Nippon 2010: Shuichi Okitas Eröffnungsfilm “The Chef of South Polar” – Hauptsache es schmeckt!

„ The Chef of South Polar (Nankyoku Ryorinin)”, Japan 2009. Regie: Shuichi Okita.


Die Totalen zu Beginn lassen noch einen Thriller vermuten. Männer in dicken Anoraks, die durch die unwirtliche Kälte des Ewigen Eises hetzen, einem Flüchtenden hinterher. Doch als sie ihn erreichen und zu Boden werfen und er sie anschreit, er wolle weg von hier, nichts als weg, mutet das nun folgende Beschwichtigungsangebot doch sehr Thriller-untypisch an: „Let’s play Mahjong!“ Ebenso die kauzigen Typen, die man in der folgenden Einstellung – nun ohne Anoraks – im Inneren der Dome Fuji Forschungsstation beobachten kann, wie sie sich die Zeit totschlagen, mitten in der Antarktis, fernab der Zivilisation, weit weg von Zuhause: mit Mahjong, Seifenopern, Dosenbier – und leckerem Essen!

Shuichi Okitas zweiter Spielfilm „The Chef of South Polar“ (nach „The Wonderful World“ von 2006) basiert auf dem autobiographischen Essay “Fun Days of an Antarctic Chef“ („Omoshiro Nankyoku Ryorinin“) von Jun Nishimura, der darin – wie der Titel bereits vermuten lässt – sehr amüsant von seinen Erlebnissen als Koch einer Antarktisexpedition berichtet. Im Film wird dieser dargestellt von Masato Sakai (bekannt geworden etwa durch seine Rolle in „Atsuhime“ von 2008), dessen fast maskenhafte Mimik, sein aufgesetzt wirkendes Lächeln dieser Figur eine eigentümliche Prägung geben und bereits zu Beginn erahnen lassen, dass dieser Mann nicht wirklich freiwillig an diesem Ort gelandet ist. Nichtsdestotrotz sind es vor allem seine kulinarischen Kreationen, die dem täglichen Einerlei auf der Station seine Struktur und Würze geben.

Und bei dieser Gelegenheit, am Esstisch zusammensitzend, werden auch die acht Männer eingeführt, die hier über ein Jahr zusammen ausharren müssen, um die ihnen zugewiesenen Aufgaben auszuführen. Die tägliche Routine in der Station beginnt frühmorgens mit aus den Lautsprechern schallenden Mozartklängen, welche die schläfrigen Körper der Forscher aus den Schlafräumen in den Flur taumeln lässt, um sich auf den Weg in das winzige Badezimmer zu machen, wo die intimsten morgendlichen Erledigungen unter den Augen der Kollegen zu verrichten sind. Danach das vom Chef de cuisine nach allen Regeln der Kunst zubereitete Frühstück, bei dem kurz die angesetzten Arbeitsziele für den aktuellen Tag verkündet werden, ehe es für die meisten der Männer hinaus in die Kälte geht.

Der unterhaltsame Film lebt – neben der illustren Besetzung – vor allem vom (der Vorlage geschuldeten) Blick für die Details, von der Komik, die aus der Wiederholung und Variation von bereits Etabliertem gewonnen wird, und den absurd anmutenden Situationen, die für Abwechslung im Forscher-Alltag sorgen. Etwa wenn zu einer Synthesizerversion von Wagners „Ritt der Walküren“ auf dem Fahrrad das Tagesmenü verkündet wird. Oder wenn Nishimura den Wunsch der Besatzung nach frittiertem Hummer, dieses kulinarische Sakrileg, mit einer bizarr anmutenden Drapierung der Krustentiere quittiert. Oder wenn ein Steak, das zu groß für die Pfanne ist, kurzerhand mit Spiritus entflammt wird.

Um das für den Film zentrale Thema des Essens, sprich: die von Nishimura zubereiteten Köstlichkeiten ansprechend ins Bild zu setzen, wurden Food Stylist Nami Iijima und Werbemacher Takako Kuretani engagiert, deren Arbeit durch gleitende Kamerabewegungen über die gedeckte Tafel gewürdigt wird. Auch bei der Mannschaft verfehlt die Kunst Nishimuras nicht ihre Wirkung. So steht etwa des nachts einer der Männer vor dessen Tür, um den Schlaf gebracht von der Sorge, die restlichen Monate auf der Station auf die leckere Ramen-Suppe verzichten zu müssen, weil nächtliche Nudeleskapaden zweier Kollegen den Vorrat vorzeitig zur Neigen gehen ließen.

Die existenzielle Tragweite der Abgeschiedenheit, der Trennung von Familie und Lebensgefährtinnen wird dabei eher en passant mitverhandelt, etwa wenn die eigene Frau das Gespräch am Telefon verweigert, als Mato-San (Katsuhisa Namase) von seiner Tochter ein Geburtstagständchen am Telefon erhält. Oder der Jüngste in der Gruppe feststellen muss, dass es immer schwerer fällt, die teuer erkauften Telefonminuten (8 Dollar pro Minute) mit sinnvollem Inhalt zufüllen - bis die Frau am anderen Ende ihm eröffnet, dass sie bereits längere Zeit jemand anderen trifft.

Während der Film unvermittelt am Südpol einsetzt und die restliche Zeit (angezeigt durch die Zahl der verbleibenden Tage auf einer immer wieder ins Bild gesetzten Tafel) bis zur Rückkehr in die Heimat erzählt (inklusive einer kurzen Koda), erhellt eine durch eine Erinnerung Nishimuras initiierte Rückblende dessen Vorgeschichte. So wird klar, dass er diesen Posten dem unglücklichen Umstand zu verdanken hat, dass der eigentlich für die Aufgabe vorgesehene, darob euphorisch gestimmte Küchenmeister kurz vor seiner Abreise die Kontrolle über seinen Roller verloren hat - und Nishimura eher widerwillig die Zeit mit diesen merkwürdigen Typen verbringen muss, die seine Kochkünste anfangs kaum zu würdigen wissen. Zudem musste er dafür Frau und Kinder zurücklassen (der kurz vor der Abreise ausgefallene Zahn der Tochter, den er bei sich trägt, wird zudem Opfer einer grotesken Verfolgungsjagd durch Schnee und Eis werden).

Shuichi Okitas Komödie „The Chef of South Polar“ bildete den gestrigen unterhaltsamen Auftakt für die nunmehr zehnte Nippon Connection in Frankfurt am Main und vermochte seiner Rolle eines 'Appetizers' (im mehrdeutigen Sinne) durchaus gerecht zu werden. Und auch wenn der Schauplatz der Handlung denkbar weit sowohl von Japan als auch dem Festivalort entfernt liegt, vermag der Film doch mit seiner warmherzigen Charakterzeichnung und seinem weitgehend dezenten Humor, seiner Situationskomik zu gefallen. Diejenigen freilich, die mit dem japanischen Kino vor allem ein Kino der Extreme verbinden, mögen ob der vermeintlichen 'Harmlosigkeit' des mit dem Golden Shindo Kaneto Director Award 2009 ausgezeichneten Films möglicherweise enttäuscht sein.


Christian Moises


“The Chef of South Polar” (“Nankyoku Ryorinin”)
Japan 2009. Regie, Buch: Shuichi Okita. Kamera: Akiko Ashizawa. Musik: Yoshiharu Abe
D: Masato Sakai, Katsuhisa Namase, Kitaro, Kosuke Toyohara
Länge: 123 Min.