Nippon 2010: „Symbol“, Hitoshi Matsumotos bizarrer zweiter Streich - „Cube“ á la Nippon

“Symbol”, Japan 2009. Regie: Hitoshi Matsumoto


Von der Eiswüste des Südpols („The Chef of South Polar“) in die Wüste Mexikos. Und anstatt dick eingepackter Japaner, die durch die Schneeverwehungen hetzen, jagt hier eine junge Nonne (Adriana Fricke), mit Kippe im Mundwinkel und übergroßer Sonnenbrille auf der Nase, ihren klapprigen Wagen über eine staubige mexikanische Landstraße, als wäre der Leibhaftige hinter ihr her. Die aus dem Autoradio dröhnende Musik schafft den akustischen Übergang zur nachfolgenden Szene, in der die gleiche Musik aus einem Transistorradio blechern in die Wohnstube eines mit allerlei (vorwiegend katholischem) Nippes angefüllten Wohnhauses schallt, in der streitende Kinder von ihrer Mutter gemaßregelt und anschließend in die Schule geschickt werden. Zurück bleiben Mutter, der Großvater – und der merkwürdige, die Zeitung durchblätternde Typ mit der Catchermaske am Esstisch, der kurz darauf von der heranrasenden Nonne, die sich als weiteres Familienmitglied entpuppt, zum heutigen Kampf abgeholt wird.

Nach einem kurzen Geplänkel zwischen Vater (der mit der Maske) und Tochter (die Nonne) über deren neuen Job hellt sich das Bild auf und eine Weißblende führt uns zum zweiten Schauplatz des Film, den zu lokalisieren weitaus schwieriger fällt. Besteht dieser doch zunächst lediglich aus glatten, weißen Wänden, die einen launigen Japaner mittleren Alters (Hitoshi Matsumoto selbst) mit merkwürdiger Topffrisur und schreiend buntem Pyjama beherbergen, der sich – soeben erwacht – fragt, wo und wie zur Hölle er hier gelandet ist. Im folgenden, „The Education“ betitelten Kapitel wird er zunächst feststellen, dass die scheinbar glatten Wände seines Gefängnisses seltsame Erhebungen aufweisen, die sich als, pardon, Puttenpenisse erweisen, deren Besitzer offenbar die Wände bevölkern. Und er wird lernen, dass ein sanfter Druck auf diese schimmernden Geschlechtsteile mit allerlei Gegenständen und Ereignissen ‚belohnt‘ wird, die aus sich öffnenden Klappen herauspurzeln: von einer Zahnbürste, einem Megaphon und einem Bonsaibäumchen über einen aus der einen Wand hervor und in die gegenüberliegende Wand hinein sausenden afrikanischen Läufer bis hin zu einer 3D-Brille und diversen Ausgaben eines Mangas.

Während der Mann in den bunten Klamotten von Penis zu Penis wandert, um einen Ausweg aus diesem wie eine Mischung aus Versuchslabor und Spielzimmer anmutenden Raum zu finden, wird parallel die Geschichte von „Escargot Man“ weiter erzählt, dem Catcher mit einem Herz für Kinder, der sich darauf vorbereitet, zusammen mit seinem Partner in den Ring zu steigen. Wie es Matsumoto anstellt, diese beiden Erzählstränge zusammenlaufen zu lassen, das bizarre Geschehen ins Globale und schließlich ins Kosmische zu wenden, soll und darf hier nicht en detail verraten werden – wahrscheinlich würde man es dem Rezensenten sowieso nicht glauben.

Regisseur (und Hauptdarsteller) Hitoshi Matsumoto, bereits seit 1983 auf Japans Bühnen unterwegs, gilt neben Takeshi Kitano als erfolgreichster Komödiant des Landes. Mit „Symbol“ lieferte er letztes Jahr seinen zweiten Spielfilm ab, nachdem er zwei Jahre zuvor bereits mit „Dainipponjin“ („Der große Japaner“) bewiesen hatte, dass er als Regisseur sich nicht mit Kleinigkeiten abgibt, sondern durchaus ‚Großes‘ vorhat. Mit jenem Film (vor zwei Jahren auf der Nippon Connection vertreten), einer Hommage an die legendären Godzilla-Streifen, in der er wiederum selbst als mittelloser, durch Stromstöße auf das Hundertfache seiner Körpergröße angewachsener Familienvater durch die für ihn winzig gewordenen Straßen stapft und schließlich vom japanischen Verteidigungsministerium zur Monsterjagd eingesetzt wird, war er weltweit bereits erfolgreich in den Kinos unterwegs. Zumindest dort, wo man mit dieser sehr speziellen Art von Humor etwas anzufangen wusste.

Der mit internationaler Besetzung gedrehte „Symbol“ nun mutet wie eine groteske Mischung aus Matsumotos Bühnenshows, Vincenzo Natalis „Cube“ (1997) und „Nothing“ (2003) und den surrealen Welten Jan Svankmajers an, die auf ihre Art wohl einzigartig sein dürfte. Und auch wenn wie im Falle des Vorgängers Matsumotos eigentümlicher Humor vielleicht nicht jedermann/-frau gleichermaßen zu begeistern vermag, wird es zumindest schwierig werden, ein noch skurrileres und aberwitzigeres Stück Film im diesjährigen Programm ausfindig zu machen.


Christian Moises

„Symbol“. Japan 2009
Regie: Hitoshi Matsumoto. Drehbuch: Hitoshi Matsumoto, Matsuyohi Takasu. Kamera: Yasuyuki Toyama.
Darsteller: Hitoshi Matsumoto, David Quintero, Luis Accinelli, Lilian Tapia, Adriana Fricke
Länge: 93 Min.
www.symbol-movie.jp