Festival des deutschen Films, Ludwigshafen: Eröffnung mit "Erntedank"

Es ist wieder so weit: Auf der Parkinsel in Ludwigshafen stehen die Zelte, es ist wieder Festivalzeit. Zum sechsten Mal inzwischen werden hier, unter alten Bäumen, am Rheinstrand, im Sommer, deutsche Filme gezeigt, laut Veranstalter das Beste, was der Jahrgang hergegeben hat. Das sind nicht nur neue Filme, da wird auch gerne etwas gezeigt, was schon im Kino oder im Fernsehen gelaufen ist - es geht um die Qualität, darum, dass es Michael Kötz, dem Festivalleiter, und seinem Auswahlteam um Josef Schnelle, Rüdiger Suchsland, Günter Minas und Julia Teichmann gefällt.

Für einen Festivalhopper wie den Verfasser dieser Zeilen ist das letztendlich nicht sehr ergiebig, vieles hat er schon auf diversen anderen Festivals gesehen; und auch die Programmschienen sind nicht sehr festivalhockerfreundlich, in Timeslots von zwei Stunden werden die Filme gepresst, so dass man von den Filmgesprächen mit den Filmemachern gar nichts mitbekommt. Dabei sind die Veranstalter genau darauf doch so stolz, dass so viele Gäste da sind, die man mit Fragen löchern kann - wäre da eben nicht der dringende Kinotermin mit dem nächsten Film... Noch dazu sind die Filme in den beiden Kinozelten um eine Stunde gegeneinander verschoben, so dass man nicht flüssig wechseln kann: man ist eben letztendlich doch an einen Ort, an eines der beiden Zelte gebunden, wenn man so richtig Festivalatmosphäre haben will; das, was ich darunter verstehe: Film auf Film auf Film, möglichst vier, fünf Stück am Tag, gerne auch mehr.

Andererseits ist es eben doch ein tolles Festival, genau das, was Ludwigshafen braucht, hier, im Park am Rhein, am schönsten Ort von LU, wie Oberbürgermeisterin Eva Lohse betonte - was an leider, leider nicht viel heißen will, in diesem Fall aber eben doch etwas Besonderes ausdrückt. Ja, dort im Grünen ist es wirklich schön, Kino in Zelten hat auch was - wenn's nicht zu schwülheiß wird -; und die Filmauswahl ist schon richtig. Da gibt es tatsächlich hervorragende Filme, die nun, im Rahmen des Festivals, auch ein größeres Publikum bekommen (wobei da schon wieder ein bisschen Wehmut aufkommt, dass gute Filme immer einen Eventcharakter um sich herum haben müssen, damit sie wahrgenommen werden...)

Da läuft etwa "David Wants to Fly". Da laufen "Schwerkraft", ein witziger Thriller um Fabian Hinrichs, der seinen Job bei der Bank nutzt, um mit Ex-Studienfreund Jürgen Vogel bei den Kunden einzubrechen; "Renn, wenn du kannst", eine wunderbare Dreiecks-Liebesgeschichte um Rollstuhlfahrer, seinen Zivi und eine junge Hübsche; "Im Schatten" von Thomas Arslan, ein wirklich kluger, spannender Gangsterfilm, der ganz ruhig das schlichte Handwerk des Verbrechens zeigt. Und auch "Die Fremde", ein Drama um Ehrenmord, für das Sibel Kekilli einen Deutschen Filmpreis bekommen hat, ist nicht schlecht; Oskar Roehlers "Jud Süß - Film ohne Gewissen" funktioniert zwar nicht so recht, weil er zwischen konventioneller Filmbiopic-Dramaturgie, nachgespieltem "Jud Süß"-Remake und Nazigroteske schwankt, immerhin aber wird hier mit Ferdinand Marian auch einer der großen, wiewohl verfemten deutschen Schauspieler gewürdigt. Und auch "Die zwei Leben des Daniel Shore" ist empfehlenswert, ein spannend-mysteriöses Stück, das vielerlei Deutungen zulässt - empfehlenswert vor allem für Zuschauer mit schwacher Blase, die drei Minuten vor Schluss rausmüssen - die Auflösung, die da angeboten wird, zieht den ganzen Film runter.

