Filmfest München 2010 – Zweimal sowas wie ein Making of

"Let me tell you how it will be;
There's one for you, nineteen for me.
'Cause I’m the taxman,
Yeah, I’m the taxman."



--- ah huch, nein, das sind nicht die Rolling Stones, das sind die Beatles 1966 - erst 1971 traf der Höchststeuersatz von 95 Prozent die Stones mit voller Wucht, die Folge: Exil im schönen Südfrankreich. Dort entstand in jenem magisch-geheimnisvollen Sommer das Doppelalbum "Exile on Main St.", eine Rückkehr zu rauem Blues, weg von der Hitmaschinerie, die die Stones inzwischen geworden waren. Nun sind viele Stunden Filmmaterial über jene Monate aufgefunden worden - oder vielleicht besser: die Stones haben sie freigegeben, und Regisseur Stephen Kijak hat daraus eine Art einstündiges Making of des Albums kompiliert: "Stones in Exile". Fotos, Film, die Musik und Interviews der Beteiligten geben einen Eindruck vom kreativen Prozess.

Im Keller von Keith Richards Villa nahmen sie die Songs auf, dazwischen gab es reichlich Parties, eine Menge Drogen, zwischendurch heiratete Mick seine Bianca, und weiter gings mit Drogen, Parties und ab und an Musikaufnahmen. Nunja: Die Drogen kommen vor, die Parties werden erwähnt - aber so richtig die Dekadenz dieser Band in diesem Sommer, die libertinäre Anything Goes-Einstellung der Rockmillionäre kommt nicht rüber - vermutlich wurde das wirklich freizügige, anstößige Material nicht benutzt. Das Weglassen des Anrüchigen ist natürlich legitim - es geht ja auch um die Neu-Promotion der Platte. Die Wirklichkeit dieser Zeit, die tatsächliche Atmosphäre dieses Stones-Sommers in Südfrankreich kann der Film damit allerdings nicht einfangen.

Dagegen konzentriert sich Kijak auf die Musik, die da entstand, dient damit wiederum dem Aufbau des Stones-Mythos - die ihre Songs einfach so erschaffen, aus dem Nichts heraus entwickeln, weiterbasteln, herumfeilen, bis sie perfekt sind. Toningenieur Andy Jones fasst es zusammen: Tagelang spielen die Stones ziemlich schlecht; dann, irgendwann, sehen sich Richards und Watts an, Wyman hebt seinen Bass um einige Winkelgrad an, und sie legen los: der Moment der Genialität.

Darum geht es auch Richard Linklater in "Me and Orson Welles". Das ist sozusagen ein fiktives Making of der legendären "Julius Caesar"-Inszenierung von Orson Welles mit seinem Mercury-Theatre in New York 1937 - erzählt aus der Sicht des siebzehnjährigen Highschoolschülers und hoffnungsvollen Jungschauspieler Richard (Zac Efron), der per Zufall eine kleine Rolle im Stück ergattert. Der Moment der Genialität und das lange, mühsame Ringen um diesen einen großen Augenblick beschreibt der Film - und sehr genau die Persönlichkeit des erst 22jährigen Welles, der imposant ist, eloquent, witzig, genial, schnell, clever und selbstbezogen, arrogant, hochfahrend, aufbrausend, anmaßend: eine schillernde Persönlichkeit, im Grunde wie der junge "Citizen Kane", mit der Richard sich auseinandersetzen muss. Um die Gunst, in dem Stück mitspielen zu dürfen, um die Gunst auch der schönen Sekretärin/Managerin Sonja (Claire Danes).

Linklater inszeniert mit viel Witz und Gespür für seine Charaktere - wie immer eigentlich -, und so gelingt es ihm tatsächlich, einerseits eine anrührende Coming of Age-Geschichte zu erzählen, andererseits Orson Welles zu zeigen, der auf einer Welle der Kreativität und der Selbstgefälligkeit reitet - mit vielen kleinen Anspielungen auf Welles' eigene spätere, tragische Karriere, als ihm nach "Kane" ungefähr alles von Produzenten und/oder Zeit- und Geldmangel behindert wurde.

Harald Mühlbeyer