Nippon 2010: “Oblivion Island: Haruka and the Magic Mirror” – Auf der anderen Seite

“Oblivion Island: Haruka and the Magic Mirror” / “Hottarake no shima - Haruka to maho no kagami”
Japan 2009, Regie: Sinsuke Sato


Jeder verlegt mal seine Sachen und jeder kennt die Wutausbrüche und den von solchen Situationen verursachten Stress. Doch wie oft passiert es, dass man etwas symbolisch Wertvolles verlegt, um daraufhin solche Zustände zu erleben? Genau darum geht es in „Oblivion Island“.

Eine Kindergeschichte erzählt von einem armen Bauer, der von seiner Großmutter einen Kamm als Erbe bekommen hat. Und diesen Kamm hat er irgendwann verlegt. So sehr litt er darunter, dass er täglich den Altar des Gottes Inaru besuchte und um seinen Kamm betete. Irgendwann brachte ein Fuchs dem Bauern seinen Kamm zurück. Doch, wie die Geschichte weitererzählt, sind es eigentlich diese Füchse, die alle Sachen, die die Menschen vergessen, einsammeln und ihrem Gott bringen. Dieses war eine der letzten Geschichten, die Haruka von ihrer sterbenden Mutter vorgelesen bekommen hat. Und genau wie dieser Bauer hatte Haruka von ihrer Mutter auch ein Geschenk bekommen, einen kleinen Spiegel.

Nicht nur ihre Mutter verliert Haruka, sondern, nach Jahren, auch diesen Spiegel. Doch eines Tages erinnert sie sich daran, und besucht, wie in der Geschichte, Inarus Schrein, um ihn, wenn nicht um die Mutter, dann mindestens um diesen für sie so wertvollen Spiegel zu bitten. Dort nickt sie ein kleines bisschen ein…

Von nun an landen wir in einer – zumindest auf die jüngste Vergangenheit zurückblickend – sehr erfrischenden und unterhaltsamen „Alice im Wunderland“-Geschichte. Denn die Kindergeschichte wird wahr, ein kleines fuchsähnliches Wesen wird von der eben aufgewachten Haruka ertappt, als es ihren Schlüsselbund einsammelt. Daraufhin verfolgt sie das Wesen, und nach einem kurzen Pfad steht sie vor dem Eingang zur anderen Welt.

Nun verlässt „Oblivion Island“ die Alice-Motivik und führt uns in eine asiatische mythische Welt ein. Es heißt, die Wesen in der anderen Welt könnten keine Gegenstände herstellen und müssen sie sich daher aus der Welt der Menschen nehmen, genau, wie Träume sich von der Realität nähren, genau wie Bilder, wie Film die Realität braucht, um zu existieren. Doch diese Welt wird von einem tyrannischen Baron regiert, der ständig in seinem mit Luftballons gefüllten Schiff über seinen Untertanen, den Kreaturen von Oblivion Island, schwebt. In dieser Welt muss Haruka ihren Spiegel suchen. Und das kommt sehr ungelegen, denn Spiegel sind auch mit einer symbolischen Bedeutung versehen: sie bewahren Erinnerungen, vor allem die von den Menschen vergessenen Erinnerungen auf, und sie besitzen die magische Kraft, Objekte beleben zu können. So entdecken Haruka und ihr neuer Freund Theo, das Wesen, das sie zu Oblivion Island geführt hat, den monumentalen Plan des Barons, mithilfe von 10.000 Spiegeln 1.000 Roboter zu animieren und mit ihnen als Armee die menschliche Welt all ihrer Sachen zu berauben.

Mit lockerem Humor und vor allem durch eine Aneinanderreihung von auf die Welt von Oblivion Island zurechtgeschnittenen Filmzitaten, in einer aus den diversesten und buntesten Gegenständen auf postmoderne Art zusammengebastelten Welt erreicht Regisseur Shinsuke Sato nicht nur alle Altersgruppen im Publikum, sondern auch den anspruchsvollen Zuschauer, der mehr von einem Film erwartet als Kriegsfilm- oder „Herr der Ringe“-Zitate, putzig mit Plüschtieren umgesetzt. Denn Oblivion Island ist gleichzeitig eine melodramatische Reflexion über Wertvorstellungen und Gefühle, aber auch, und nicht zuletzt, eine diskursive Parabel der Medienrealität und vor allem des Mediums Film.


Ciprian David


“Oblivion Island: Haruka and the Magic Mirror” / “Hottarake no shima - Haruka to maho no kagami”
Japan 2009
R: Sinsuke Sato.
D (Sprecher): Haruka Ayase, Miyuki Sawashiro, Naho Toda.
100 Min.