Agnès Varda in Berlin
von Bernd Zywietz
Ein wenig wie ein Franziskanermönch erschien die Filmemacherin zum Auftakt der ihr gewidmeten Retrospektive am 3. September im Berliner „Arsenal“. Braun war das Kleid und wie eine Tonsur wirkte die weiße „Kappe“ der roten Topffrisur – dabei zeigte sie Agnès Varda, Jahrgang 1928, als eine überaus lebenspralle und diesseitige Person, die vor sanfter Energie und künstlerischer Beharrlichkeit sprühte. Auf fast vierzig Spiel-, Dokumentar- und Essayfilme in über fünfzig Jahren kann sie neben ihrer Fotoarbeit (und aktuell: Raumkunst) zurückblicken – darunter CLÉO DE 5 À 7 (1962) oder LES CENT ET UNE NUITS DE SIMON CINÉMA (1995).
Da war es schon verständlich, dass Birgit Kohler in ihrer Begrüßungsrede aus der „Mutter der Nouvelle Vague“ deren „Großmutter“ machte, eine freilich – so Kohler –, die der „Rive gauche“-Gruppe um Chris Marker und Alain Resnais näherstand. Varda zeigte sich geschmeichelt von den Worten und stand nach der Vorführung ihres aktuellen Films, dem Selbstporträt DIE STRÄNDE VON AGNÈS (LES PLAGES D`AGNÈS, 2008) für ein Gespräch und Publikumsfragen zur Verfügung. Dabei machte sie deutlich, wie sie die Agnès im Film als Rolle spielt – die wohl nötige Distanzierung für einen auch immer ironischen und inszenierten Blick auf ihr eigenes Leben und Schaffen, zu dem die Strände verschiedene „Türen“ für jeden Zuschauer biete. So gab sich im Publikum eine Dame als ehemalige Nachbarin zu erkennen, die 1968 als 10-Jährige in Beverly Hills neben Varda und ihrem Mann, dem Regisseur Jaques Demy, gewohnt hatte. Dass Demy 1990 an AIDS starb, wird in DIE STRÄNDE DER AGNÈS offen ausgesprochen, eine immer noch heikle Krankheit, so Varda, die seit dem Start des Films mehrfach darauf angesprochen wurde. Demy selbst hatte zu seiner Erkrankung damals lieber geschwiegen, auch und gerade zu der Zeit, als seine Frau ihm zu Ehren die Erinnerungschronik JACQUOT DE NANTES (1991) drehte. Ein weiterer wunder Punkt, zu dem Varda nur zurückhalten Auskunft gab, war ihr nie aufgeführter und offiziell nicht existenter Film NAUSICAA, von dem in DIE STRÄNDE VON AGNÈS ein Ausschnitt mit dem jungen Gérard Depardieu als Beatnik zu sehen ist. 1970 vom Fernsehen bewilligt, sei der Film u.a. durch Zeugenaussagen von Folteropfern zu kritisch gegenüber dem griechischen Obristen-Regimes gewesen, so dass das französische Wirtschaftsministerium zum Wohle der Handelsbeziehungen aktiv wurde. Plötzlich sei sie nicht mehr an das Material herangekommen; durch einen Freund habe sie jedoch eine Arbeitskopie erhalten. Aber, so die große Dame des Kinos ironisch-melancholisch, sie habe schließlich auch schon bei einem Besuch in Rothenburg vor dreißig Jahren einen Schal verloren, an dem sie immer noch hänge – man liebe es eben nicht, Dinge zu verlieren. Vor allem auch keine Menschen.
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