Kino: "My Week with Marilyn" - Ein Schein auf Marilyn zeigt, dass sie selbst am hellsten leuchtet

Marilyn Monroe ist groß. „Meine Woche mit Marilyn“ ist nur sehr gut. Kann der Film etwas dafür?


Von Tonio Gas mit Bettina Uhlich


Wer wollte das nicht gerne bei „MM“: Vom Star und Sexsymbol verführt werden und den Menschen verführen, oder besser gesagt: zu einer Menschwerdung führen, ihn retten? Colin Clark ganz gewiss. 1956 ergatterte sich der dreiundzwanzigjährige Engländer, der von Kindesbeinen an mit Stars wie Sir Laurence Olivier und Vivien Leigh bekannt war, eine Stellung als dritter Regieassistent (also Mädchen für alles). Nicht bei irgendeiner Produktion, sondern beim Dreh von „The Prince and the Showgirl“, jenem Film, für den Olivier Marilyn nach England holte. Während einer Woche kam Clark Marilyn offenbar so nahe, dass auch er glaubte, eine gute Freundin beschützen zu können. Auf der Basis eines zusammenfassenden Briefes an einen Freund veröffentlichte er Jahrzehnte später das für ihn unvergessliche Erlebnis als Novelle, mit dem Untertitel „Eine wahre Geschichte“.

Nun wurde „Meine Woche mit Marilyn“ verfilmt. Kann das gut gehen? Ja und nein! Man muss sich eingangs einmal vergegenwärtigen, wie schwierig schon die Ausgangslage ist: Ein Film sollte möglichst für die Masse gut und für die verrückten MM-Experten noch besser sein. Desweiteren verlangt die Gestaltung einer solchen Ikone mit tragischem Ende Respekt, aber keine devote Haltung, die die Kreativität einschnürt. Das mit dem Respekt hat auf jeden Fall schon einmal funktioniert; genau wie bereits in Clarks Buch, weswegen irgendwann nicht mehr allzu wichtig ist, ob sich jedes kleine Detail wirklich genau so zugetragen hat.

Um „für Anfänger und Fortgeschrittene“ zu sein, greift der Film auf einen alten, aber immer noch guten Trick zurück: Obwohl weitgehend buchgetreu, werden verschiedene Aussagen von und über Marilyn gesammelt, die zum Teil bei ganz anderen Gelegenheiten als beim Dreh von „The Prince and the Showgirl“ gefallen sind. So findet sich Oliviers entnervtes „Sei sexy!!!“ (verbürgt) neben Marilyns „Jedes kleine Mädchen sollte gesagt bekommen, wie hübsch es ist“ (nicht zur fraglichen Zeit geäußert). Natürlich ist beides wichtig. Marilyn hoffte vergeblich, von einem großen Theatermann ernster genommen zu werden als von vielen ihrer anderen Regisseure – der Dreh war immer wieder von Spannungen begleitet.

Wenn er nicht mit erklärenden Dialogen arbeitet, sondern sich auf das Bild verlässt, zeigen sich die ganz großen Stärken des Films. So sehen wir immer wieder, ohne dass die Kamera dies besonders hervorhebt, hohe Literatur in Marilyns Privatzimmern und in ihrer Garderobe herumliegen. Das verschafft ihm einen Mehrwert und stellt MMs verbürgtes Interesse an Literatur besser dar, als wenn man es in Dialogen extra betonte. Das Klischee des blonden Dummchens muss nicht widerlegt werden. Es ist gar nicht erst da.

Was haben wir stattdessen? Eine Marilyn, die der Film gleichsam als private wie als öffentliche Frau zu zeigen versucht. Der Film versucht dies mit einer ungewöhnlichen Gewichtung, und fast vermuten wir hier einen bewussten Trick: Die Szenen von MM als Ikone machen lediglich ganz wenige Minuten des Filmes aus, aber sie sind dramatisch an derart markanten Punkten platziert, dass deren Bilder es zu gefühlten 95 % in die Berichterstattung über den Film gebracht haben. Und die Kritik kreist zu einem Großteil um die Frage, ob die Darstellerin Michelle Williams eine Marilyn Monroe verkörpern kann. Kurz gesagt: Sie kann es nicht, jedenfalls nicht in den Szenen, in denen sie sich in die berühmten Posen wirft. Die kann Williams noch so intensiv studiert haben, da kann man ihr noch so viel Achtung zollen. Es gibt nur eine Marilyn, und das ist Marilyn. Ist das nun so schlimm? Eigentlich nicht. Obwohl Williams’ etwas raue Singstimme schon arg entfernt vom samtweichen Timbre des Originals ist: Sie und das Team haben natürlich genau gewusst, dass sich MM nicht kopieren lässt. Also ist es nicht ungeschickt und alles andere als nichtssagend oder feige, sich der erwarteten Ikonenbilder in kurzen Szenen und schnellen Montagen zu entledigen.

