Man“

Go West Young Man

USA 1936. Regie: Henry Hathaway, mit Mae West, Warren William, Randolph Scott

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.


In „Klondike Annie“ hatte sich Mae West ein halben Jahr zuvor von ihrer etablierten Kunstfigur Mae West abgewendet; nun kehrt sie zurück, aber distanziert von der eigenen Marke, indem sie sie – und damit sich selbst – ironisiert: Keine Abkehr, sondern eine Weiterführung ins absolut Künstliche des Filmstardaseins auf der Leinwand.

 

Denn Mae West inszeniert sich hier in doppelter Weise: Sie ist immer dieselbe Kunstfigur, die uns präsentiert wird, verführerisch-lasziv-frivol-vulgär, und dabei stets ironisch, weil alles, was sie sagt und tut, Auftritt ist, Performance nicht nur fürs Publikum, sondern für die anderen Filmfiguren, letztlich für sich selbst. Das Spiel ist Selbstzweck, und es ist niemals ernst.

In „Go West Young Man“ spielt Mae West Mavis Arden – einen Kinostar. Der Film beginnt mit riesigen Werbetafeln, die die tolle Ms. Arden bejubeln, mit Männern, die starren, mit einem enormen Publikum, das sie sehen will – auf der Leinwand. Und der Film im Film gibt ihr willkommene Gelegenheit, Melodram zu spielen. Auf der Leinwand, die wir sehen, da gibt sie eine ganz andere Performance, nämlich ohne die verschleppte, laszive Sprache, verführerisch ja, aber gefangen im Spannungsfeld zweier Rivalen, am Ende verlassen, und in einer Schlussansprache des Films im Film gibt sie den Geliebten auf: Erinnere dich an das Aprilmädchen, das weggedriftet ist wie eine weiße Sommerwolke am blauen Himmel…

Diese dick aufgesetzte, aber gegen ihr ikonisches Image gesetzte Melodram-Parodie wird noch weiter getrieben, denn Mavis Aden tritt nach der Filmvorführung auf die Bühne, sie ist auf Promotiontour und raunt ins Mikrofon, sie sei ganz anders als alle sich vorstellen, und ganz anders, als die Figuren, die sie darstellt, eigentlich nämlich ein kleines Mädchen vom Lande, die nur niemals sie selbst spielen dürfe in ihren Filmen, nun aber müsse sie weiterziehen, zurück in ihr bescheidenes Appartement in Hollywood… „Oh, wenn ihr doch nur mal hochkommen könntet und es euch ansehen!“ Mae West ist eine Marke, und sie sagt ihren Slogan – aber anders als in den vorherigen Filmen, nämlich nicht anzüglich, sondern als Zitat in ganz anderem Kontext. Sehr geschickt!

Mae West als Ms. Aden trägt wieder ganz dick auf, und es macht ihr sichtlich Spaß, die verwöhnte Hollywooddiva zu spielen, so richtig mit Schmackes – denn natürlich ist sie ein verwöhnter Star mit zig-Zimmer-Villa, und rein materialistisch eingestellt.

 

Mae West spielt in diesem Film erstmals eine Figur, die die Mae West-Kunstfigur überführt in einen metaironischen Kommentar, und das funktioniert nicht nur wunderbar – Henry Hathaway ist eben auch ein guter Regisseur, der zu erzählen weiß –, sondern es ist auch höchst erfrischend. Erfrischend, weil bewiesen ist, dass Mae West sehr genau weiß, was sie tut, und wann sie es tun muss, und wann es genug ist. Irgendwann muss man weiterziehen, muss man fortschreiten vom Erreichten, das tut sie hier: Aus den farcehaften Komödien um sie herum wird eine Komödie mit und über sie. Denn diese Diva, von Ruhm und Geld umgeben, strandet in einer kleinen Landpension, wegen einer dummen Autopanne. Da kann sie sich nicht mehr rausreden mit den einstudierten Posen und den einstudierten Sentenzen, die sie sich aus vielen, vielen Filmrollen zusammengekratzt hat, da trifft sie auf echte Menschen – auf echte Menschen, die ihre Fans sind und die sie nicht enttäuschen darf.

