Screenshot Classic: Krankenakte 007 - Wie der wahnsinnige James Bond seit 50 Jahren sich und die Welt narrt
von Bernd Zywietz
Wie konnten wir das all die Jahrzehnte übersehen? Hat er uns so betöret, dieser strahlende, originelle Held mit seinem Luxus, der Heroe der neuen, modernen Zeit, dass wir vielleicht noch erkannten, wessen (Zeit-)Geistes Kind er war – nicht jedoch, wie er uns und sich in seinem Irrsinn täuschte? Wollten wir uns etwa von diesem übermäßig virilen Auftreten blenden lassen, von seiner Edelgarderobe, den teuren Autos und seinen überwältigenden Jet-Set-Abenteuern voller Sex und Gewalt?
Menschenleben sind auf diesem Holzwege verloren gegangen und vor allem viele Frauen könnten noch am Leben sein, wenn man nur rechtzeitig bemerkt hätte, was in und um seine Filme herum so offensichtlich war! Vielleicht wollten wir es nicht sehen, weil er so mustergültig und archetypisch unsere Träume auslebte. Wollten nicht wahrhaben, dass es in Wahrheit Albträume waren, Phantasmen, Hirngespinste, an denen wir voller Wonne teilnahmen. Er lullte uns ein, wir sind mitschuldig.
James Bond 007, von Sean Connery bis Daniel Craig ist ein tragischer, gleichwohl gemeingefährlicher Psychopath. Sicher, ein Frauenfeind und Faschist wurde dieser britische Geheimagent bereits geschimpft, im harmlosesten Fall noch als Fantasiegestalt der Büromännchen, die da ins Kino gehen. Doch dass dies bestenfalls an der Oberfläche kratzt, hätte uns der Umstand klarmachen müssen, dass dieser Geheimagent eine der bekanntesten, populärsten Figuren der Erdballs ist!
Ich selbst nehme mich nicht aus; auch ich hätte die Zeichen lesen und Schreckliches verhindern können. Vesper Lynd (Eva Green) könnte so noch am Leben sein, auf jeden Fall aber eine gewisse Fields, die als eindeutig fetischisierte Wiederholungstat ihr grausiges Ende findet!
Deshalb schreie ich es heraus: Der allseits so bejubelte Geheimagent 007 im Dienste Ihrer Majestät James Bond ist eine gespaltene Persönlichkeit, die nicht nur als Superschurke sich selbst den ärgsten Feind gibt, sondern auch eigenhändig all die Frauen tötet, die ihm zu nahe kommen. Diese tragisch-diabolischen Taten schiebt seine gestörte Seele wiederum, um es zu bewältigen, seinem jeweiligen (meist Ernst Stavro Blofeld geheißenen) Widersacher in die Schuhe. Ob dieser – nur in Bonds Phantasie existente – Bösewicht von seinem Unterbewusstsein nur zu diesem Zweck kreiert wurde, oder ob dieser Mr. Hyde die Morde an all den schönen, langbeinigen Damen erst „erzwingt“ – was also Huhn und was Ei ist – vermag ich nicht zu sagen.
Klar ist nur, dass James Bond als heimlicher Schurke weniger einem Keyser Soze als einem Norman Bates gleicht. Ein tragischer, umso unerträglicherer Fall, der die erschreckenden Multiple-Persönlichkeits-Akten wie „Fight Club“ und ihr unzuverlässiges Erzählen im Kino lange vorwegnahm, ohne dass jemand es auch nur ahnte. (In gewisser Weise gilt dies auch hinsichtlich „Memento“ oder der hier absurden Interpretation des Bond-Falles „Angel Heart“).
Sie wollen es nicht glauben, verlangen Beweise; einen kleinen Einblick in die Krankenakte 007? Wohlan…
I. Prädisposition
In Mythos 007, dem von Andreas Rauscher, Georg Mannsperger, Cord Krüger und mir herausgegeben Werk zu James Bond als popkulturellem Phänomen, verwies ich darauf, ohne die ganze Dimension selbst zu erfassen. Bond ist krank qua Herkunft; seine Schizophrenie ist, zumindest als Anlage, vererbt.
