FddF LU: Beste Filme #2: "Beziehungsweisen"
Erwartungen und Vorwürfe, unausgesprochene Wünsche und unterdrückte Wut, alte Wunden und neue Verletzungen, Stress, Unaufmerksamkeit, Beharren auf dem eigenen Standpunkt und der Verdacht der Verantwortungslosigkeit beim anderen, alltägliche Kleinigkeiten und grundsätzliche Konflikte: Es ist nicht leicht, eine Beziehung zu führen, sie in neue Stadien übergehen zu lassen, sie zu pflegen und zu erhalten; vor allem, wenn auch noch Liebe dabei sein soll.
Calle Overweg hat ein Studio angemietet, setzt drei Paare auf genau ausgerichtete Stühle, gegenüber ein Beziehungsberater, Scheinwerfer, Mikrophon, Kameras und Monitore sind Teil dieses filmische Raumes. Es ist eine Versuchsanordnung, die ihren Experimentalstatus nie auch nur ansatzweise zu vertuschen sucht: Paare reden über sich selbst, der Therapeut versucht zu helfen. Die drei Paare, eines mit Zweifeln am Kinderwunsch, eines mit zwei Kindern
und zwischenmenschlichen Problemen, ein älteres, das jahrelang vor sich
hergelebt hat, wirken wie aus dem Leben gegriffen.
Einen "gespielten Dokumentarfilm" nennt sich der Film, tatsächlich ist alles gespielt, abgesprochen, vorentworfen. Die drei Paare: das sind Schauspieler, die entlang ihrer vorgegebenen Linien ihre Rollen improvisieren. Die drei Therapeuten: die sind echt, ihnen werden die drei Fallbeispiele vorgespielt, sie reagieren darauf, wie sie's in echt tun würden. Und es eröffnen sich Einblicke in Beziehungen, ins Private, in Beziehungsarbeiten, in Probleme und Lösungsansätze, und dass das nicht trocken wirkt, nicht dröge, sonden lebendig und, ja: wahr, das ist so etwas wie das Wunder der Leinwand.
Denn natürlich ist alles künstlich, da besteht kein Zweifel; wenn wir nicht am therapeutischen Gespräch teilnehmen, sehen wir den Protagonisten bei ihrem Alltag zu, den sie auf einer Bühne mit rudimentären Requisiten, mit Markierungen auf dem Boden "Dogville"-mäßig nachspielen. Und zwischendurch taucht Calle Overweg auf und befragt Schauspieler und Therapeuten nach ihren Eindrücken vom Bisherigen.
Das Echte der Interviews (das natürlich nur scheinbar echt ist, durch Stottern, Rumdrucksen, Selbstwidersprüche und Sponanität aber als authentisch rüberkommt) findet in der offenen Studiosituation statt - ein Bruch, der erweitert wird durch das abstrakte künstliche Bühnenspiel, wiederum eingebettet in den Entstehungsprozess des Films, in dem Overweg selbst auftaucht, und ergänzt durch kleine Rücknahmen des Artifiziellen: Wenn einer Auto fährt - eine Lenksäule und zwei Sessel genügen zur symbolischen Darstellung der Idee des "Autos" - hören wir Verkehrsgeräusche, nicht vorhandene Türen schlagen geräuschvoll zu: Der Soundtrack überführt das Künstliche wieder in eine behauptete Wirklichkeit; und zudem wird von irgendwoher immer wieder klassische Musik eingespielt.
Und ja: das ist lustig. Da muss man lachen. Weil spielerisch diese Brüche immer wieder auf die Spitze getrieben werden; weil das ganz Private dieser Paare ganz öffentlich ausgebreitet wird; weil man an den Fehlern und Verhaltensweisen sich selbst wiedererkennt und zugleich - ist ja alles nur Film! - drübersteht; weil sich die Offenbarungen dynamisch steigern und das Verhältnis von Erwartung und Überraschung zu austariert ist, dass es Komik erzeugt. Und, weil man sich über die Machart zwischen billigstem Studioarrangement im Formalen und penibelst, aber freiestmöglich ausgeführtm Inhalt erfreut.
Ein seltener Fall, dass ein Film über Beziehungen nur am Rande von der Liebe handelt. Die ist, so führt eine der Therapeutinnen mit dem Schatz langjähriger Erfahrungen im Rücken aus, sowieso wenig maßgebend. Was Beziehungen zusammenhalte, seien gemeinsame Kinder und Schulden.
Der Film läuft im Fernsehen, auf 3Sat, irgendwann um den 20. August rum. Fernsehprogramm beachten!
Harald Mühlbeyer