 

Aber Mae West bleibt natürlich trotzdem Mae West (auch mit Mae West-Sprüchen: „A thrill a day keeps the chill away“). Durchs Fenster sieht sie den feschen Automechaniker, der den Wagen mit seinen Armen anhebt. Welche Muskeln, welcher Mann – den hat sie auf dem Kieker, und den verführt sie – gespielt wird er von Randolph Scott. Sie gibt sich größte Mühe. Er hat Maschinen im Kopf, und eine Erfindung in der Werkstatt, die, so meint er, die Filmtechnik von Hollywood revolutionieren könnte. Da hat sie einen Anknüpfungspunkt und nähert sich ihm gefährlich an… Ihr PR-Berater hat alle Hände voll zu tun, denn vor allem ist er Anstandswauwau. Laut Vertrag darf sie fünf Jahre lang nicht heiraten.

 

Der Film beruht auf einem Theaterstück, West hat es adaptiert und auf sie zugeschnitten – aber, und auch das ist neu: Sie lässt zu, dass andere glänzen, dass andere auch mal, wenn auch nur für Szenen, im Mittelpunkt stehen. Größter Fan ist die naive Angestellte der Pension, ein süßes Mädel, das im Gedanken an sie ständig das Geschirr fallen lässt. Einmal läuft sie Richtung Küche, und sie verlangsamt den Schritt, kippt die Hüfte zur Seite, hebt den Arm glamourös an und schreitet mit heftigem Wiegeschritt durch den Raum – auch sie kann Mae West! (Und sie kann Marlene Dietrich: Sie zieht die Wangen ein, schmälert den Mund, raunt mit tiefer Stimme "Falling in love again…" – sie will zum Film, sie zeigt, dass sie's draufhat! Die Verkörperung der vier Marx-Brüder muss sie allerdings erst noch üben.)

 

Harald Mühlbeyer


Bilder (c) Universal Studios

Berlinale Retrospektive 2022: Mae West: „Klondike Annie“

Klondike Annie

USA 1936. Regie: Raoul Walsh. Mit Mae West, Victor McLaglen, Phillip Reed, Helen Jerome Eddy

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.


Komödienweis’ hat sich Mae West festgefahren; „Klondike Annie“ geht den Weg der Abkehr.

 

Der Witz des Films ist, dass Mae West in ihrer erprobten Rolle als begehrte Nachtclubsängerin in die Rolle einer frommen Betschwester schlüpft. Der Clou an dem Film ist, dass er dies nicht als Witz erzählt. „Klondike Annie“ ist ein Drama, nach eigener Vorlage selbst verfasst, mit ein bisschen Hilfe ihrer Freunde – und unter der kompetenten Regie von Raoul Walsh. Wir sind wieder einmal in den 1890ern, dem Lieblingsjahrzehnt von Mae West – Rainer Rother beschreibt diese Faszination ausführlich in seinem Mae West-Essay im Begleitband.

 

Rose ist bekannt als „San Francisco Doll“, sie ist der Star der Edelkaschemme in Chinatown, und sie gehört dem Besitzer, einem bösen Chinesen, den yellowfaced Harold Huber spielt. Böse guckt er, wie alle Filmchinesen böse gucken, und wir hören alsbald – und spüren körperlich – wie er eine Vertraute von Rose foltern lässt. Denn Rose will fliehen, der Goldrausch in Alaska lockt sie, vor allem aber treibt sie der besessene Chinese weg aus Frisco.

Es gelingt trotz aller Gefahren, auf ein Schiff in Richtung Nome zu steigen; dort verknallt sich der Käpt'n in sie. In allen ihren Filmen geht es um Männer, die von der Mae West-Figur besessen sind, die sie sehen und nicht mehr ohne sie leben können. In den anderen Filmen genießt sie die Aufmerksamkeit, spielt mit den Männern wie eine Katze mit der erlegten Maus. In „Klondike Annie“ leidet sie unter dem Begehren, sie wurde genug begehrt in ihrem Leben. Den Käpt'n hält sie von sich fern. Bis es nicht mehr geht: Denn in Seattle erreicht der Steckbrief das Schiff, sie wird gesucht wegen Mordes in San Francisco, und der Film lässt bewusst offen, ob diese Anschuldigung wahr ist – geflohen ist sie im Schutz einer Schwarzblende, ganz zu Beginn des Films haben wir einen kunstvollen Dolch gesehen; keine große Fantasie ist nötig, diesen Dolch im Rücken ihres Peinigers zu sehen. Um nicht aufzufliegen, lässt sie sich auf den Käpt'n ein. Sie werden ein Paar. Was Rose betrifft, nur für die Dauer der Schiffsreise.