007 ist quasi das Kind zweier Vorbelasteter, das des Sherlock Holmes (und anderer armchair detectives, vor allem aber diesem brillanten Schnüffler aus der Londoner (!) 221B Baker Street, der belegt, wie nahe Genie und Wahnsinn zusammen liegen) sowie des Helden der Hard-Boiled- bzw. der Film-Noir-Krimis.
Zunächst: Sherlock Holmes. Von diesem Papa hat James Bond nicht nur die Noblesse und den Hang zum Exklusiven geerbt, sondern auch den inneren Größenwahn, der sich seinen eigenen, angemessenen Gegner schafft. Was Bond sein Blofeld war Sherlock Holmes sein Prof. James Moriarty. „Kein Koks für Sherlock Holmes“ („The Seven Per-Cent Solution” von Herbert Ross, USA 1976, nach dem Roman von Nicholas Meyer) klärt auf, dass dieses ebenbürtige und – wie Blofeld – im Hintergrund die Ränke schmiedende Verbrechergenie, das bezeichnenderweise in den verfälschten Aufzeichnungen des Arthur Conan Doyle kaum und wenn, dann fast ausschließlich durch Holmes Bericht (!) in Erscheinung tritt (ein Umstand, den es auch hinsichtlich Bond in Gedächtnis zu behalten gilt) – dass dieser Prof. Moriarty nur von Sherlock Holmes erfunden wurde. Seine Schandtaten gingen in Wirklichkeit auf Holmes’ Konto. Erst Siegmund Freud konnte den Meisterdetektiv aus diesem drogeninduzierten Irrsinn erlösen.
Ähnliche Hilfe blieb James Bond bislang versagt, und es ist schon sehr beredt, wie herablassend 007 mit dem – natürlich weiblichen – Psychologen in „Goldeneye“ (1995) umspringt oder auf jede andere Gelegenheit der äußeren Heilung und für sein unentdecktes Alter Ego gefährlichen, innere Besinnung wie in „Thunderball“ (1965) bzw. „Never Say Never Again“ (1983) (Wiederholungszwang!) mit der Erfindung eines prompten Bedrohungsszenariums reagiert.
Gegenüber den eher passiven, beinahe noch edlen Nobel-Detektiven hat der Beamte Bond nun kaum noch die Rückzugsmöglichkeiten in den sozialen Stand als Korsett. Die Stütze des 007-Egos sind daher logischerweise überlebensgroße Schufte, denn nur sie bieten das richtige Maß in einer profanisierten Welt, in der es den Luxus aus dem Angestelltenverhältnis heraus erst zu erfinden und dann zu erhalten gilt. Als ein solcher „Gassenbulle“ stammt Bond wiederum von den Privatdetektiven wie James Spade oder Philip Marlowe ab. Von ihnen hat er das Raue geerbt, den schnellen, kalten Umgang mit den Frauen, das Physische, die Bewegung und das blanke Agieren (die Action) darin.
Doch auch diese Helden in ihrer Souveränität haben sich in der späten Phase des Film Noir als nicht nur seelisch, sondern nachgerade geistig kranke Männer erwiesen. Nicht nur als neurotisch entpuppten sie sich: Michael Sellmann zeichnet in seinem Buch (Hollywoods moderner "Film noir": Tendenzen, Motive, Ästhetik. Würzburg, 2001) nach, wie bis – ganz markant – David Lynchs „Lost Highway“ die Noir-„Helden“ Opfer einer pathologischen Subjektive und „ihre“ Filme als ihre Wahnvision, ihr mindscreen zu deuten sind. So liegt Lee Marvin als Walker tatsächlich nach dem Raub angeschossen auf Alcatraz und träumt sich das Geschehen von „Point Blank“ (1967) sterbend zusammen.
