Nippon 2010: „8000 Miles - SR Saitama’s Rapper“ – Ein Film, den es ohne das digitale Kino sicher nie gegeben hätte

“8000 Miles - SR Saitama’s Rapper”, Japan 2008. Regie: Yu Irie


Das Programmheft der Nippon Connection klärt uns auf: Bei „8000 Miles“ handelt es sich um einen überraschenden Publikumserfolg von dem japanischen „Yubari Int. Fantastic Film Festival“, das überdies das Lieblingsfestival von Quentin Tarantino ist. Mit dessen Stil und Geschmack hat „8000 Miles“ allerdings wenig zu tun.

Irgendwo durchs Nichts der japanischen Provinz (Saitama) begleitet die Kamera den leicht übergewichtigen Rapper Ikku, der trotz seiner trotteligen, lethargischen Art versucht, cool zu sein. Das gelingt eher weniger, denn in der Provinz scheint niemand viel Interesse an Hip Hop zu haben.

Einerseits gewinnen wir diese rappenden Verlierer lieb, andererseits schämen wir uns aber mit ihnen für ihre kläglichen Versuche, Anerkennung zu finden. Daraus bezieht sich der größte Teil der Spannung des Films. Anders gesagt: Der Film hält den Ball eher flach, was Spannung angeht. Der Film wandert von Situation zu Situation, innerhalb der Episoden baut sich mal eine Spannung auf - wie wird z.B. diese eigentümliche Seniorenversammlung auf die „Möchtegern“-Provokationen der jungen Rapper reagieren?

Der Film hat ganz offensichtlich ein kleines Budget und reagiert darauf mit einem minimalistischen Formkonzept. Filme wie Tarantinos „Reservoir Dogs“ oder der (zu) viel zitierte „Blair Witch Project“ haben es vorgemacht: Manchmal gelingt es, den Geldmangel in einen Vorteil umzudeuten. Tarantino setzte seinerzeit auf ein bezugsreiches, präzises Drehbuch und professionelle Schauspieler, die sich kräftig austoben konnten. Yu Iries Film funktioniert anders.

Die Charakterzeichnung ist ähnlich flach wie die Spannungskurve, die Figuren entwickeln sich kaum, das Schauspiel ist eher maskenhaft und überzogen als psychologisch. Dadurch wirkt der Film skizzenhaft, angedeutet, grob. Und das sehe ich gar nicht unbedingt negativ: Die meisten Szenen bestehen aus einer einzigen Einstellung, manchmal gibt es eine Fahrt. Durch die Langsamkeit der Erzählweise stellt sich beim Zuschauer - wenn er sich einlassen kann - entspannte Ruhe ein und gleichzeitig wird ein besonderer Blick auf die Provinz Japans möglich, auf ganz sichtbar „echte“ Orte statt künstliche Filmsets, auf Durchschnittsmenschen. Der Schwerpunkt liegt auf den eigentümlichen Augenblicken, die sich dort zutragen, auf der Atmosphäre, und genau das macht auch den wesentlichen Reiz des Films aus: Man kann daran glauben, dass sich das Leben in der japanischen Provinz wirklich genau so anfühlt. Wahrscheinlich hat er dort aus diesem Grund solchen Erfolg.

Das „schlechte“ Schauspiel stört dann auch gar nicht weiter, ist vielleicht sogar sinnvoll als eine Art von Ehrlichkeit (das Spiel wird als Spiel gezeigt). Davon mag man halten, was man will, ein wesentlicher Kritikpunkt darf es jedenfalls nicht sein - das ginge bei solch einem zarten, auch unbeholfen charmanten Film am Punkt vorbei. Der Film ist sicher nicht der hellste Stern am Firmament der diesjährigen NC-Filme, aber es ist doch irgendwie schön zu wissen, dass im Zeitalter des digitalen Kinos auch solche Filme existieren (und Erfolg haben) dürfen, die früher niemals durchgekommen wären, z.B. bei einem stärker von Finanzen regierten und darum vorsichtigen Studio. „8000 Miles“ ist ein ungeschliffener Film und gerade daher durchaus sehenswert.


Martin Urschel

“8000 Miles - SR Saitama’s Rapper”, Japan 2008.
Regie & Drehbuch: Yu Irie. Kamera: Kazuhiro Miura
Darsteller: Ryusuke Komakine, Mihiro, Shingo Mizusawa, Eita Okuno, Hikohiko Sugiyama
Länge: 80 Min.
www.sr-movie.com