In Vancouver kommt eine neue Passagierin an Bord, die gottesfürchtige Annie, die in Nome die vielen verlorenen Seelen heilen will und dem Glauben zuführen will. Sie ist gut zu Rose, obwohl sie deren Schlechtigkeit zumindest ahnt; sie schenkt ihr ein Buch, „Settlement Maxims“ – und, wir sehen es über die Einträge im Logbuch, sie wird krank, ein Herzanfall. Sie stirbt. Und die Polizei durchsucht das Schiff. Und Rose verwandelt sich in Annie – ihre Chance, durchzukommen.

In Alaska wird sie zur Leiterin der Missionsstation, die einsam steht im Kampf gegen den Tanz-Saloon mit seinen, sprechen wir aus, was der Film verbrämt: mit seinen Nutten. Und Annie weiß, dass sie eine Schuld zu begleichen hat, und sie hat das Buch gelesen, und sie sieht die Religion, die sie immer getriezt hat mit ihrer Moral, in anderem Licht. Jeder kann gut sein und dennoch Spaß haben am Leben.

 

Die Vergangenheit wiegt schwer; die Schuld ist groß; die Leichtlebigkeit ist kein leichtes Unterfangen. Mae West strebt in diesem Film nach Ernsthaftigkeit, und es gelingt ihr, das Drama stringent durchzuhalten – mit den im Hollywoodfilm ohnehin üblichen Comic Relief-Szenen, die in einem Mae West-Film natürlich besonders spritzig sind und pointiert. Wahrscheinlich spiegelt sich in dem Film der jahrzehntelange Kampf von West gegen die moralinsauren Anständigkeitsvereinigungen, die ihre Revuen und Stücke am Broadway zu verhindern suchten, die den Hays-Code durchgesetzt haben – und die sie hier nicht in die Pfanne haut, sondern zu verstehen sucht.

Am Ende steht sie zwischen zwei Männern, dem Kapitän und dem Polizisten, beide sind heftig verliebt, beide wissen von ihr. Und sie weiß: Keiner der beiden ist die richtige Wahl, aber sie muss eine Wahl zwischen beiden treffen.

Auch das ein enormer Unterschied zum üblichen Mae West-Film: Sonst nämlich ist die Wahl zwischen Männern für sie immer die richtige.

 

Harald Mühlbeyer


Bilder (c) Universal Studios

Berlinale Retrospektive 2022: Mae West: „Goin' to Town“

Goin' to Town

USA 1935. Regie: Alexander Hall. D: Mae West, Paul Cavanagh, Gilbert Emery.

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.


Mae West wird in ihrer Rolle der Cleo Borden unvermutet Ranchbesitzerin mit Millionen auf dem Konto. Denn der Rancher hat sie geliebt, oder besser begehrt, so wie alle im Nachtclub, und West und der Rancher haben gewürfelt: Wenn sie gewinnt, kriegt sie ein Landstück, wenn er gewinnt, heiraten sie und sie bekommt seinen gesamten Besitz. Sie würfelt 2. Er würfelt 9. Sie hat gewonnen, so oder so, sie werden heiraten.

Wenn es also um Sex geht – um den Vollzug –, dann nur in der Ehe; anderes lässt der Code nicht zu. Später wird Cleo einen Mann heiraten unter der klaren Voraussetzung, dass kein Vollzug stattfindet, obwohl er gut genug aussieht. Der Sexappeal ist also in Hays-Code-Zeiten tatsächlich nur Verheißung und Hoffnung, aber das kann West sowieso am besten verkörpern.

 

Ihr Verlobter wird erschossen am Tag der Hochzeit. Cleo war klug genug, einen Ehevertrag zu schließen, jetzt aber scheint doch alles verloren. Aber, juristische Spitzfindigkeit, die sie nicht einmal geahnt hat: Allein ihr Eheversprechen schon sorgt für die Übernahme des Besitzes. Inklusive Vieh, inklusive Ölquellen. Und inklusive dem britischen Ingenieur Carrington, der dort arbeitet? Er vermeidet sie, wendet sich ab, ignoriert sie – sie schießt ihm den Hut vom Kopf, wirft ein Lasso um ihn, es sind ihre Methoden der Werbung und des Hofmachens, die werden auch bei ihm funktionieren. Fortan wird sie daran arbeiten, seine Bremsen zu lösen – inhibitions kennt die Mae West-Persona per definitionem nicht. Und fordert dies auch von den Objekten ihrer begehrenden Sehnsucht ein.