Der Film zeigt Marilyns Wirkung stattdessen in Metaphern oder im Blick von Nebenfiguren. Ein hübscher Einfall ist beispielsweise zu Beginn, wie immer wieder die altmodischen Kamerablitzlichter in Großaufnahme aufflammen, wobei die Lampen naturgemäß verglühen und dem hellen Flash zerschmelzendes Glas/Wolfram in einem warmen Goldbraun folgt. Marilyn bringt alles zum Glühen und zum Schmelzen – Blicke, Seelen, Fotografen, die Fotoplatten selbst, die aus Fotos bestehenden Zelluloidstreifen, die Leinwände, die Kinozuschauer. Die Metapher wirkt viel besser, als wenn wir Michelle Williams noch länger beim guten, aber gegenüber dem Original abfallenden Posing zugeschaut hätten. Es ist klug, dass der Film Williams dem direkten Vergleich eher selten aussetzt. Wie MM auf andere wirkt, zeigt der Film besser beim Blick auf die anderen als beim Blick auf Marilyn.

Daher ist auch der einzige Handlungsstrang, der gegenüber dem Buch hinzuerfunden wurde, überraschend gut. Man könnte für arg kitschig halten (und Dietmar Dath hat es in der FAZ auch getan), dass das Drehbuch Clark eine Romanze mit Lucy, einer biederen Kostümbildnerin (Emma Watson) andichtet: Geht das nicht zu sehr in Richtung eines überflüssigen Love Triangle, die Normale und die Außergewöhnliche? Vielleicht, aber die Rechnung geht auf. In einer Szene muss Lucy nur betrachten, wie Marilyn an Clark vorbeigeht, nein: schwebt, in ihrem weißen Kleid, um zu sehen, was mit dem jungen Mann gerade passiert. Ohne dass Williams viel mehr machen muss als den Mythos MM einmal kurz vorbeischreiten zu lassen, bewirkt sie mehr als mit allen einstudierten Posen und Gesängen.

So zieht Marilyn / Williams nicht nur diese Lucy in den Bann, sondern auch uns; der Film hat eine allemal interessante und in den Eckdaten verbürgte Geschichte zu erzählen. Die Schwierigkeiten beim Dreh, Marilyns Unsicherheit, Unpünktlichkeit, Tablettensucht, persönlicher Zwist mit Regisseur und Filmpartner Olivier – all dies kommt genauso vor wie ein ansprechend vermittelter Zwist über Schauspielmethoden selbst: Marilyn wollte, angeleitet durch die dauerpräsente Paula Strasberg, im Sinne eines Method Acting ihrer Figur auch emotional nahe sein, wollte sie verstehen können, wollte ihren Charakter glaubhaft in sich aufnehmen, um ihn glaubhaft darstellen zu können. Wer nicht glaubhaft sei, den könne man nicht verkörpern. Unsinn, so Olivier, man müsse seine Figur ja nicht gleich sein, sondern „nur“ spielen, und was nicht glaubhaft sei, werde glaubhaft gemacht. Schauspielerei als Illusion, als Markt der Lügenverkäufer, und wer hier nicht bestehen könne, sei eben ein schlechter Illusionist, ein schlechter Schauspieler. Klar, dass Marilyn bei jemandem mit dieser Ansicht (zunächst) gnadenlos durchfallen muss; klar auch, dass ein Star wie Olivier eine Paula Strasberg als Einmischung und Konkurrenz empfinden muss. Es ist erfreulich, dass der Film den schauspiel-akademischen Streit nicht herausgekürzt hat, denn er vermittelt ein wesentliches Moment der Schwierigkeiten auf dem Set, die im Ergebnis eben deutlich über einen Theorienstreit hinausgingen. Der Streit wurde persönlich, jedenfalls in den Auswirkungen auf die gleichsam ambitionierte wie verunsicherte Marilyn.

Und wie sie leidet, aber auch einmal aus dem Stress für ein paar Momente mit Clark ausbrechen möchte, darauf konzentriert sich der Film stark – vielleicht ein bißchen zu stark. Natürlich ist es sehr reizvoll, dies alles auf die Leinwand zu bringen: Der große Star Marilyn, der ganz privat mit Clark Schloss Windsor besucht, im goldgelben Sonnenschein eine Landpartie macht, mit ihm nackt badet, ihn küsst, sich ein paar Tage später von ihm nachts beruhigen lässt und ihm in „Löffelchenstellung“ ganz nahe kommt, ohne dass „es“ passieren muss. Dabei kann Williams als Schauspielerin aufblühen, da muss sie nicht Marilyn imitieren, da kann auch die Kamera ihr oftmals ganz nahe kommen, da lassen wir unserer Fantasie gern einmal freien Lauf. Williams fein nuancierte, vielseitige Mimik und Gestik bewahren den Film stets davor, dass die Fantasie zur Männerfantasie verkommt.