Dementsprechend fällt es schwer, die Welt des James Bond als eine völlig überzogene zu entlarven. Schließlich bietet sie keine Vergleichmöglichkeit mit der Wirklichkeit – wir bekommen alles durch die Brille von 007 (ob mit oder ohne Röntgenmodus) präsentiert. Doch schon ein Blick außerhalb des Films auf die realistische Arbeit der Geheimdienste und ihrer kleinen Agenten, wie sie John Le Carré bietet, macht deutlich, wie Bond mit seinem Liebes-, Todes- und Weltreiseabenteuern in seinem Kopf der grauen Welt des Büroalltags und der eigenen Bedeutungslosigkeit zu entfliehen versucht – dorthin, wo man als wenig anziehender Beamter auch sexuell der „Herr“ ist (sehen Sie hierzu meinen Text Zweierlei Arten Held. Die Spione der Herren Ian Fleming und John LeCarré in der Screenshot-Printausgabe Nr. 26 (2005)).
II. Frauenmörder Bond
Da Bond tatsächlich diesen amourösen Episoden nicht gewachsen ist, die er auf der Jagd nach sich selbst bzw. dem Superverbrecher in seinem Kopf aus Gründen der Männlichkeit zu machen gezwungen ist, nötigt ihn dazu – um die Imagination seiner Potenz oder Überlegenheit der Frau gegenüber behaupten zu können –, die Damen sterben zu lassen. Dafür ist dann „der Bösewicht“ verantwortlich (oft haben diese Frauen ihn „verraten“), d.h. Bond selbst, in Form seines anderen, dunklen Ichs.
Die Filme führen dies permanent vor Augen und belegen dabei auch über die Jahre hinweg psychodynamische Linien und unterschiedliche, gleichwohl wiederkehrende Problemschemata und ihre Grade. Dabei wird deutlich: James Bond ist ein Serienmörder mit mehreren parallelen Tatmustern.
Gerade die (vermeintlich) sexuelle aggressiveren Frauen wie Fiona (Luciana Paluzzi) in „Thunderball“ oder Helga Brandt (Karin Dor) in „You Only Live Twice“ (1967) – beide rothaarig! – kommen kurz nach dem geschlechtlichen Stelldichein ums Leben, ob erschossen (die einzige Waffe Bonds ist die Pistole) oder angeblich im Piranhabecken des Bösewichts. In beiden Fällen sind keine offiziellen Stellen dabei, Bonds Version zu belegen, bzw. die Variante, von der nur der Schurke (!) wissen kann, zu bestätigen. Ebenso geht es in „Live And Let Die“ (1973) mit der schwarzen Rosie Carver (Gloria Hendry), die von Vogelscheuchen erschossen worden sein soll, während sie bezeichnenderweise vor 007 davonlief.
Auch in weiteren Fällen kommen verdächtigerweise die so genannten Girls ums Leben, wenn nur Bond zugegen ist oder aber in der abgeschiedenen Gegenwart des Schurken und auf dessen Geheiß. Ein besonders signifikanter Fall ist der Tod von Jill Masterson (Shirley Eaton) in „Goldfinger“ (1964). Nachdem sie ihren Auftraggeber verraten hat und daraufhin mit Bond im Bett war, wird der Geheimagenten beim Champagnerholen hinterrücks „niedergeschlagen“, um, als er wieder zu sich kommt, Ms. Masterson nackt und tot mit Gold überzogen auf dem Lasterlager vorzufinden.
Die Version, der stumme koreanische Diener Goldfingers habe seine Hand im Stil, hat all die Jahre plausibel geklungen. Doch gerade aktuell, nach vierzig Jahren, findet sich in „Quantum of Solace“ (2008) ein bemerkenswert ähnlicher Todesfall: Im einem Hotelzimmer im bolivianischen La Paz findet der Geheimdienst die tote Angestellte Fields (Gemma Atterton) in derselben Pose wie Masterson, nackt ausgestreckt auf dem Bett, diesmal allerdings ölverschmiert. Wieder ist Bond überrascht und schockiert – ehrlich, wie wir glauben wollen –,
doch es drängt sich der Verdacht auf, dass er ebenso Fields selbst getötet hat, wie er in 1964 nicht aus einer Bewusstlosigkeit bedingt durch Fremdeinwirkung erwachte, sondern aus einer mörderischen Trance! (Noch einmal sei hier auf „Angel Heart“ verwiesen.)
Dass Fields nun mit Öl beschmiert ist, ist selbst wiederum ein Indiz: Um die Herrschaft über diesen Rohstoff ging es auch der kriminellen Elektra King (Sophie Marceau) in „The World Is Not Enough“, die Bond emotional tangierte, dabei böse täuschte und von ihm offen und offiziell zuletzt niedergeschossen wurde.