Er entschwindet ihr, sie hat ein Ziel und reist ihm nach, bis Buenos Aires. Dort gibt es Pferderennen, sie hat das Geld, das Glück und die Geschmeidigkeit, eine Menge Wetten zu gewinnen; macht sich dafür eine Dame zur Feindin, lässt sich auf einen halbseidenen Russen ein, hat einen treuen Indianer von ihrer Ranch, der mit ihrem Pferd Cactus umgehen kann, so dass es gewinnt: Pistolenschüsse kann das Tier gar nicht ab, da saust es los wie nix.

Carrington ist beeindruckt, aber nicht bereit. Der Neureichen fehlen ein Name und Kultur. Ein glückloser Spieler muss her als Strohmann-Ehemann, nun hat sie einen Namen, nun kann sie prunken, nun kann sie ihre Klasse zeigen.

 

Geld ist nicht alles. Verführungskunst auch nicht – wenn sie dabei nämlich nicht auf die Bedürfnisse des Mannes eingeht, den sie als Objekt ihrer Begierde auserkoren hat. So führt der Weg zum Mann über die Dame-Werdung. Sie gibt einen großen Ball, das Geld sprudelt ja, inklusive einer Oper, „Samson und Delilah“, sie singt den Delilah-Part, das kann sie natürlich auch noch! Die böse Antagonistin und der Russe spielen ein übles Spiel, der doofe Ehemann ist glückloser Glückspieler, aber das Ziel ist erreicht, Carrington fasst sie als Frau ins Auge. Er ist ein englischer Earl, das wird nun erst bekannt.

 

Belanglose Handlung plus Mae West – das ist der Deal, den sie mit dem Publikum eingeht, und Paramount ist offenbar zufrieden mit der Erfüllung dieses Vertrags, West darf Jahr um Jahr ihre Filme drehen. Die sind wahrscheinlich nicht teuer, bringen aber die ganze Welt auf die Leinwand, und die Blicke aus halbgeschlossenen Augen, das Flirten, das Abscannen der Männerwelt, das funktioniert auch unter dem prüden Code. Solange West monogam bleibt, und solange sie am Ende im Hafen der Ehe anlangt. Auch wenn sie – damit hat sie vieles vielen sonstigen Leinwand-Frauen voraus – den Mann und den Weg zum Mann selbst bestimmt.

 

Die coolen Sprüche nimmt ihr niemand, auch wenn einige Anzüglichkeiten nicht mehr möglich sind: „Ich bin Aristokrat und das Rückgrat meiner Familie!“ – „Die bräuchte einen Chiropraktiker.“

Am obligatorischen Liebes-Happy End singt West ein letztes Lied, eines von ihrem Aufstieg: „Now I'm a lady – come up and see me some time“ – Mae West ist eine Marke, und sie sagt ihren bekannten Slogan.

 

Harald Mühlbeyer

 

Bilder (c) Universal Studios

Berlinale Retrospektive 2022: Mae West: „Belle of the Nineties“

Belle of the Nineties

USA 1934. Regie: Leo McCarey. Mit Mae West, Roger Pryor, Johnny Mack Brown, Duke Ellington

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.


Die Handlung natürlich wieder belanglos in diesem Mae West-Film: Sie steht im Mittelpunkt, sie wird von den Männern angehimmelt, sie ist der Star des Nachtclubs. Ihre Nummer: Sie steht da im figurbetonten Glitzerkleid, als Schmetterling, als Spinne, als Freiheitsstatue, während ein anderer singt. Sie tut nichts, wird nur angesehen, damit hat sie es zu Ruhm gebracht. Das ist anders als in den Filmen zuvor, denn noch etwas ist anders: Im Vorspann die Tafel der Motion Pictures Producers and Distributors Association of America, dass der Film „approved“ ist – er unterliegt dem Hays-Code mit all seinen prüden Einschränkungen. Mae West hat eine Vergangenheit – aber sie jagt keine Männer mehr. Ihre Sprüche („Better to be looked at than be overlooked“) sind sophisticated – sie ist ja sowas wie der Oscar Wilde des Geschlechterkampfes. Aber sie nutzt sie nicht mehr zum Angriff, zum offensiven Flirt und zur Anmach-Attacke, nicht mehr als Jägerin und Sammlerin der Männer, sondern zur Abwehr; zu der gehört ja auch der Angriff, ist aber nicht auf Eroberung aus.

