DVD: "The Blue Dahlia" und "The Black Angel" - Film Noir Collection (Screenshot Classics

Die Film Noir Collection von Koch Media


"The Blue Dahlia" / "Die blaue Dahlie"
USA 1946. Regie: George Marshall.

"The Black Angel" / "Schwarzer Engel" / "Die vergessene Stunde"
USA 1946. Regie: Roy William Neill.



Über den Film noir kann man sich den Kopf zerbrechen; manche Filmwissenschaftler schlagen sich denselbigen sogar gegenseitig ein. Doch jenseits von Diskussionen über (zum Beispiel) Genre, Stilform, Ästhetik oder einen Kanon der Noir-Filme weiß man halt doch, was dazugehört und was nicht; auch wenn’s nicht immer ein sogenannter Klassiker ist.
Eher unbekannte Filme bietet die Film noir-DVD-Serie von Koch Media, in der bisher drei Filme erschienen sind; vielleicht werden es irgendwann noch mehr. Zwei der Filme lagen zur Rezension vor, „Die blaue Dahlie“ und „Schwarzer Engel“ (der auch den deutschen Titel „Die vergessene Stunde“ hat).

Beide demonstrieren, wie sehr der Film noir auf Brüchen, genauer: auf Traumata beruht. Traumatisierte Personen stehen im Mittelpunkt; und es lassen sich Bögen spannen zur historischen Genese der schwarzen Hollywoodserie.
Mehrere Wege führten zum Noir: Da sind die europäischen Exilanten mit ihren durchbrochenen Biographien, die aus politischen Gründen die Ufa in Richtung Hollywood verlassen mussten. Da ist die Erfahrung von Kriminalität und Gewalt im Amerika der 20er und 30er Jahre, die alltäglich wurde mit der Prohibition, weil halt jeder gern was trinkt, auch wenn’s verboten ist (und jeder Noir-Held hat Alkohol statt Blut in den Adern); eine Zeit, in der die Gangster aufkamen ganz real und als Mythos, in der sich ein eigenes Filmgenre heranbildete mit den Bösewichtern als Hauptfiguren. Da ist das Bewusstsein vom jederzeit möglichen sozialen Abstieg, der in der Weltwirtschaftskrise evident wurde und in den 30ern nie richtig gebannt wurde. Und natürlich die Kriegsjahre in den 40ern, die weltumspannende todbringende Gewalt, die potentielle Verwundbarkeit der US-Nation, die Männer, die weit entfernt von der Heimat gegen das absolut Böse, gegen Schlitzaugen und Krauts, kämpfen müssen – und die Frauen, die daheim den Laden schmeißen und die daher ein neues Selbstbewusstsein, eine neue Unabhängigkeit aufbauen. Das alles floss in den Noir ein – in der „Blauen Dahlie“ und im „Schwarzen Engel“ materialisiert sich dieses Sich-Neuformen der nationalen Seelenlage auf frappante Weise.

Zudem bezeugen diese Filme, dass die Wurzeln der Schwarzen Serie im literarischen Untergrund der hardboiled-Krimis liegen: „Schwarzer Engel“ beruht wie die meisten Noirs auf der Vorlage eines hardboiled-Autoren, in diesem Fall Cornell Woolrich; der „Blauen Dahlie“ liegt zwar ein Originaldrehbuch zugrunde – das aber von Raymond Chandler stammt.

Chandler ist ein Meister des Dialogs: „Mister, you got the wrong lipstick on“, sagt der gehörnte Ehemann und – bamm! – eine schallende Ohrfeige für den Rivalen – heißt im Deutschen bloß: „Sie haben sich wohl in der Adresse geirrt“. (Ohnehin ist hier die Synchronisation ein Meisterwerk der Verfremdung durch Unbeholfenheit: „Are you gonna answer that door or let them break it down?“ sagt der Held zum Schurken, als die Türklingel summt; im Deutschen, hihihi: „Antworten Sie, oder ich falle mit der Türe ins Haus.“)

Chandler ist aber auch ein Meister in der kunstvollen Verwirrung, in der formvollendeten Plotverrenkung. „Wenn du nicht mehr weiterweißt, lass einen Mann mit Pistole zur Tür reinkommen“, ist ein chandlersches Bonmot, und in diesem Fall hat er wohl einige Male nicht mehr weitergewusst und einfach was ganz Neues angefangen – und doch alles bis zum Ende hin aus- und durchgeführt.