Hier kommen wir zum zweiten Opfertypus des heimlichen Serienmörders James Bond, dessen erster Kinoauftritt nicht umsonst auf das Jahr nach dem Start von Alfred Hitchcocks „Psycho“ datiert ist: Menschen, die Bond zu nahe kommen und von im sozusagen aus Notwehr getötet werden, um das konsistente Selbstbild vom kalten, harten und legitimierten Killer aufrecht erhalten zu können.
Dabei fallen ihm nicht nur Frauen arglos zum Opfer: in geradezu ödipalem Wahn meuchelt Bond gute und meist väterliche Freunde, um sie hernach, wenn er wieder bei sich ist, zu beklagen und ihren Tod rächen zu können. Ob Ali Kerim Bey (Pedro Armendáriz) in „From Russia With Love“ (1962), Sir Godfrey Tibbett (Patrick Macnee) in “A View to a Kill” (1985) oder, gerade auch wieder in „Quantum of Solace“, der bedauernswerte Mathis (Giancarlo Giannini), dessen Pech es war, Bond beim übermäßigen Konsum von Wodka Martini zu überraschen und der damit unwissentlich sein eigenes Todesurteil unterschrieb.
Besonders tragisch müssen die Frauen wegen Bonds mörderischer Triebe dran glauben, die ihn gar auf sozial-institutioneller Ebene zu „kastrieren“ drohen, soll heißen durch Heirat. Lediglich Kissy Suzuki (Mie Hama) kommt davon, da ihre Vermählung mit Bond in „You Only Live Twice“ nur der Tarnung gilt und sie in Bonds Blick als unterwürfige Japanerin (Beweis für die rassistischen Schemata, auf die 007 im Notfall zurückgreift) keine emotionale Gefahr für ihn darstellt.
Wie in vielen Krankheitsbildern wird auch Bonds Pathologie im Lauf der Zeit markanter, so dass die letzten Filme, wie der bereits erwähnte „Quantum“, besonders deutlich Bonds Wahn darstellen. In „Casino Royale“ ist es das Ende von Vesper Lynd, für die 007 seinen Beruf aufgeben wollte, das besonders verdeutlicht, wie gemeingefährlich der Schatten-Bond unter der Schale des kessen Lebemannes ist: Als sie in Venedig mit der Fahrstuhlkabine im Wasser versinkt, schließt sie sich ein, damit er nicht an sie herankommt. Selbst wenn dies wahr sein sollte (wiederum steht uns nur Bonds unzuverlässige Perspektive zur Verfügung, und komischerweise bekommt Bond den Käfig erst auf, als Vesper schon ertrunken ist), wird die furchtbare Wahrheit selbst durch die verzerrte Wahrnehmung hindurch deutlich: Kurz bevor Vesper stirbt, reißt sie die Augen auf, streckt abwehrend die Hand aus und stößt einen letzten, blubbernden Schrei aus. Der Anlass ist klar: In ihren letzten Augenblicken wird die arme Geliebte Bonds wahren Antlitzes gewahr, einer hämisch grinsenden Fratze irrer Mordlust, die sich gleich des weißen Hais bei Spielberg durch die schützenden Metallmaschen hindurchzubahnen droht. Zu sehen ist dies leider nur in ihrem Gesicht, schließlich ist es ja Bonds Perspektive, die der Film vermittelt.
Wie „dezent“ gegenüber „Casino Royale“ fiel noch Bonds erster, tragischer Verlust im Jahre 1969 aus, der bereits hätte Argwohn erwecken müssen und die engen Verknüpfung vom Tod der Frau mit der anscheinenden Involviertheit des mysteriösen Superverbrechers demonstriert, auf dessen chimärenhafte Existenz ich hernach eingehen möchte.
