Interview: "„Wie mutig sie war, wie willensstark.“ Gespräch mit Jana Pulkrabek, Regisseurin und Autorin des Stückes "Der Fall M.M."


von Tonio Gas


TG:   Wir haben gehört, dass Sie auch in New York waren, dort studiert haben, dass Sie auch Weggefährten von Marilyn Monroe kennengelernt haben. Ist nach und nach der Wunsch entstanden, sich damit zu befassen, oder gab es eine Art Initialzündung für das Stück?

JP:     Ich habe mich schon mal mit Marilyn Monroe beschäftigt, als ich in New York studiert habe, weil ich als Schauspielerin an einer Szene aus „After the Fall“ gearbeitet habe, was ja Arthur Miller für Marilyn Monroe geschrieben hatte. [Es handelt sich um ein Stück, das MMs Ehemann Arthur Miller nicht nur für, sondern auch über Marilyn geschrieben hatte. Unverhohlen breitet das Stück auch Privates und die psychischen Probleme einer eindeutig als Marilyn zu identifizierenden Protagonistin aus (Anm. TG)] Ich bin aber seit Kindheit großer Marilyn-Fan, einfach instinktiv, und jetzt kam die Idee ganz spontan, als der Choreograph Jaroslav Ivanenko mich gefragt hat, einen Stoff zu finden, den man mit Schauspiel und Tanz umsetzen kann. Und ich dachte, das wäre eine Möglichkeit, Marilyn zu thematisieren, weil Tanz eine abstrakte Möglichkeit bietet. Marilyn tanzen zu lassen und singen zu lassen anstatt eine Schauspielerin sie komplett spielen zu lassen, lässt ein bißchen mehr Fantasie beim Zuschauer, finde ich, weil ja jeder ein Bild von Marilyn hat. Es ist einfach ganz schwer, das kopieren zu wollen.

TG:   Können Sie uns sagen, wie Sie recherchiert haben, was ihre wichtigsten Quellen waren, oder ob es auch Personen gibt, von denen Sie etwas erfahren haben, was man nicht aus Büchern erfährt?

JP:     Lesen, lesen, lesen, gucken, gucken, gucken, hören, hören, hören, und in New York, da gibt es auch so ein paar Quellen, wo man das eine oder andere erfahren hat, eben von damaligen Szenenpartnern von Marilyn Monroe. Oder zwei Bekannte, die ich hab: Als sie klein waren, war Marilyn ihr Babysitter. Also, da gibt es interessante Verknüpfungen.

TG:   Also die Informationen, die man nicht aus Büchern erfährt…

JP:     Das merkt man dann gar nicht, man kennt sie seit Ewigkeiten, und dann, als ich das Stück machte, habe ich darüber erzählt, und dann sagte ein Freund von mir: „Oh, Marilyn war Babysitter von denen.“ Das wusste ich ja nie!

TG:   Vielleicht noch ein bißchen zu dem Fall, zu dem Kriminalfall. Donald Spoto hat ja geschrieben, er hätte ihn gelöst. Würden Sie sagen, man kann ihn lösen? Wollen Sie es überhaupt? Will Ihr Stück es?

JP:     Nein, das Stück will es nicht lösen. Am Anfang wollte ich eine Antwort unseres Detectives geben, ohne das als die wirkliche Antwort zu betiteln. Was es jetzt wirklich war, weiß man nicht, und es gibt so viele unterschiedliche Meinungen. Aber alle sind sehr spannend! Ich find’s auch einfach wesentlich spannender, dass keiner dem nachgeht – wie bei den Kennedys. Bei so einer Sachlage, dass eindeutig etwas vertuscht wurde, das finde ich noch viel spannender.

TG:   Meinen Sie, der Fall wird noch einmal gelöst werden?

JP:     Ich denke, er sollte es. Ich wundere mich auch, dass es nicht schon längst ein Filmstoff ist, also ich war ganz überrascht bei der Recherche, als sich das alles aufgetan hat über den Todesfall, das wusste ich gar nicht. Ich habe in ihrer Biographie nachgelesen. Und erst dadurch bin ich auf diese Hintergründe getroffen, die den Todesfall betreffen, darauf war ich gar nicht vorbereitet.

TG:   Das Stück ist ja ein Crossover, es ist Tanz, Schauspiel, Musical. Wollten Sie vielleicht einerseits hinter die Fassade blicken, andererseits sie auch feiern, die Ikone?

JP:     Sicherlich auch die Ikone feiern. Man würde ihr natürlich gerne noch mehr Hommage geben und viel anderes über sie erzählen, aber hier war ganz klar die Vorgabe Schauspiel und Tanz, und dementsprechend haben wir uns angepasst. Da wir’s auch aus der Perspektive des Detectives erzählen, seine Fantasie von Marilyn, gehen wir ja gar nicht so sehr in die ganzen Sachen über sie, die man nicht weiß, die man erst erfährt, wenn man über sie liest. Wie mutig sie war, wie willensstark, was sie alles gemacht hat, dass sie ihre eigene Produktionsfirma gegründet hat, etc. Aber es soll ja auch ein unterhaltsamer Abend sein! Und die Inszenierung in sich muss stimmen, es ist eine Choreographie.

TG:   Ich denke, Sie haben etwas ganz Wichtiges angesprochen. „Der Detektiv spricht.“ Inwieweit spricht Ihr Stück, wenn der Detektiv spricht? Oder ist das nur eine Figur, die subjektiv ist? Inwieweit muss Kunst, wenn es um reale Personen geht, bei der Wahrheit bleiben, inwieweit darf sie sich etwas rausnehmen?

JP:     Ich kenne Marilyn nicht. Ich kenne die Wahrheit nicht. Ich kann mir meine Wahrheit nehmen, ich kann Bücher lesen, mir verschiedene Autoren nehmen… Die einzige Möglichkeit, eine Person nicht zu betrügen, wenn man die Wahrheit nicht kennt, ist es, aus einer Perspektive zu erzählen. Aus der Perspektive einer Person, ohne mit einem „so war es“ zu pfuschen.