 

Mae West als Ruby Carter gerät an einen Halunken im Halbwelt-Dreieck zwischen Glückspiel, Nachtlokal und Boxkampf, der sie als Sängerin anstellt und ihr nachstellt, aus erotischen Gründen. Seine Verlobte will er fallenlassen. Ruby fällt natürlich nicht auf ihn rein, hat aber doch alle Hände – und ihre Hüften und ihr Mundwerk – voll zu tun, sich aus seinen Fängern rauszuhalten. Zumal, als sich Ace Lamont, der Schurke, mit ihrem Ex, dem Boxer Tiger Kid, zusammentut und ihn anstiftet, ihre Diamanten zu klauen; mit denen will sich Ace Lamont refinanzieren.

Beim Boxkampf um die Meisterschaft, mit Tiger Kid als Herausforderer, kann Ruby ihre Trümpfe ausspielen, sprich: ein Pülverchens in Tigers Flasche schütten, um den Kampf vorzeitig (in der 28. Runde) zu beenden. Hin und her und Happy End – doch neben der gedämpften Mae West-Version, die zwar nach wie vor die Männer von unten bis oben taxiert und meist für gut befindet, aber dennoch der monogamen Liebe nicht abgeneigt scheint, wenn nur Tiger Kid sich nett benehmen könnte – neben Mae West als Mittelpunkt geht dieser Film sichtlich an die Grenze der Abbildung schwarzer Kultur im weißen Hollywoodkino der 30er.

 

Mae West singt, weil der Hays-Code das vielleicht nicht erfasst, schwarzen Blues; begleitet wird sie vom Duke Ellington-Orchester, also tatsächlich echter Jazz; und das, wo wir am Anfang die schlimmsten Befürchtungen hatten, als sie im Schmetterlingsoutfit auf der Bühne steht und ein anderer den typischen Filmsong croont, der mit seinem Schmalz nun mal so ganz und gar albern wirkt.

Nein: Wests Interesse an diesem Film (der erneut „by Mae West“ ist, laut Vorspann – ihr als Urheber- und Autorenschaft zuschreibt) scheint in der Präsentation der afroamerikanischen Kultur zu liegen, ganz explizit diesmal; eine Szene besteht aus einem ekstatischen Gottesdienst der schwarzen Gemeinde, mit Gebet, Gesang, Tanz; Mae West schaut vom Balkon aus zu und beginnt mitzusingen, sie übernimmt den Song als Anerkennung und Würdigung; räumlich getrennt, fügt der Film West und Black Community per Überblendung zusammen, weiter kann man kaum gehen im rassistischen Amerika jener Zeit.

Diese Huldigung der schwarzen Musik wiegt auch die rassistischen Darstellungen der Zofen von Mae Wests Figuren in diesen Filmen auf, die faul und ungebildet, gar dumm sind – wenn sie auch beste Freundinnen sind von Lou (in „She Done Him Wrong“), Tira („I’m No Angel“) und Ruby hier. Das ist wohl der Preis, den man zahlen muss im Hollywoodsystem, und man kann nur auf andere, kulturrepräsentative Weise Abbitte leisten, mit Jazz und Blues und Gospel, die ganz ernsthaft dem Publikum nahegebracht werden.

 

Harald Mühlbeyer


Fotos (c) Universal Studios

Berlinale Retrospektive 2022: Mae West: „I’m No Angel“

I’m No Angel

USA 1933. Regie: Wesley Ruggles, mit Mae West, Cary Grant, Gregory Ratoff.

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.


„I’m No Angel“ kam ein halbes Jahr nach „She Done Him Wrong“ in die Kinos, im Herbst 1933; neben Mae West spielt wieder Cary Grant mit als love interest – also als derjenige, der sie am Ende kriegt; oder sie ihn; oder sie sich, auf jeden Fall Partner im Happy End. Der Film ist ikonisch, die Retrospektive entleiht ihm ihren Titel; aber er ist nicht so schnell und nicht so pfiffig wie der Vorgänger. Das Problem ist vielleicht, dass tatsächlich so etwas wie Handlung ausprobiert wird, und Mae West plus eine Handlung ist wohl zuviel.


Sie spielt Tira, nach der sich die Männer sehnen (was sonst). Zu Beginn stolziert sie über einen Laufsteg, inmitten einer Männermasse, inmitten von gaffenden Männeraugen, und sie blickt auf sie hinunter und sieht, dass sie haushoch überlegen ist. Sie ist Attraktion beim Tingeltangel, auf dem Rummel, da singt sie und blitzt nach den Diamanten der Männer, die als nächstes ihr Opfer werden. Nur dass das Abluchsen des Klunker schief geht, weil ihr Liebhaber eifersüchtig ist und einen erschlägt, halbtot zumindest. Sie muss abhauen, braucht Geld, der Boss rückt es nur raus, wenn Tira in einer Löwendressur mitmacht.