Kriegsheimkehrer: das thematisiert der Film ganz explizit. Johnny Morrison kehrt aus dem Pazifikeinsatz zurück, findet den Sohn tot und die Frau im Mittelpunkt nicht nur einer rauschenden Party, auch der Aufmerksamkeit des zwielichtigen Nachtklubbesitzers Harwood. In der Nacht ist die Frau tot, Morrison auf der Flucht – wo er zufällig Harwoods Frau Joyce trifft, die aus ihrer Ehe abgehauen ist. Morrison ist nun mordverdächtig, seine Kriegskumpel – darunter der traumatisierte Buzz, der eine Metallplatte im Schädel hat und bei monkey music (deutsch: Mulattenmusik) ganz verrückt wird – suchen ihn ebenso wie die Polizei, ein erpresserischer Hoteldetektiv spielt auch noch mit ebenso wie Harwoods rechte Hand Leo.

Da ist das verruchte titelgebende Nachtlokal mit der jazzigen Affenmusik; ein heruntergekommenes Hotel mit kleinen Gaunern und einem sehr neugierigen Portier; die Vergangenheit, die in Form einer abgelegten Identität wieder auftaucht; eine Mordnacht im Regen mit vielen Verdächtigen. Da ist Veronika Lake, die sich spitzige Dialogduelle mit Alan Ladd liefern darf – beide ohnehin ein Darstellerpaar mit der gewissen Chemie, die sich in insgesamt sieben gemeinsamen Filmen beweisen durfte. Da ist diese Metallplatte, die nicht nur pochende Kopfschmerzen bei rhythmisierter Musik verursacht, sondern auch Gedächtnislücken und wer weiß was für körperliche Aussetzer.
Und da ist diese einsamen Hütte im Wald, wo die intensivste Szene des Films spielt: zwei Ganoven haben Morrison entführt, er, der Kriegsheld, kämpft mit ihnen, und man spürt die Schmerzen, die Brutalität, das ist keine einfache Filmschlägerei, da geht’s richtig zur Sache, trocken und brutal (was ja jüngst im letzten Bond-Film hoch gelobt wurde). Und danach ist der Held K.O., Leo, der Oberganove, pflegt seinen von einem Tisch zerquetschten Fuß – und schlägt den Komplizen nieder, als der dem Opfer die Taschen leert: „There’s ethics in this business the same as any other“. Dann würgt der Gefesselte den Schurken, ganz langsam, ganz kaltblütig, ganz der Killer vom pazifischen Krieg. Das ist wirklich hart, eine Szene, die die Gewalt des Krieges überträgt auf den heimischen Schauplatz in Hollywood (wo der Film spielt).

Das Ende ist, chandlertypisch, ziemlich egal; die vorhergehende Beschreibung einer verrotteten, gewalttätigen Gesellschaft ist das eigentlich relevante. In der Tat musste Chandler das ursprünglich vorgesehene Ende auf Druck des Studios (und der Navy-Militärzensur in Kriegszeiten) ändern: nicht Buzz, der im heldenhaften Pazifikkrieg Geschädigte, durfte der Mörder sein, Chandler musste einen anderen aus dem Hut zaubern.
Tatsächlich aber trifft diese Auflösung auf vertrackte Weise hinterrücks ins Mark. Nicht nur, weil sie an den Haaren herbeigezogen ist und daher noch einmal die sinnentleerte Atmosphäre des chandlerschen Entwurfs betont, in der es kaum ein Motiv braucht für einen Mord. Sondern auch – und darauf verweist Thomas Willmann in seinem klugen und ausführlichen Essay im DVD-Begleitheft – weil nun die Gewalttätigkeit nicht einfach von den Kriegsschauplätzen importiert wird: „Die Heimat, in die diese Männer zurückkommen, hat es nicht besonders nötig, dass jemand die Gewalt aus Übersee mitbringt. […] Und so hat die Navy ungewollt mitgeholfen, einen anderen Aspekt von Chandlers Vision zu schärfen: Während die Alan Ladds dieser Welt im Ausland gegen das Böse kämpften, hat dieses sich daheim längst bequem breitgemacht.“


„Schwarzer Engel“ ist sicherlich das viel vergessenere Werk – auch wenn die „Blaue Dahlie“ in Deutschland ebenfalls kaum je im Fernsehen läuft und auf jeden Fall auch im Schatten steht von Chandlers anderen Drehbucharbeiten für Wilder („Double Indemnity“ / „Frau ohne Gewissen“) und Hitchcock („Strangers on a Train“ / „Der Fremde im Zug“).

In der Woolrich-Adaption spielen keine Stars mit, der Regisseur Roy William Neill rangiert unter ferner liefen – er hat zuvor ein paar Filme der klassischen Sherlock Holmes-Filmreihe gedreht. Daher überrascht schon der Filmanfang, eine aufwändige Kamerafahrt, in dem die Kamera dem sehnenden Blick von Martin Blair folgt; nein: den Blick begleitet, die Hotelfassade hoch hinauffliegt durchs Fenster in eines der Zimmer, wo Blairs Ex-Frau, die Sängerin Mavis Marlowe, residiert. Eine elaborierte Bewegung, die sehnsüchtige Verbindung ebenso ausdrückt wie unüberwindliche Distanz: die Ex will von Martin nichts mehr wissen und lässt ihn gar nicht mal rein ins Hotel.

