Nippon 2010: “A Piece of our Life (Kakera)” – Liebe über Geschlechtergrenzen hinweg

“A Piece of Our Life – Kakera” / “Kakera”
Japan 2009, Regie: Momoko Ando


Ein großes Projekt ist das Regiedebüt von Momoko Ando. Mit Subtilität und Leichtigkeit geht die Regisseurin ein wenn mittlerweile auch nicht mehr sehr umstrittenes, dennoch sehr diskursives Thema an: Sexualität.

Der Film handelt von der Studentin Haru (Hikari Mitsushima, bekannt unter anderem aus „Love Exposure“), die eine unglückliche, kommunikationslose und schlicht auf Geschlechtsverkehr reduzierte Beziehung führt. Doch schnell lernt sie Ryoko (Eriko Nakamura) kennen, oder wird vielmehr von ihr kennengelernt, die sich auf die Stelle in sie verliebt. Damit ist die Sexualitätsdebatte eröffnet. Und Regisseurin Ando führt den Zuschauer durch ein Panoptikum von Perspektiven zum Thema.

Nach einem relativ schnell deutlich werdenden System unterbricht sich der Film durch metaphorische Bilder, die das Geschehen ergänzen, kommentieren oder sogar im Voraus erzählen, um die Handlung als Untertitelung zu benutzen. So werden zum Beispiel die ersten Minuten des Films durch Bilder von fahrenden Zügen oder von Fahrrädern unterbrochen, die die Trennung Harus von ihrem Freund ankündigen. Diese Motive wiederholen sich bedeutungsträchtig während des ersten Dates zwischen Haru und Ryoko, als sie mit seitlich gestreckten Händen über Eisenbahnschienen-ähnliche Schatten eines Geländers rennen. Doch die Schatten bleiben Schatten und verbreiten sich über die Beziehung der zwei Mädchen: Einerseits, weil Ryokos autoritäre Natur Haru einengt, andererseits, weil Haru sich mit Homosexualität nicht identifizieren mag.

Dabei sprengt der Film in Ryokos Erklärung ihrer sexuellen Orientierung von vorneherein die Geschlechterkategorien: „Ich stehe nicht auf Frauen, ich mag dich!“ Und darum geht es in allen Situationen, die die Charaktere im Verlauf der Handlung erleben: Harus Freund schafft es erst zu spät, sich zwischen Haru und einer anderen zu entscheiden, vor allem solange er die Sexualseite mit beiden genießen kann. Ryoko, beruflich und aus Überzeugung Prothesenherstellerin, kann gar nicht von ihrem Selbstbild als Ergänzung für andere Menschen ablassen, und das wird ihr zum Verhängnis in der Beziehung mit Haru. Während Haru versucht, sich von Ryoko zu distanzieren, nimmt diese Rache, indem sie eine Affäre mit einer Drag Queen anfängt, die sich, wie beide überrascht feststellen, als Kundin Busenprothesen von Ryoko herstellen lässt. Ryoko steckt dabei ihren Geist und ihr Können in die Prothese, ihr Herz gehört aber Haru, und das zu verstehen scheitert die Drag Queen. So laufen immer Menschen auseinander, weil sie in Kategorien denken oder Kategorien nicht verstehen, weil sie Doppelleben führen und in einem Denken in Doppelidentitäten blockiert sind. Dabei geht es nur um eines: geliebt zu werden.

Und dieses Geliebtwerden über Geschlecht hinaus als Essenz der Sexualität wird zur Botschaft des Films, der durch diese ganzen Perspektiven die kulturellen Prägungen der Sexualität als Vergangenheit erklärt. Wie Ryoko Harus Freund sagt, bevor sie ihn vertreibt: „Du magst ja Nüsse haben, aber das hilft dir nicht, willkommen in der globalen modernen Welt.“. Mit „A Piece of our Life – Kakera“ gelingt Momoko Ando ein obwohl in der Motivik etwas repetitiver sehr gekonnt und elegant inszenierter, manifester Film.


Ciprian David


A Piece of Our Life - Kakera / Kakera
R: Momoko Ando
D: Hikari Mitsushima, Eriko Nakamura
Japan, 2009, 107 Min.