Und das ist eine tolle Szene, denn neben den Aufnahmen, in denen die Löwen per Rückprojektion von Mae West getrennt sind, aber im Bild geschickt kombiniert, scheint sie tatsächlich einem Löwen nahezusein und ihn zur streicheln und zu kraulen – Mae West ist furchtlos, und sie hat sich hier eine tolle Szene geschrieben: Symbol dafür, wie sie mit Verve – Peitsche und Pistole – die Männer zähmt, die sich für die Könige der Tiere halten (sie wird im Vorspann ausdrücklich für Story, Drehbuch und Dialoge gecreditet).

Schnitt. Sie ist jetzt supererfolgreich, hat das Zelt mit einem Penthouse vertauscht; und die Männer laufen ihr nach, speziell einer, der freilich dummerweise anderweitig verlobt ist. Aber er hat braune Augen und ist wohlhabend – der Mann für sie, das hat ein Wahrsager per Horoskop prophezeit. Dessen Cousin aber schreitet ein, auch er ist braunäugig-reich. Und er ist Cary Grant. Da gibt es keinen Zweifel. Schnitt. Die beiden sind so gut wie verlobt. Und in etwas kruder Hopplahopp-Dramaturgie wird eine Intrige eingebaut, Cary Grant wird eifersüchtig, sie verklagt ihn wegen gesprochenen Heiratsverbrechens. Gerichtsverhandlung, Happy End.

 

Es gibt Handlung und mehr Stringenz als im Film zuvor, das stört geradezu die Kreise, die Mae West zieht. Wieder in ausladenden Gewändern, eines mit Spinnennetz-Accessoires; wieder mit Diamanten, wieder mit vielen Männern, die sie sammelt – buchstäblich: Fotos an einer Pinwand und Symbol-Tiere auf einem Tischchen, von stolzem Hirsch bis zu kriechendem Stinktier. Und natürlich ihre Sprüche; viele wurden Klassiker: „When I’m good, I’m very good. When I’m bad, I’m better.“ Oder „It’s not the man in your life, but the life in your men that counts.“ Und kleine Aperçus: Zu einem, der fünfmal verheiratet war: „Hochzeitsglocken müssen sich für dich wie ein Wecker anhören.“ Der Wahrsager: „Ich sehen einen Mann in Ihrem Leben.“ – „Was, nur einer?“

Sie ist offensiv, sie flirtet heftig, mit dem Richter und den Geschworenen zumal. Sie übernimmt höchstpersönlich das Kreuzverhör, und es stellt sich heraus, dass das Unanständige an ihr vor allem in den Hoffnungen der Männer lag, nämlich nicht an dem, was geschehen ist, sondern an dem, was hätte geschehen sollen. Und was kann sie dafür, wenn sie Geschenke bekommt? Cary Grant macht einen Rückzieher, ihre Zeugenaussage war ihm Liebeserklärung genug; nach Ende der Verhandlung nimmt sie ihr Leben wieder auf, hat ein Rendezvous mit dem Richter und gleich noch den Geschworenen Nr. 4 am Telefon, bevor Cary Grant mit dem Happy End zur Türe reinkommt.

 

Harald Mühlbeyer


Fotos (c) Universal Studios

 

Berlinale Retrospektive 2022: Mae West: „She Done Him Wrong“

She Done Him Wrong

USA 1933. Regie: Lowell Sherman, mit Mae West, Cary Grant, Owen Moore

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.


In „the gay nineties“ spielt dieser Film, in den 1890ern, als alles noch gut war – im Gegensatz zur Depressionszeit ab 1929. Mae West schlüpft hinein in wohlige Vergangenheit, da kann sie so richtig auf die Pauke hauen.

 

Fast zehn Minuten dauert es, bis sie auftritt; die zehn Minuten sind gefüllt damit, dass Männer von ihrer Lou schwärmen, weil sie so schön ist, so schön! In der Kutsche fährt sie dann vor, steigt aus, tätschelt einen Buben, dessen Tante/Oma/Gouvernante kennt Lou, „one of the finest girls“; Mae West kontert kokett: „One of the finest girls ever walked the streets.“ Damit ist von vornherein klar, worum es in diesem Film geht: Um Mae West und ihre Oneliner, sonst nix. „She Done Him Wrong“ ist die Filmfassung ihres Bühnenstücks, mit dem sie am Broadway großen Erfolg hatte – Paramount hat West deswegen unter Vertrag genommen, den Film gedreht, das Stück entschärft wegen der Zensur, die drohte, und ihn mit knapp über einer Stunde Laufzeit ins Kino geschickt – und Erfolg gehabt.