Williams präsentiert Marilyn sowohl als listige Verführerin als auch als tragisches Opfer ihres Status und ihrer Krankheiten (welcher Art sie auch immer sein mögen). Auf Letzteres legt der Film gerade in der zweiten Hälfte den Schwerpunkt. Das ist im Sinne eines klassischen Dramas verständlich, welches nicht die ganze Zeit so luftig-leicht plätschern darf wie der Fluss, in dem die Badeszene stattfindet. Das Ganze muss sich zuspitzen. Aber damit fällt der Film auch ein kleines bisschen in die Falle, in die viele Bewunderer Marilyns fallen, zu denen man getrost auch den Autor Colin Clark rechnen darf. Marilyn als das Opfer, das wir gerne retten möchten.

Williams’ Darstellung ist immer noch gut, wenngleich sie in ihrer Opferrolle gelegentlich schon ein bißchen zu passiv und naiv wirkt. Teilweise scheint uns dies der deutschen Synchronstimme geschuldet. Sie ist recht hoch, aber dabei wenig voll und immer leicht gepresst, was in den Szenen mit Marilyn in Nöten den Eindruck des überakzentuiert Naiven verstärkt. Doch verschweigt der Film durch diesen Fokus auch wichtige Seiten Marilyns, die als ambitionierte Künstlerin ihre Rollen intensiv studierte und kluge Kommentare abgab sowie notierte. Das kann über Unsicherheiten, wenn die Klappe fiel, nicht hinwegtäuschen, aber es wird ganz gern einmal vergessen, dass Marilyn eine kluge Frau war, gerade auch als Künstlerin. Sie hatte die Bücher nicht nur herumliegen, sie las sie nicht nur, sie verstand sie auch, und sie verstand etwas von ihrem Fach. Sicherlich ist die Versuchung groß, Marilyn privat zu zeigen, aber was wir dadurch von Marilyn bei der Arbeit sehen, ist leider wieder nur die altbekannte Kombination von ihren privaten Schwierigkeiten und dem dennoch phänomenalen Ergebnis auf der Leinwand. Dass sie hierzu einen eigenständigen künstlerischen Beitrag auch in intellektueller Hinsicht leistete, zeigt „My Week With Marilyn“ nicht. Man kann es dem Film angesichts der entsprechenden Buchvorlage kaum vorwerfen. Aber das Ganze ist eben „nur“ eine gute Novellenverfilmung und nicht der ultimative MM-Film. Dieser muss noch gedreht werden. Falls dies überhaupt möglich ist.
Immerhin: Auch im dramatischen Teil gibt es noch magische Momente und große Kinokunst: Wenn etwa Clark Marilyn vom Starrummel „befreien“ möchte, sehen wir in Großaufnahme ein wunderbares Gesicht, wie nur das Kino eines zeigen kann. Michelle Williams in Großaufnahme muss kaum etwas tun, aber da ist eine minimale Irritation in ihrem Gesicht, die zeigt, dass Marilyn von ihren selbsternannten Erlösern nicht so bedingungslos gerettet werden will, wie die es mitunter gern gehabt hätten. Den Starruhm aufgeben und sich ins Private zurückziehen? Nein, soweit geht der Wunsch nach einem „ganz normalen Leben“ dann doch nicht; das hat Williams wunderbar subtil gespielt. Insgesamt jedoch hängt der Film und ihre Darstellung bei aller Bewunderung ein bißchen stark an der klar vom Beschützerinstinkt dominierten Buchvorlage. Da würden wir Marilyn gern noch stärker als Subjekt denn als Objekt sehen, da würden wir uns auch das Wagnis eines freieren Umgangs mit Vorlage wie Erzählform wünschen. Mira Sorvinos Leistung ist unter diesem Aspekt in „Norma Jeane and Marilyn“ (1996) durchaus beachtlich.

