Filmfest München 2010: Ein Anfang mit „Me Too – Wer will schon normal sein“
Nach – nein: während dem Ludwigshafener Filmfestival fängt schon das Münchner Filmfest an. Mit Andreas Rauscher und Harald Mühlbeyer covert Screenshot ab morgen, 25. Juni, das große Sommerfestival an der Isar: mit täglicher Blog-Direktberichterstattung aus München, wo eine Menge hochinteressanter Filme in deutscher Uraufführung auf uns warten.
Zum Eröffnungsfilm „Me Too – Wer will schon normal sein“ von Alvaro Pastor und Antonio Naharro (Originaltitel: „Yo Tambien“) gab es in Frankfurt schon eine Pressevorführung, der Film startet offiziell am 5. August in Deutschland. Und für München ist das auch ein guter Eröffnungsfilm, wenn auch nicht vergleichbar mit der Vorjahres-„Parnassus“-Eröffnung, oder dem Jahr 2008, als der Goldene-Palme-Gewinner „Die Klasse“ eröffnete.
„Me Too“ ist eine Wohlfühl-Liebesgeschichte mit dem gewissen Kniff. Es geht nämlich um Daniel, den ersten Down-Syndrom-Behinderten mit akademischem Diplom im Europa – gespielt von Pablo Pineda, der tatsächlich als erster Mensch mit Down-Syndrom ein Diplom erhalten hat. Daniel beginnt zu arbeiten in der Ministrialabteilung für Menschen mit Behinderung, und mit schönen kleinen Details beschreiben Pastor und Naharro, wie Daniel von anderen behandelt wird: betulich, von oben herab, überfürsorglich, sorgsam darauf bedacht, ihn, den Behinderten, einerseits nicht zu überfordern, ihn andererseits gleich zu behandeln; im Grunde wird er mit kleinen Gesten, mit gewählten Worten genau dadurch diskriminiert, dass er krampfhaft nicht diskriminiert wird.
Auch Kollegin Laura weiß nicht so recht, wie sie locker mit Daniel umgehen soll; trotzdem entwickelt sich zwischen beiden eine Freundschaft, die von Daniels Seite aus gerne auch mehr sein könnte. Ihr Näherkommen: das beschreibt der Film ganz behutsam; wobei gerne die Charakteristik der beiden noch schärfer hätte herausgearbeitet werden können: Wie Daniel einfach dazugehören will, als Normaler betrachtet werden möchte, das ist schon klar – der Filmtitel sagt es ja auch, wenn auch seltsamerweise auf englisch –, doch Laura wird als eine Art Gegenstück eingeführt, die sich abheben möchte, die sich störrisch der Anpassung widersetzen soll. Wobei diese kleine Rebellion sich vor allem darin ausdrückt, dass sie im Büro manchmal keinen BH trägt, dass sie gefrustet ist von allzu pauschalen und dadurch ungerechten Vorschriften, dass ihre Haare blondiert sind, und dass sie oft genug sich nächtens mit fremden Männern einlässt, was ihr im Kollegentratsch den Ruf der Büroschlampe einbringt. Das ist nicht viel an Rebellion, und nicht sehr außergewöhnlich, zumal diese Unangepasstheit, die an sich keine ist, im Film erklärt wird durch Lauras schwieriges Verhältnis zu ihren Brüdern, vor allem zum Vater, der gerade im Sterben liegt.
Ein zweites ist, dass der Film allzu oft den naheliegenden Weg geht, dass er in seiner Dramaturgie, im Aufbau seiner Szenen, in der Auswahl seiner Filmbilder nichts Überraschendes, nichts Raffiniertes aufweisen kann. Andererseits: wenn der Film zwar offensichtlich nach bekanntem Schema vorgeht, aber dennoch als Geschichte funktioniert, als Geschichte einer Freundschaft und Liebe über die Grenzen des „Normalseins“ hinweg, dann haben die Filmemacher eben doch etwas richtig gemacht.
Zwar postuliert Daniel gleich am Anfang, als ersten Satz, eine Art Motto, das das Schlimmste befürchten lässt: „Gesellschaften, die Minderheiten ausgrenzen, sind verstümmelte Gesellschaften“ – ein agitierendes Traktat ist der Film gottseidank nicht geworden, sondern eben doch ein rührender, auch witziger, durchweg solide inszenierter Sommerfilm.
Harald Mühlbeyer
„Me Too – Wer will schon normal sein“
Regie, Buch: Alvaro Pastor, Antonio Naharro.
Mit Lola Dueñas (Laura), Pablo Pineda (Daniel) u.a.
Länge: 103 Minuten.
Verleih: Movienet.
Kinostart: 5. August 2010.