 

Eine wirkliche Handlung gibt es nicht. Mae West genügt. Sie bezirzt die Männer und lässt sich von ihnen mit Diamanten beschenken: „Diamond Lil“ hieß die Vorlage, hier wird Lou draus, der Name ist Schall und Rauch, der Inhalt macht’s. Mae West in überbordender Kleidung mit überbordenden Diamanten und überbordendem Sex-Appeal, so viel, dass es schon kein Sex-Appeal mehr ist. Sondern – ja was: dessen Parodie? Oder dessen Transzendierung ins Göttliche? West setzt ihren ganzen Körper ein, aber nicht als Waffe, sondern entwaffnend; keiner kann ihr widerstehen, aber es ist alles Spiel, Ironie durch Übertreibung. Wie sie hin und her wogt, wie ihre Diamanten und ihre Kleider glitzern! Das ist ihre Kunstfigur, auf der sie ihre Karriere aufbaut – und sie zeigt Rollen, die ebenfalls ihre Karriere auf Glitzer aufbauen, und auf den offensiven Flirt, auf die Reputation.

Lou sammelt primär Männer und sekundär – aber in der Hauptsache – Diamanten, sie ist ein material girl, aber ein kluges und vor allem schlagfertiges. Sie haut die Sprüche raus wie nix; das macht wohl auch den Erfolg des Films aus, denn filmhandwerklich ist hier einiges vergurkt, von statischen und geradeaus langweiligen Kameraeinstellungen bis zu kruder, unrhythmischer Montage.

Witzig ist West, sie stellt sich stets in den Mittelpunkt; damit verfolgt der Film – und die weiteren West-Filme – eine ähnliche Strategie wie die Marx-Brothers-Komödien: die komischen Figuren werden in eine standardisierte, nichtssagende, unwichtige Handlung hineingespritzt wie Senf in einen Berliner; in ihren Szenen toben sie sich aus, der Rest ist unwesentliches Beiwerk.

 

Sie tritt auf, ein Handlungsbeiwerk-Darsteller smalltalkt: „Ich habe viel von Ihnen gehört“ – sie knallt ihn ab: „Aber Sie können’s nicht beweisen.“ Oder natürlich, ganz berühmt: „Ich mochte immer Männer in Uniform. Why don’t you come up some time and see me?“ Das sagt sie zu Cary Grant, der im Nachtclub herumlungert, um die armen Seelen vor dem Verderben zu bewahren; er ist Leiter einer Heilsarmee-Mission in der Nachbarschaft; und lehnt das Angebot natürlich ab. „Komm mal hoch, ich les dir die Zukunft“, lockt sie weiter, sie erzählt’s auch keinem weiter. Er lehnt immer noch ab, ist abends immer beschäftigt – „Are you trying zu insult me?“ Im Übrigen: „When women go wrong, men go right after them“, ein weiterer der unzähligen Bonmots, die den Film ausmachen, bis zum Ende, wenn sie von einem Mann mit einem Ring gezähmt wird (werden soll): „You bad girl!“ – „You’ll find out…“

 

Ihre aktuellen und früheren und auf später hoffenden Liebhaber sind auf verschiedene Weise in böse Geschäfte verwickelt, was sich im Lauf des Films miteinander verquirlt: Einer bricht aus dem Gefängnis aus, ein anderer ist in Mädchenhandel verstrickt, ein weiterer ist mit Erpressungen und Nötigungen unterwegs; mittendrin Lou, die es gewohnt ist, die Oberhand zu behalten, und die auch alle nach ihrem Hüftschwung tanzen lässt. Sie hat’s halt drauf, genau darum geht es in dem Film.