„My Week With Marilyn“ ist nichtsdestoweniger ein guter Film, der insbesondere bei einigen Nebenrollen punkten kann. Emma Watson hat sich von „Hermine“ emanzipiert und meistert die undankbare Rolle der Naiven, der wir den Weitblick hinter dem scheinbar Devoten abnehmen. Judi Dench ist als Dame Sybil Thorndike, die in „The Prince and the Showgirl“ eine wichtige Nebenrolle hat, gewohnt überzeugend. Julia Ormond brilliert als Vivien Leigh, Gattin von Sir Laurence Olivier und selbst ein Star, der Marilyns Rolle aus „The Prince and the Showgirl“ zuvor auf der Bühne gespielt hatte. Sie ist gleichsam jovial („Passt gut auf auf meinen Larrykins“), aber zeigt dahinter auch gewisse Befürchtungen, mit ihren mittlerweile 43 Jahren den Stab nicht nur künstlerisch, sondern möglicherweise auch privat an eine jüngere Generation abgeben zu müssen, für die Marilyn steht. Leider haben ihr Kostümdesign und Maske ein Aussehen von mindestens 50 Jahren verpasst, was diesen Aspekt stärker als nötig akzentuiert – als wenn Ormond das durch gutes Schauspiel nicht viel subtiler transportieren könnte.

Eddie Redmayne als Colin Clark ist angemessen boyish, Dominic Cooper als Milton Greene (Marilyns Fotograf, vormaliger Liebhaber und jetziger Geschäftspartner) vielleicht ein bißchen zu aggressiv. Dougray Scott als MMs Ehemann Arthur Miller spielt erfreulich differenziert und nicht einseitig in der intellektuellen Ecke stehend. Sein Miller ist vielmehr mit verhaltenen, aber deutlichen Emotionen ausgestattet. So berührt er uns als hin- und hergerissener Mann, als frischgebackener Gatte eines Sexsymbols, der sich mit diesem Status der Ehefrau offensichtlich schwertut und dessen Ehe schon vor den Flitterwochen kriselt. Seine ruhigen, aber bedeutsamen Gespräche mit Olivier über Marilyn gehören zu den ganz starken Szenen des Filmes, die Marilyn und den beiden Männern ein Höchstmaß an differenzierter Ambivalenz zubilligen.

Für Kenneth Branagh in der Rolle des Sir Laurence Olivier gilt: Rolle wie Darsteller sind der heimliche Star des Filmes. Nicht nur kann Branagh physisch beängstigend gut in die äußere Erscheinung Oliviers schlüpfen (wobei enorm hilft, dass beide eine extrem nach innen gekehrte und daher schmal und schneidend wirkende Lippenpartie haben). Auch hat er mit klassischen Theaterweihen der höchsten Art einen ähnlichen künstlerischen Hintergrund wie Olivier. Am Wichtigsten jedoch: Der Film reduziert Oliviers Rolle nicht auf das zwischen subtilen Bosheiten und offenen Schimpftiraden pendelnde Ekel, als das Olivier mitunter beim Dreh von „The Prince and the Showgirl“ beschrieben wurde. Gerade in den Gesprächen mit Miller beim Betrachten des Rohmaterials („Aber Sie lieben sie doch“) zeigt sich Olivier einsichtig und verständig für die Belange seiner Mitmenschen, am Ende auch ansatzweise für diejenigen von Marilyn selbst. Seine tyrannische Seite leugnet der Film nicht. Aber bei der Figur Oliviers liegt nahe, ihn als Täter zu porträtieren, wenn Marilyn schon Opfer sein soll. Insoweit ist der Film „My Week with Marilyn“ besser als das Buch, in dem Clark (menschlich verständlich) Marilyn so weit verfallen war, dass er Oliviers Schauspielkunst gegenüber derjenigen von Marilyn schlecht redet und ins Schmierenkomödiantische herunterzieht. Viele beschreiben noch heute Oliviers Leistung in „The Prince and the Showgirl“ als schlechtes, hölzernes, übertriebenes Chargieren eines Mannes, der tief in die Theatertrickkiste greift, wie man es beim Film besser nicht tun sollte. Doch eigentlich zeigt Olivier in „The Prince and the Showgirl“ ganz bewusst die Größe, die es braucht, um sich selbst lächerlich zu machen. Und um zu zeigen, dass MM der eigentliche Star war, der keineswegs vom Prinzen verführt wird, sondern selbst verführt – und Grenzen setzt.

Wunderbar zeigt Branagh in „My Week With Marilyn“, dass es mindestens drei Oliviers gibt: Erstens den Knallchargen mit lächerlicher Operettenuniform, zusammengepressten Lippen und Monokel in „The Prince and the Showgirl“ (eine etwas artifizielle, harte Lichtsetzung und die ungewöhnlichen von Lila dominierten Farben des Sets verstärken diesen Effekt, wie dies damals schon unter dem genialen Kameramann Jack Cardiff geschah). Zweitens den Tyrannen auf dem Set und drittens einen sensiblen und für die Empfindungen seiner Mitmenschen empfänglichen, bedächtigen Menschen, wie wir ihn vornehmlich in den Gesprächen mit Miller erleben. Was nach „Alle sind gut“-Seligkeit aussehen mag, verleiht dem Film und dem Charakter in Wirklichkeit mehr Tiefe.