Nippon 2010: „Zero Focus“ – Ein Ehemann verschwindet
„Zero Focus“ / „Zero no shoten”
Japan 2009 , Regie: Isshin Inudo
Tag für Tag werden die Filme bei Nippon Connection immer westlicher in ihrer Konzeption. Angefangen hat es gestern mit „Oblivion Island“, gesehen an dem Tag, an dem passenderweise mein Notizbuch verloren gegangen ist, und Film für Film baute sich diese Tendenz im Programm auf bis hin zu Isshin Inudos „Zero Focus“, eben in Nippon Cinema als Wettbewerb-Film gezeigt.
„Zero Focus“ bezeichnet die Suche des Kameraobjektivs nach den frisch verheirateten Kenichi und Teiko, eine Suche, die wenige Tage später in der Handlung auf Teiko (gespielt von Ryoko Hirosue, bekannt in Deutschland aus „Nokan – Die Kunst des Ausklangs“) übertragen wird. Kenichi ist während einer Dienstreise spurlos verschwunden. Die durch sinnlich ansprechenden Meeresaufnahmen angekündigten Episoden der Ermittlungen führen nach Kamazawa und decken eine immer tiefer verstrickte Konstellation von obskuren Charakteren auf, die mit dem mutmaßlichen Sterben Kenichis in Verbindung zu sein scheinen. Ein Kriminalfilm voller Wendepunkte ist „Zero Focus“, die im Namen des Films beschriebene Unklarheit verbleibt für einen großen Teil des Films auch beim Zuschauer.
Die Ermittlungen Teikos sind gleichzeitig eine Reise, die sie ihren verschwundenen Ehemann kennenlernen lässt, denn ihre Ehe war arrangiert worden. So erfährt sie nach und nach von seiner Vergangenheit und von den zwei Frauen, mit denen sein Schicksal verbunden ist. „Zero Focus“ ist aber gleichzeitig ein Epochenbild.
Mit Archivaufnahmen anfangend dokumentiert der Film das Japan nach dem Zweiten Weltkrieg, im Mittelpunkt die Verhältnisse zwischen Männern und Frauen. Parallel zu Teikos Suche nach Klarheit bezüglich des Todes und Lebens ihres Mannes kandidiert in Kamazawa zum ersten Mal in der japanischen Geschichte eine Frau als Bürgermeister. Kräftig unterstützt wird sie von Sachiko (Miki Nakatani, „Memories of Matsuko“ LINK), eine der zwei Frauen, die mit Teikos Ehemann durch ihr Schicksal in den Jahren nach dem Krieg verbunden waren. Während er als Polizist Frauen verhaften sollte, die mit amerikanischen G.I.s gegen Entgelt sexuelle Verhältnisse pflegten, arbeiteten diese zwei Frauen genau in dieser Branche.
Durch sie kam Kenichi dazu, dievor allem für Frauen bittere Seite des Krieges näher kennenzulernen und sich als Japaner mit ihnen verbunden zu fühlen, und es entwickelte sich ein Verhältnis zwischen den dreien. Wie aber die Kandidatur einer Frau für den Bürgermeisterposten bebildert, änderten sich die Zeiten, die Verhältnisse und die allgemeine Einstellungen der Menschen. Diese Änderungen betrafen aber nicht Kenichi und die zwei Frauen, die durch ihre Verbindung zueinander ständig an ihre belastende Vergangenheit erinnert wurden. Die Ehe mit Teiko wird aus dieser Perspektive, als sein Versuch, ein neues Leben mit einer jungen Frau anzufangen, durchleuchtet. Und dieser Versuch kostete ihn das Leben. Ebenso geschieht es mit den zwei Frauen, die, gefangen in der Vergangenheit, nicht ein Teil der Gegenwart werden können, ein Teil der Welt, in der Frauen und Männer gleichberechtigt sind.
Ein melodramatischer Kriminalfilm ist „Zero Focus“, der handwerklich mit viel Geschick umgesetzt ist und immer wieder durch etwas unkonventionelle Kameraeinstellungen überrascht, und der nicht zuletzt durch die Besetzung ein breites Publikum überzeugt.
Ciprian David
„Zero Focus“ / „Zero no shoten”
Japan 2009
Regie: Isshin Inudo.
Darsteller: Ryoko Hirosue, Miki Nakatani, Tae Kimura, Hidetoshi Nishijima, Takeshi Kaga.
www.zero-focus.jp
130 Min.