Filmfest München 2010 – Thriller aus Polen


In aller gebotenen Kürze - da in einer Stunde die heutigen Pressevorführungen beginnen - sei auf "Dom Zly" ("The Dark House") von Wojciech Smarzowski hingewiesen, der wohl ziemlich einmütig in Polen als Film des Jahres 2009 ausgemacht wurde: ein Thriller, der im Polen der Jahre 1978 und 1982 spielt, auf zwei Zeitebenen also die Geschichte eines (bzw. mehrerer) Verbrechen aufrollt (wenn auch nicht so richtig aufklärt).

Zuerst sieht man Polizisten warten, im Schnee, aus einer Plastiktüte werden Zigaretten verteilt - die offenbar beschlagnahmtes Beweismaterial sind -, und wenn dann aus dem nächsten Polizeiwagen eine schwangere Polizistin steigt, ist das natürlich eine Verbeugung vor "Fargo". So viel Wodka, wie die Protagonisten, vor allem die Staatsdiener, in diesem Film kippen, das ist schon eine Geschichte für sich.

Die Polizisten wollen mit ihrem Verdächtigen eine Tatortbegehung durchführen, in einem kleinen Farmhaus, wo sich vier Jahre zuvor grässliche Morde abgespielt haben. Mit modernsten Ermittlungsmethoden - eine stumme Filmkamera! - wird rekonstruiert, was sich abgespielt hat, und da geht der Film dann in Rückblenden zurück und erzählt die Geschichte von Edward Srodon, der in regnerischer Nacht zu dieser Farm kam. In der folgenden feucht-tragischen Nacht werden unter anderem eine Menge selbst-/schwarzgebrannter Wodka, ein paar Geldbündel und eine Axt eine Rolle spielen... Wobei der Film höchst geschickt nur ganz langsam enthüllt, was eigentlich passiert ist, worum es geht, und die Informationen genau dosiert dem Zuschauer darbietet. Und geschickt zwischen den Zeitebenen wechselt: Das Verbrechen selbst und seine Rekonstruktion - wobei raffinierterweise in dieser Ebene die Aufklärung hintansteht, weil erstens Wodka, zweitens Vertuschung von gewissen Korruptionsaffären, drittens die Frage, ob das nun als reiner Kriminalfall oder nicht doch politisch zu sehen sei, viertens diverse Verleumdungen und Denunziationen im Kollegenkreis, fünftens auch noch persönliche Beziehungen/Probleme/Prügeleien zwischen den Polizisten - finden Sie selbst ein passendes Satzende.

Denn der Film würde nun auch wieder zu etwas anderem schneiden, das die Geschichte weiterbringt, er kennt kein Innehalten, keine Zeit für Langatmigkeit und redundante Erklärungen: das Verbrechen von 1978 ist schließlich auch für sich ein Fall, der einen ganzen eigenen Film hätte ergeben können - und der, das erklärte Regisseur Smarzowski nach der Vorführung, tatsächlich in gewisser Weise auf einem Fernsehspiel aus den 70ern basiert titels "Die Überraschung". Und er fügte noch ein paar Ebenen zu, was Geschichte, Dramaturgie, Zeit angeht - denn klar, die Vorgesetzten sind alle angespannt wegen der Solidarnosc-Bewegung, da darfs keinen Makel in den Ermittlungen geben - keinen, der kommunistische Funktionäre betreffen oder irgendein schlechtes Licht auf die offizielle Politik werfen könnte, weshalb einiges unter den Teppich gekehrt werden soll...

Ein durchweg vielschichtiges, höchst spannendes Werk ist das, ein Thriller, wie man sich ihn wünschen kann; der durchweg stringent erzählt ist, und bei dem zugleich gar nicht alles erklärt werden soll: denn eine Wahrheit gibt es nicht.

Harald Mühlbeyer