In „On Her Majesty's Secret Service” ist Bond auf der routinierten, unergiebigen Suche nach seinem Alter Ego, dem Verbrecher Blofeld. Wie sehr diese Phantasiegestalt sich abzunutzen beginnt, zeigt der Umstand, dass sich 007 nebenbei in die schöne adlige (!) Tracy Di Vicenzo (Diana Rigg) so richtig verliebt. Diese einschüchternde Frau versucht er in Schach zu halten, indem er über sie bzw. ihren Vater (!) an Blofeld heranzukommen vorgibt. Kaum ist Bond mit Tracy verlobt, wird eine Spur zu Blofeld gefunden. Zuletzt, nach dem Sieg über Blofeld – der mit lauter schönen, unwissenden Frauen die Menschheit zu sterilisieren droht, wogegen Bond im (Schotten-)Rock vorgeht – heiratet 007 tatsächlich, kündigt gar. Woraufhin geradezu zwangsläufig Blofeld wieder auftaucht, um Tracy zu erschießen und zu flüchten.
Diese Version des Hergangs ist äußerst fadenscheinig (natürlich geschieht alles auf einer leeren Landstraße), zumal hier besagter Blofeld seltsamerweise zum ersten und letzten Mal ohne „Tod“ davonkommt. Mich jedenfalls würde es nicht wundern, wenn die Einschüsse in Windschutzscheibe und Stirn der armen Tracy tatsächlich aus Bonds Walther PPK stammen würden …
III. Der Schurke: Phantasieprodukt des Spions
Dass nun ein gerissener und durch seine Branche teilweiser geschützter Serienmörder wie Bond all die Jahre heimlich Menschen töten konnte, mag schrecklich sein, ist aber angesichts all der Jeffrey Dahmers und Henry Lee Lucas’ (nicht verwand mit George) weniger unglaublich als die Tatsache, dass 007 als kleiner Beamter unkontrolliert Abermillionen an Steuergeldern verpulvern darf, um arglose Größen der Wirtschaft und Gesellschaft zu diffamieren, zu ruinieren und ums Leben zu bringen – aber auch, um überlebensgroßen Bösewichtern und Verschwörern hinterherzujagen, die nur in seinem Kopf existierten.
James Bond ist angesichts seiner geistigen Störung bzw. verzerrten Wahrnehmung weniger ein Vorwurf zu machen, als das der Skandal darin liegt, dass ganze Staatsapparate ihm dabei unbekümmert und geradezu skrupellos fahrlässig zu Diensten waren! Und das auf geradezu wahnwitzige Vermutungen und Anschuldigungen hin!
Erinnert sei nur an den unglückseligen zurückgezogen lebenden Meeresbiologen und Reeder Stromberg. Dessen sardinisches Heim wurde auf Bonds Behauptung hin, er stehle Atom-U-Boote mit einem Schiff, um den dritten Weltkrieg anzuzetteln, 1977 torpediert („The Spy Who Loved Me“). Niemandem fiel auf, dass 007 mit einer ähnlichen Geschichte bereits zehn Jahre zuvor Aufmerksamkeit erregte: Von einem ausgebauten Vulkan in Japan aus fange jemand Weltraumkapseln ab, um die Supermächte in einen Konflikt zu treiben („You Only Live Twice“). Selbst die haarsträubende Geschichte, ein Ex-Kollege – nachweislich seit Jahre tot – wolle von Kuba aus mit einer alten russischen Weltraumwaffe den Großraum London elektronisch zurück in die Steinzeit versetzen („Goldeneye“), war nicht Grund genug für eine eingehende betriebsärztliche Untersuchung. Man nahm stattdessen hin, dass mögliche Beweise für diese Räuberpistole nach ausgedehnten Explosionen, die auf Bond selbst zurückzuführen sind, nicht mehr aufzufinden waren. Japanische Ninjas, als Einzige bei diesen drei genanten Fällen als jemand Außenstehendes vor Ort, waren schon allein aufgrund der Sprachbarriere keine hinreichenden Leumundszeugen für diesen Humbug.
Selbst Investmentbanker, die vor der Zeit Pech mit Aktienspekulationen hatten („Casino Royale“), sind vor 007 nicht sicher: „Bond“ als englische Bezeichnung für Obligation oder Anleihe, zeigt, wie sehr der arme LeChiffré unwissentlich dem verrückten Agenten mit seinen unschuldigen Finanzdienstleistungen zu nahe kam. Und besonders versteifte sich 007 auf einen jungen, sportlichen britischen Adligen namens Gustav Graves. Dieser war in Bonds wirrer „Wirklichkeit“ ein kleinwüchsiger, nordkoreanischer Obrist, der sich mittels „Gen-Therapie“ (wiederum: auf Kuba!) mit Bond als Vorbild (!) „verwandelt“ habe („Die Another Day“).