 

Was Mae West wirklich drauf hat, ist der Rhythmus – nicht nur wenn sie geht und steht saust er in Wellen durch ihren Körper, nicht nur wenn sie spricht klingt er in ihrer spezifischen Sprachmelodie, vor allem, wenn sie auf der Bühne singt: Selten, vielleicht nie wird man im Goldenen Hollywoodkino so schwarzen Gesang von einer weißen Sängerin hören. Wie sie Synkopen lang dehnt, wie sie die Melodie ins Zwischenreich der Töne gleiten lässt – sie hat viel gelernt vom originalen Jazz und Blues der Schwarzen, und sie kann ihn performen: „I Wonder Where My Easy Rider’s Gone“ – nur sie kann das so bringen, nicht als Aneignung, sondern aus Zuneigung.

 

Harald Mühlbeyer


Fotos (c) Universal Studios

Berlinale Retrospektive 2022: Mae West: „Night After Night“

Night After Night

USA 2932. Regie: Archie Mayo, mit George Raft, Constance Cummings, Wynne Gibson, Mae West.

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.


Ein knackiger Liebesfilm in Prohibitionszeit mit viel Komik ist „Night After Night“, der Film, in dem erstmals Mae West auf der Leinwand erscheint. Und was für eine Erscheinung: Sie stürmt herein in die Stadtvilla von Joe Anton, der hier sein Speakeasy unterhält, und der Raum gehört ihr. Das Garderoben-Girl bewundert ihren Schmuck: „Goodness, what beautiful diamonds!“, und West zurück: „Goodness had nothing to do with it“; es ist klar, dass sie ihre eigenen Dialoge schrieb, dieser Oneliner gab auch den Titel ab für ihre 1959 erschienene Autobiographie.

 

Sie hat einen kleine Rolle, die für die Handlung selbst ganz unbedeutend ist: Es geht um Joe Anton und seinen illegalen Nachtclub in Prohibitionszeiten, der sich einerseits gegen Gangster, andererseits gegen eine besitzergreifende Geliebte wehren muss, der aber vor allem sich verguckt hat in die schöne, einsame Miss Healy, die Abend für Abend allein an ihrem Tisch in seinem Lokal sitzt. Der komische Teil: Der dreht sich um seine Bemühungen, ein Gentleman zu werden, indem er Unterricht nimmt bei einer Matrone namens Miss Jellyman, die ihm die „ain’t“s und „don’t nothing“s austreiben und ihn zur gehobenen Konversation führen will. Der Kniff des Films ist nun, dass Anton für sein erstes Rendezvous mit Miss  Healy diese Benimmlehrerin mit einlädt, um mit wohlgeprobten Dialogen in gesetzten Worten den Mann von Welt darstellen und die Angebetete beeindrucken zu können. Und hier hinein platzt Mae West als Maudie Triplett, das pralle Leben selbst, die alsbald allen die Show stiehlt und alle becirct, weil sie sagt, was Sache ist; und weil West in diesem ihrem ersten Auftritt sehr genau weiß, wie sie kunstvoll und gezielt und ganz charmant vulgär sein kann, ohne wirkliche Vulgarität auszustrahlen. Vielmehr ein lebendiges Wesen, das ganz bei sich ist. „Could you help me get rid of my inhibitions?“, fragt Miss Jellyman, die zunehmend betrunken wird und zunehmend dieses Speakeasy-Leben genießt.

 

Anderntags gibt es für diese beiden ein Happy End: Maudie bittet Miss Jellyman, in ihr Business einzusteigen, und die ist geschmeichelt, aber zugleich (erneut) gehemmt: Ja sicher, das ist sicher ein wichtiger Beruf, der viele gute Ehefrauen vor Unbill geschützt hat, und hat lange Tradition von Cleopatra bis Dubarry, aber ob sie denn dafür nicht zu alt wäre? Um dann zu erfahren, dass Maudie nicht – es wird nicht direkt ausgesprochen, aber entgegen der Vermutung führt sie einen Schönheitssalon, und da sagt Jellyman nicht nein.

 

Anton hat es mit Miss Healy nicht so einfach, sie ist möglicherweise vor allem verliebt in die Aufregungen der Halbwelt, will aber einen anderen wegen des Geldes heiraten, und (ebenfalls mit anderen Worten) wirft Anton ihr daraufhin Prostitution vor. Sie zerdeppert sein Schlafzimmer, er nimmt dies als Liebesbeweis und zwingt ihr Küsse auf, viele Küsse, er weiß, dass sie es eigentlich will. Das ist heute nicht mehr komisch; komisch ist der Dialog zwischen Jellyman und Maudie: „Glaubst du an Liebe an den ersten Blick?“ – „Ich weiß nicht, kann aber viel Zeit sparen.“

 

Harald Mühlbeyer

 

Fotos (c) Universal Studios