Festival des deutschen Films, Ludwigshafen: "Waffenstillstand"

Kollege Bernd Zywietz hat schon über Lancelot von Nasos Irakkriegsfilm "Waffenstillstand" geschrieben - der Film ist auch auf dem diesjährigen Saarbrückener Max Ophüls Preis gelaufen. Bernd Zywietz fand den Film , Zitat: "Nicht so doll". Im Gegensatz zu mir.

Ich finde es einerseits ohnehin erstaunlich, dass der Film überhaupt produziert und gedreht wurde. Nicht nur, weil beim Dreh in Marokko eine Menge schief ging - von Naso konnte in Ludwigshafen einiges erzählen von wochenlangen Regenfällen in der Wüste, von Krankheiten und Unfällen -, sondern auch, weil mit diesem Film bewiesen ist, dass man etwas auf die Beine stellen kann, was nicht dem oft genug etwas beschränkten Geist der Redaktionen entspricht: laut von Naso wurde ihm angetragen, als Debütfilm nach Filmhochschulstudium doch lieber eine Komödie über Zigarettenschmuggler an der polnischen Grenze zu drehen, also etwas, was näher an seiner Lebenswirklichkeit sei. Womit von Naso einige Lacher im Publikum des Filmgesprächs erntete, was aber andererseis auch bezeichnend ist für die Schwierigkeiten, in Deutschland etwas zu produzieren, was gewagt ist, was durchaus schiefgehen kann, womit man auch Leuten auf die Füße tritt.

Von Naso geht in seiner Geschichte in den Irak, wo an Karfreitag 2004 in Bagdad die Kunde aufkommt, im umkämpften Falludscha gebe es eine eintägige Waffenruhe. Eine Organisatorin einer Hilfsorganisation macht sich auf, in einem klapprigen Kleinbus, zusammen mit einem Arzt aus Falludscha und zwei Journalisten, eine Reise durch ein feindliches Land, wo überall geschossen werden kann: von irakischen Rebellen ebenso wie von US-Soldaten, und es geht mitten hinein in den Brennpunkt des Krieges, wo ein labiler Waffenstillstand eher der Tinte auf dem Papier als dem Bleigehalt der Luft nach besteht. Das ist der durchaus realistische Hintergrund des Films, alle Fakten wurden genau recherchiert, und darüber legte von Naso seine Geschichte von vier, fünf Menschen in einem Bus: Kim (Thekla Reuten), die unbedingt Medikamente nach Falludscha bringen will, Alain, der Arzt (Matthias Habich), der zynisch und desillusioniert ist und nicht mehr zurückwill ins Kriegs- und Hilfsgebiet, Oliver, der junge, heiße Reporter (Maximilian von Pufendorf), der mit der Falludscha-Exklusivstory eine große Chance wittert, Ralf (Hannes Jaenicke), sein Kameramann, der schon zuviel gesehen hat.

Mit diesem Personal - der irakische Fahrer kommt noch dazu - baut von Naso seinen Spannungsbogen: und der ist durchaus genregerecht und zuschaueraffin (was Kollege Zywietz in seiner Kritik bemängelt). Doch das macht von Naso sehr geschickt: eine durchweg filmische Geschichte auf realpolitischem Hintergrund zu erzählen, jeder seiner Figuren einen kleinen Subplot, eine Backstory zu verleihen, die angedeutet, aber nicht auserzählt wird, mit kleinen Spannungsmomenten innerhalb eines größeren Suspenserahmens zu spielen: kurz, eine Film-Geschichte zu erzählen, die packt, die mit auf den Genrekonventionen aufbaut und mit ihnen spielt, die sich aber nicht aufs Klischee einlässt, sondern immer wieder kleine Haken und Schlenzer einbaut, die das Hergebrachte neu und anders erscheinen lässt. Wobei die großen Themen, die der Film anspricht, nicht vergessen werden: Etwa die Situation von Kriegsberichterstattern, die von den Militärs mit vorgefertigten Statements abgespeist werden, die andererseits auch um die Aufmerksamkeit ihrer Zuschauer buhlen müssen und deshalb lieber vom xten Selbstmordanschlag berichten, als komplexe Hintergrundanalysen zu liefern. Oder die Hilfsorganisationen, bei denen jeder Idealismus der Mitarbeiter verschliffen wird; wo sich die Helfer mit den politisch-militärischen Gegebenheiten reiben und auch im Dilemma stecken: Wieweit kann man andere für seine Zwecke einspannen, wenn es um größere Ganze, ums größere Gute geht, das aber ohne höchstes Risiko nicht zu haben ist?

Da von Naso selbst keine Erfahrung hat mit Krieg, Kriegsberichterstattung oder aktivem Helfen, beschränkt er sich klugerweise auf die mitteleuropäische Perspektive, zeigt den Irak aus der Sicht dreier europäischer Protagonisten, die sich auch gegenseitig widersprechen, die aber gerade dadurch die Komplexität des dortigen Krieges umspannen: nein, es geht weniger um die Frage, was der Krieg soll, was er mit den Irakern macht, ob die Amis dort überhaupt jemals hätten reingehen sollen. Es geht darum, wie mit diesem Krieg umgegangen wird, in den Medien, in den NGOs, und im Grunde, durch die reine Existenz dieses Filmes, auch darum, wie man davon in fiktiven Geschichten erzählen kann - ein Tipp: auf keinen Fall so, wie es Brigitte Bertele mit "Nacht vor Augen" tut, einem entsetzlich oberflächlichen und unbedarften Film über einen zurückgekehrten Afghanistansoldaten, der, horribile dictu, tatsächlich diverse Preise eingeheimst hat.

Auch "Waffenstillstand" ist preisgekrönt, zurecht, und natürlich ist er bei seinem Kinoeinsatz durchgefallen. Keiner wollte den Film sehen - er hatte auch viel zu wenige Kopien, ein viel zu kleines Werbebudget, um etwa gegen den zeitgleich gestarteten Matt-Damon-im-Irak-mit-seinem-Bourne-Regisseur-Kriegsdrama "Green Zone" anzukommen (der freilich auch nicht so dolle lief). Andererseits: Gute Filme mit dem Thema aktueller Kriege und ihrer Auswirkungen sind oft Schläfer, die zu Anfang unbeachtet bleiben, bis ihre Regisseure, beispielsweise, einen Oscartriumph vorweisen können. "Waffenstillstand" könnte ja zum Beispiel, um einen Anfang zu machen, im ZDF um 20.15 Uhr zu sehen sein, wenn auch die übrigen Kleinen Fernsehspiele spät nachts versendet werden - die schönen großen orangenen Mikrophone des Senders werden von den Reporterfiguren ja oft genug in die Kamera gehalten.

Übrigens, kleine Anekdote: "Waffenstillstand" sei, so von Naso im Filmgespräch, den Postkutschenwestern à la "Stagecoach" nachempfunden - Genre also, aber neu und frisch und relevant fürs heute erzählt. Was bei einem der Zuhörer die Frage aufwarf, ob von Naso sich denn auch an Romeros "Diary of the Dead" habe inspirieren lassen, es gebe da einige Parallelen... Er kenne den Film nicht, antwortete von Naso, und Dr. Josef Schnelle, gar nicht helle, wollte hilfreich einspringen: der Film heiße eigentlich "Dawn of the Dead" - große Lacher im Publikum, und die Erkenntnis, wieder mal, dass Schnelle bei seinen Leisten bleiben sollte.

Harald Mühlbeyer