Man kann fast froh sein, dass Bond dem Umweltaktivisten Dominic Greene (Mathieu Almaric, ein Franzose eben) lediglich unterstellt, die Wasserressourcen Boliviens in seine Gewalt zu bekommen. Belege ließen sich dafür natürlich abermals nicht finden, vor allem nicht, nachdem ein neues Ferienressort komplett ruiniert worden ist.
Besonderes Misstrauen hätte jedoch Bonds immer wiederkehrender Widersacher Blofeld erregen müssen. Wie Großpapa Holmes’ Moriarty bewegte der sich zunächst unsichtbar im Hintergrund. Muss das Wort Paranoia hier wirklich fallen? Später wird Blofeld als gesichts- und namenloser Drahtzieher vorgestellt, der nur von hinten („From Russia With Love“) oder von Jalousien verdeckt („Thunderball“) zu sehen ist.
Der Fall ist hier völlig klar: Nachdem Bond diesen seinen ominösen Gegenpart ersonnen hat, ist er schnell gezwungen, ihm auch in leibhaftige Form Gestalt zu verleihen. Es ist daher anzunehmen, dass es Bond selbst war, der auf einem Boot Anweisungen erteilte oder durch Sichtblenden hindurch Gaunertreffen moderierte. Die Informationen aus seinem Amt waren dabei zweifellos hilfreich.
Von da an war es nur ein kleiner Schritt zu jener Verfestigung der Spaltung, die es ermöglichte, dass Bond sich seinem anderen „Ich“, jenem mabusischem „Blofeld“, buchstäblich gegenübersah. Es fällt auf, dass dies in „You Only Live Twice“, „On Her Majesty’s Secret Servie“ und „Diamonds Are Forever“ der Reihe nach immer früher, leichter und routinierter geschah. Im letzten Auftritt gibt es gar mehrere „Blofeld-Doppelgänger“; hinzukommt, dass Blofeld die Identität eines renommierten Industriellen „stielt“ usw. Als Bonds eigener Gegenentwurf ist dieser Blofeld (der übrigens über die Zeit sein Aussehen verändert!) entsprechend verunstaltet bzw. unattraktiv und modisch zurückgeblieben.
Dass Bond dieser Blofeld selbst ist, belegt u.a. das typische blofeld’sche Erkennungsmerkmal: die weiße Katze. Angeblich sieben Mal sei dieser Blofeld in Erscheinung getreten („From Russia with Love“, „Thunderball“, „You Only Live Twice“, „On Her Majesty’s Secret Servcie“, „Diamonds Are Forever”, „For Your Eyes Only” und „Never Say Never Again“). Nun ist dies wenig verwunderlich, angesichts von Bonds Agentennummer, der 007.
Interessanter ist, dass, da man aufgrund der Doppelgängerei in „Diamonds Are Forever“ es zusammen genommen mit acht Katzen zu tun hat. Acht Muschis verweist prompt auf „Octopussy“, Bonds Herzensdame 1984 und dem ersten Abenteuer, das ohne alleinigen Superschurken auskommt. (Ähnliches könnte man freilich bereits für den Film davor, „For Your Eyes Only“ behaupten. Doch da entsorgt Bond per Hubschrauber einen „Blofeld“ gleich in der Vortitelsequenz in einem Industrieschornstein. Es ist davon auszugehen, dass 007 in seinem Wahn dabei einen armen, unschuldigen Rollstuhlfahrer mit Haarwuchsproblemen getötet hat, der arglos mit einer Fernsteuerung auf seinem Schoß zur falschen Zeit am falschen Ort war).
