Sie sind unter uns; ganz unten – „District 9“, von Peter Jackson produziert
von Harald Mühlbeyer
„District 9“
Südafrika 2009. Regie: Neill Blomkamp. Buch: Neill Blomkamp und Terri Tatchell. Kamera: Trent Opaloch. Musik: Clinton Shorter. Produktion: Peter Jackson, Carolynne Cunningham.
Darsteller: Sharlto Copley (Wikus van der Merwe), Jason Cope (Christopher, Alien), David James (Koobus).
Verleih: Sony.
Länge: 112 Minuten.
Kinostart: 10.09.2009
Ein riesiges Raumschiff hängt über Johannesburg. Seit 20 Jahren schon. Damals sind sie hier gestrandet, über eine Million außerirdische Flüchtlinge – nein, keine Alien-Angriffsflotte, kein Erd-Erkundungstrupp. Sondern einfach Heimatlose, die durchs Weltall irrten.
Seither sind sie ein Problem. Was tun mit ihnen? Sie wurden in ein Ghetto gesteckt, ins District 9, ein Flüchtlingslager. Aber abgeschoben ist nicht aufgehoben, die Aliens wurden sich mehr und mehr selbst überlassen, und wo eine Menge eng gedrängt zusammengepfercht wohnt, entstehen soziale Probleme, die über den District hinausgreifen. Kriminalität, Gewalt: Die Aliens sollen raus! Sie sind verantwortlich für alle Probleme! Und sie kosten nur Geld!
Der Film ist von Beginn an als Allegorie angelegt. Kein Wunder, dass die Aliens vor 20 Jahren aufgetaucht sind, gerade, als das Apartheidsystem zuende ging. Nun gibt es keine Rassentrennung mehr, dafür eine Spezies-Trennung: die Aliens sind die Neger der Schwarzen. Sie sollen abgeschoben werden, hunderte Kilometer ins Hinterland, denn dann wird alles besser für die menschliche Gesellschaft – weg ins Konzentrationslager mit ihnen; gerade noch, dass sie dort nicht vergast werden sollen. Zum Glück muss man mit Außerirdischen nicht humanitär umgehen, zumal, wenn sie hilflose Flüchtlinge sind.
MNU, eine private Sicherheitsfirma, hat die Verwaltung von District 9 übernommen, weil sich die Politik von Südafrika, auch der ganzen Welt, nicht mehr mit dem Problem befassen wollte. Und weil sich MNU neue Erkenntnisse von der Alientechnologie, speziell von deren Waffen erhoffte. Was sich nie erfüllte: die Alien-Gewehre funktionieren nur von der Hand eines Aliens, auf deren DNS sind sie abgestimmt.
MNU organisiert also die Ausweisung der Aliens in de KZs: sie sind ja nicht nützlich. Chef der Umsiedlung ist Wikus van der Merwe: ein Bürokrat, bedacht auf strenge, kategorische Legalität, beseelt von seiner Beförderung (die er dem Schwiegervater verdankt), freundlich, gutmütig, naiv, tollpatschig, weltfremd. Ihm macht es Freude, Alien-Eier verbrennen zu lassen: wenn sie platzen, hört es sich an wie Popcornmachen; und illegal sind sie auch, weil die Vermehrung der Aliens genau reglementiert ist.
Regisseur Neill Blomkamp erzählt dies alles in einer Mischung der Stile: Pseudodokumentation inklusive Interviewpassagen geht unmerklich über in fiktionale Handkamera-Bilder, und eingebaut sind eine Menge echter Nachrichtenbilder, die die echten Slums zeigen, die es in Johannesburg auch ohne Aliens gibt. Das erzeugt ein stetes Gefühl unmittelbarer Direktheit, ein Gefühl von Realität: die Aliens sind mitten unter uns. Und ihnen wird keine Menschlichkeit entgegengebracht.
Peter Jackson hat den Film produziert, das ist das Schöne, wenn man berühmt ist: man kann den jungen Filmemachern helfen. Jacksons WETA-CGI-Fabrik ist auch der Look der ALiens zu verdanken, die schwer wirken, schwerfällig, hart und kantig und sehr echt. Eine Art Mischung aus H.R. Gigers „Alien“ und Dr. Zoidberg.
Wikus van der Merwe, der so normale, ganz gewöhnliche Alienhunter, nicht mit der Waffe, sondern mit dem Paragraphenbuch, wird einer Alien-Flüssigkeit ausgesetzt, mutiert, wird damit zum Gejagten, zum wertvollsten Menschen der Welt: weil sich seine DNS mit der der Aliens vermischt hat, ihm eine Klauenkralle gewachsen ist, mit der er Alienwaffen mit ihrer gewaltigen Zerstörungskraft bedienen kann. Er wird zu dem, was er hasst. Und der Film entwickelt nun die Dynamik des Actionkinos, mit gewaltigen Schießereien, einer Menge Zerstörung, zerplatzenden Feinden, einem Kampfroboter… und das muss so sein. Das macht das Große des Films aus: dass er Science Fiction ist, ein Genrefilm, aber nicht konventionell. Dass er heftige Action bietet und zugleich die Menschen die Aggressoren sein lässt, die Angreifer von Aliens, die friedlich sind, wenn auch degeneriert von jahrzehntelanger Demütigung und Entwürdigung. Dass er die Zerstörung Hand in Hand gehen lässt mit der Verstörung.