In der Nacht dann ist sie natürlich tot, das war zu erwarten. Und ein Schuldiger ist schnell gefunden: Kirk Bennett, mit dem sie eine Affäre hatte. Der wird gefasst und verurteilt und in die Todeszelle gesteckt – und dann erst beginnt der Film so richtig, sich zu entfalten. Er konzentriert sich nun auf Catherine, Bennetts Frau, die ihren Mann retten will – obwohl er sie betrogen hat. Die schnell auf Martin Blair kommt, den sie zunächst für den wahren Mörder hält: Blair ist ein heruntergekommener Alkoholiker, einer, der den Schock der Trennung nicht verarbeitet hat, ein sensibler Künstler, der für seine Mavis einige Hits geschrieben hat; ein Traumatisierter, der nun anders als bei Chandler nicht Neben-, sondern Hauptperson wird. Denn Catherine und Martin verbünden sich, wollen gemeinsam den Täter finden und Kirk entlasten.

Eine ganz perfide psychologische Situation: Martin verliebt sich in Catherine, glaubt, mit ihr seine Ex vergessen zu können, glaubt auch an einen beruflichen Neuanfang mit neuen Songs und einer neuen Sängerin. Und hilft ihr daher bei der Entlastung ihres Ehemannes Kirk Bennett – doch wenn dies gelingt, hat er Catherine wieder verloren an ihren Gatten…

Auftritt Peter Lorre als Nachtclubbesitzer Marko, der ebenfalls was mit Mavis hatte. Und den Martin damals in der Mordnacht gesehen hat, wie er Mavis besuchte… Ihm müssen sie auf die Schliche kommen, heuern bei ihm als Gesangsduo „Martin und Carver“ an und versuchen, an das fehlende Beweisstück – eine Brosche als MacGuffin – in Markos Safe zu gelangen.

Neben die Zwickmühlen-Liebe von Martin zu Catherine stellt sich nun eine zweite, nicht weniger listige Ebene. Nicht nur, dass Marko, der als stadtbekannter Frauenhasser tituliert und damit verklausuliert als schwul charakterisiert wird, sich ebenfalls für Catherine zu interessieren scheint; nicht nur, dass die Polizei, speziell der kauzige Kommissar, locker über allem zu stehen scheint (und dabei an sich gar nicht eingreifen kann, weil mit Kirk Bennett der Mörder von Mavis ja schon offiziell gefasst ist): auch legt der Film falsche Fährten, führt den Zuschauer lustvoll in Sackgassen, breitet ein ganzes Sortiment an roten Heringen aus.

Und führt am Ende doch alles auf einen Punkt zurück, an dem sich Obsession, Trauma, verlorene Liebe, Hoffnung, Aussichtslosigkeit treffen. Was den Zuschauer mit einer gewissen Erschütterung zurücklässt.

Besonders, da der Film über eine weite Strecke – wenn sich „Martin und Carver“ in Markos Nachtklub nicht nur auf Beweissuche begeben, sondern tatsächlich eine neue Karriere im Musikbusiness starten könnten – weniger finster zu sein scheint. Er lässt „seine Charaktere an einem schöneren, besseren Leben schnuppern, um es ihnen umso erbarmungsloser wieder entreißen zu können.“ (Thomas Willmann). „Heartbreak“ heißt das Lied, das Martin Blair einst für Mavis geschrieben hat; das als unendlich weiterspielende Schallplatte den Soundtrack in der Mordnacht liefert. „Heartbreak“ bedeutet das Zerbrechen von Liebe, Hoffnung, Chance auf Neubeginn, auf die Heilung vom Trauma.

Der Kern des Film noir ist das zerbrochene Glück.


Harald Mühlbeyer



"The Blue Dahlia" / "Die blaue Dahlie"
USA 1946. Regie: George Marshall. Drehbuch: Raymond Chandler. Produktion: John Houseman.
Darsteller: Alan Ladd, Veronica Lake, William Bendix, Howard da Silva.

"The Black Angel" / "Schwarzer Engel" / "Die vergessene Stunde"
USA 1946. Regie: Roy William Neill. Drehbuch: Roy Chanslor nach dem Roman von Cornell Woolrich. Produktion: Tom McNight, Roy William Neill.
Darsteller: Dan Duryea, June Vincent, Peter Lorre, Broderick Crawford.

Bonusmaterial:
Jeweils Bildergalerie; Booklet mit einem Essay von Thomas Willmann.
Anbieter: Koch Media.


Die DVDs können Sie bequem in unserem Online-Shop bestellen:

"The Black Dahlia" HIER.

"The Black Angel" HIER.

Nicht besprochen, aber trotzdem bestellbar:
"Spiel mit dem Tode" / "The Big Clock" HIER.