Es ist müßig zu erwähnen, dass ein Oktopus das Zeichen von SPECTRE, der globalen Verbrecherorganisation Blofelds ist. Den Kraken trägt der Anti-Bond denn auch auf seinem Ring. Und ebenso ist zu erwähnen, dass niemand – außer hypnotisch manipulierte Frauen in „On Her Majesty’s Secret Service“ – dieses Phantom Blofeld außer Bond je zu Gesicht bekommen und (dank Bond!) überlebt hat (Irma Blunt aus dem gerade genannten Film kann und muss der Blofeld-Phantasie Bonds zugerechnet werden).
So gesehen ist es auch kein seltsamer Zufall mehr, das Bond gleich zweimal im jeweils selben Sanatorium abgestiegen ist, in dem ein falscher Luftwaffenoffizier für die Entführung zweier atomarer Bomben bzw. Cruise Missiles vorbereitet wird (in „Thunderball“ und „Never Say Never Again“ – zweimal zweimal zwei verweist hier mehrfach und überdeutlich auf die doppelte Persönlichkeit des DOPPEL-Null-Agenten Bond. Weiterhin ließen sich die zwei Schwestern Masterson in „Goldfinger“ anführen, die zwei Auftritte des Beißers „Jaws“ – mit zwei Stahlzahnreihen! –, die zwei homosexuellen Killer in „Diamonds Are Forever“ usw.).
Es ist kurz gesagt kein glücklicher Zufall oder Beweis für die Ermittlungsleistung Bonds, dass er prompt immer da auftaucht, wo Blofeld und die Schurken aktiv werden. Eher deutet alles darauf hin, dass die kriminellen Machenschaften, die zweifelsohne trotz der Übertreibungen von 007 bestehen, auf ihn selbst zurückzuführen sind, ohne, dass er selbst davon eine Ahnung hätte.
Wie gestört James Bond in dieser Hinsicht bereits seit Jahrzehnten ist, lässt sich auch außerhalb seiner selbst zurechtfantasierten Agentenabenteuer ausmachen:
Unter dem Decknamen Sean Connery tötete er in Sidney Lumets „The Offence“ (1972) beim Verhör einen Verdächtigen für ein widerliches Verbrechen, das er selbst begangen hat, und bewies in John Hustons „The Man Who Would Be King“ (1975) tyrannische Ambitionen. Als Roger Moore ließ er seine Spaltung in „The Man Who Haunted Himself“ (1970) unerklärt und doch explizit zu Tage treten.
007 trat überdies unter dem Namen „Timothy Dalton“ nur ZWEIMAL auf, war als George Lazenby Australier (deutlicher geht’s wohl kaum!), und wie er als Pierce Brosnan in John Boormans „The Tailor of Panama“ nach John LeCarré einen kleinen Blick auf seinen wahren Alltag als Geheimagent gestattet, in dem er sich selbst zum Superspion stilisiert, habe ich bereits in dem o.g. Screenshot-Artikel ausgeführt. Erwähnt werden sollte hier allerdings nochmal, dass John Boorman den ebenfalls bereits genannten Film „Point Blank“ inszenierte, in dem laut Sellmann alles nur eine Todesvision des sterbenden Anti-Helden ist.
Schluss
Noch mehr ließe sich hier zum Fall James Bond sagen, doch die Fakten sprechen meines Erachtens soweit für sich, dass die Gefährdung, die von diesem Mann mit der Lizenz zum Töten ausgeht, eindringlich genug erscheint, um die notwendige Behandlung durch kompetente ärztliche Fachkräfte zu veranlassen. Zweifelsohne ist es tragisch. Auch werden einige die Dringlichkeit der Hilfe, die diesem „Helden“ zuteil werden muss, nicht einsehen wollen. „Wie kann das sein?“, „Das ist doch unmöglich?“, „Wir konnten doch nicht so lange getäuscht werden!“ All diese Regungen sind verständlich, die Verwirrung und der Zorn nur natürlich, das Händeringen und Haare Raufen. Doch nur, weil er uns auf der Leinwand und dem Fernsehen solche Freude bereitete, dürfen wir nun nicht den Kopf in den Sand stecken. Um James Bonds und unser aller Willen.
Im Übrigen möchte ich Sie bereits auf den nächsten Fall hinweisen, bei dem es um die unglückliche Wahrheit der verzerrten Weltdeutung von Darth Vader geht.