Am Mittwoch nun wurde eröffnet, leider im nicht ausverkauftem Kinozelt; dafür mit einem Film, der durchweg überzeugen konnte. "Erntedank. Ein Allgäukrimi" unter der Regie von Rainer Kaufmann wurde vom Bayrischen Rundfunk produziert, ist ein reiner TV-Film, der wohl auch schon mal gesendet wurde. Doch abgesehen davon, dass die Festivalmacher ab dem nächsten Jahr ohnehin vorhaben, Fernsehfilme prominenter im Programm zu installieren, und diesen Film quasi als Vorgeschmack gleich zur Eröffnung ausgesucht haben: Da sind durchaus Kinoqualitäten drin, wenn man den Blick für Details, den Reichtum an kurzen Blicken auf den Rand des Geschehens, die Vielfalt der Charaktere und ihrer jeweiligen kleinen Nebenhandlungen, die Kraft der Bilder und die Eigenwilligkeiten in den Figurenzeichnungen als "Kino" bezeichnen möchte, im Gegensatz zum Fernsehen, wo oft genug Filme (auch sogenannte Qualitätsprodukte der Tatort-Reihe) so inszeniert sind, dass man auch beim Wäscheaufhängen, Bügeln, zwischendurch aufs Klo gehen noch alles mitbekommt, nichts verpasst und trotzdem eine dreiviertel Stunde vor dem Kommissar weiß, wer der Täter war.

Was soll ich sagen: In "Erntedank" wird gar die ganze Zeit über schwerster Dialekt gesprochen! Und nicht der typisch bayrisch-menschelnd-grantelnde Dialekt, sondern Kemptener Schwäbisch, derb genug, herzlich auch, vor allem authentisch, so dass Zuschauer aus dem Norden mitunter doch gefordert sind.

Es ist die Verfilmung eines der Romane von Michael Kobr und Volker Klüpfel um den Allgäuer Kommissar Kluftinger, den Herbert Knaup ganz großartig verkörpert: mit Wanst, in Loden, behäbig, immer auf der Suche nach Essbarem, immer Knausrig, ein urtümlicher Typ, durch und durch provinziell, der mit neumodischem Zeug wie Computer und Internet nichts anzufangen haben möchte; ein Spießer in der Hauptrolle, der sich auch nicht sonderlich anstrengt, seine beiden Mordfälle unbedingt lösen zu müssen: da wurde einer gefunden, auf dessen Leiche eine Krähe drapiert war, eine andere wurde ritualhaft ins Wasser gelegt: offenbar geschahen die Morde nach alten Allgäuer Sagenmotiven. Nicht, dass es Kluftinger gleichgültig wäre: Aber seinem Naturell gemäß lässt er es halt ruhig angehen. Vor allem, da er auch noch andere Probleme hat: Die Obstkisten voll mit Äpfeln zum Küfer bringen, zum Beispiel, um guten Apfelmost draus machen zu lassen. Oder der Wasserrohrbruch im Keller, wegen dem er mit seiner Frau bei ungeliebten Freunden - Yoga! Vegetarisch! - unterkommen muss.

Der Film ist skurril genug inszeniert, um größtmöglichen Spaß zu machen; und spannend genug, um dennoch als veritabler Krimi zu gelten. Keine überdrehte Absurderie wie in den österreichischen Brenner-Verfilmungen; aber genug witzige Frische, um jeden deutschen Normalo-Fernsehkrimi in die Tasche zu stecken.

Leider bleiben mit auf diesem Festival nicht so viele Filme übrig, die ich noch nicht gesehen habe / die mich ausreichend interessieren. Aber drei, vier werden es schon noch sein. Und nach dieser Eröffnung freue ich mich richtig drauf.

Harald Mühlbeyer